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Quelle: dpa

Der Skischuh-Effekt führt uns alle in die Irre

Beat Balzli
Beat Balzli Ehem. Chefredakteur WirtschaftsWoche Zur Kolumnen-Übersicht: Balzli direkt

Zum dritten Mal steigt der ifo-Geschäftsklimaindex. Und schon reden alle von der Trendwende. Dabei dürfte das dicke Ende noch kommen.

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Die Affäre um Wirecard hat zwei positive Effekte. Erstens weiß ab sofort jeder deutsche Anleger, dass ein CEO im schwarzen Rollkragenpullover noch nicht für eine erfolgreiche Börsenstory im Apple-Stil reicht. Zweitens erspart dieser Milliardenskandal den Wirtschaftsjournalisten weitgehend das Sommerloch. Der filmreife Thriller sorgt täglich für neuen Stoff. Sogar eine Sondersitzung des Finanzausschusses ist dabei. Eine Grillparty mit Finanzminister Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Peter Altmaier auf dem Rost.

Die alte Leichtigkeit des Sommerlochs scheint vorbei. Die wohlige Entspannung mit Nichtgeschichten über Nichtereignisse gibt es nicht mehr. Nein, dieser Sommer ist wirklich anders. Und so geben sich die Deutschen zu allem Überfluss im Urlaub an der Nord-, Ost- oder am Bodensee auch noch einer handfesten Sommerillusion hin. Das klingt nur leicht, wiegt in Wahrheit aber ziemlich schwer.

Ursache ist der ifo-Geschäftsklimaindex. Der sorgt mit dem dritten unerwarteten Sprung nach oben plötzlich für so etwas wie Euphorie, für Licht am Ende des Coronatunnels.



Die Laune deutscher Manager hellt sich nach den Lockerungsmaßnahmen auf. Das ist verständlich, schließlich wirkt das Ende eines Lockdowns erst mal wie eine riesige Erleichterung. Wer nach einem langen Tag auf der Piste endlich seine engen Skischuhe ausziehen kann, kennt dieses fantastische Gefühl. Aber man sollte es nicht überinterpretieren. Es sind immer noch die alten Füße.

Die Anfangsphase des kollektiven Coronatraumas zeichnete sich durch überschießende Erwartungen im negativen Sinne aus. Die ökonomischen Folgen wurden viel zu schwarz gemalt. Jetzt passiert das Gegenteil. Bald droht die Ernüchterung. Die Insolvenzwelle wurde nur bis September eingefroren, nicht verhindert. Im Herbst werden Tausende Pleiten das Stimmungsbild mitprägen. Da hilft auch die teure Mehrwertsteuersenkung wenig, die größtenteils verpufft. Die Schwellenländer fallen als Exportmärkte für Deutschland aus. Und das Hilfspaket der EU bringt ebenso wenig. Das entfaltet seine Wirkung frühestens im ersten Quartal nächsten Jahres.

Derweil dämpfen die Eskalation zwischen den USA und China und die zweite Coronawelle das Weltwirtschaftsklima. Kein Wunder, dass gerade alle Gold kaufen.

Die Wirecard-Affäre hat übrigens noch einen positiven Effekt. Menschen haben gelernt, mit allem zu rechnen.

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China – Deutschlands unmöglicher Geschäftspartner Nummer eins. Die Kader in Peking treten zunehmend machtbewusst in Erscheinung; die USA rufen die „freie Welt“ zum Widerstand gegen die „Tyrannei“ auf. Der deutschen Wirtschaft drohen politisierte Geschäfte – und schmerzhafte Entscheidungen für das ein oder andere Lager.

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