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Quelle: dpa

Die Mär vom Lockdown light

Beat Balzli
Beat Balzli Ehem. Chefredakteur WirtschaftsWoche Zur Kolumnen-Übersicht: Balzli direkt

Im Krieg gegen Corona werden Wirte wahlweise wie Kanonenfutter oder Covidioten behandelt. Sie haben eine bessere Lobby verdient – uns alle.

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Das muss die Coca-Cola-Verschwörung sein. Seit 1982 der Sünde aus der Dose die Kalorien genommen wurden, rollt die Light-Revolution übers Land. Bis heute macht nichts davon das Leben wirklich gesünder, besser oder schlanker, aber es beruhigt das Gewissen – egal, ob Schokopudding light, Salami light oder die aktuelle Coronapolitik. Selten verpassten die Regierenden einem solch massiven staatlichen Eingriff ein solch harmloses Etikett. Aus der Perspektive des Politmarketings ist das ein geniales Wording. Die Verantwortlichen reduzieren damit die Angriffsfläche. Und für die Betroffenen lässt sich die bittere Medizin leichter schlucken, die Fabriken laufen ja noch.

Aber das funktioniert eben längst nicht bei allen. In den Ohren von Wirten und Hoteliers muss Lockdown light wie Hohn klingen. Wer von einem auf den anderen Tag seine Existenzgrundlage außer Betrieb nehmen muss, wer beinahe das gesamte Weihnachtsgeschäft verliert, der kann daran nichts Leichtes erkennen. Für ihn ist der Lockdown ein Lockdown, basta. Egal, ob sinnvoll oder nicht.

Doch das geht in der Pandemiepanik leider unter. Selbst wenn die Lobby einst wegen einer unappetitlichen Mehrwertsteuergeschichte rund um die FDP mächtig wirkte, so ist sie es in Tat und Wahrheit nicht. Im Gegensatz zu Konzernen aus anderen Branchen ist die Szene zu atomisiert, der Verband schwach, und selbst der Bruder der Bundesforschungsministerin Anja Karliczek kann nur in seinem leeren Hotel leiden und auf bessere Zeiten hoffen. „Sie retten die Banken, sie retten die Versicherungen, sie retten die Autoindustrie. Aber der Tourismus ist ihnen scheißegal“, regte sich Olaf Kerssen noch im Frühling auf.

Ganz so garstig kam es dann nicht, Soforthilfe und eine Mehrwertsteuersenkung gab es auch. Aber für Wirte und Hoteliers gibt es nun mal keinen Gastrogipfel mit der Kanzlerin. Stattdessen behandelt die Politik sie immer noch wie Unternehmer zweiter Klasse. Sie ließ sie viel zu lange auf den konkreten Anmelde- und Auszahlungsfahrplan für den Umsatzausfall warten. Und wer zu Recht die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen vor Gericht anzweifelt, weil er schon Unsummen in ein Hygienekonzept investiert hat, wird gerne mal als Covidiot abgestempelt.

Die Gastronomie hat eine bessere Lobby verdient. Sie ist schließlich systemrelevant. Volle Tresen sichern die mentale Grundversorgung von uns allen ab. Sofa, Netflix und Cola light schaffen das auf Dauer nicht.

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