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Sollte die Zweiteilung der Welt Wirklichkeit werden, müssen Deutschland und Co. zumindest in der amerikanisch beherrschten Hemisphäre für sich die bestmögliche Ausgangslage schaffen. Quelle: imago images/U. J. Alexander

Die USA haben keine Freunde – nur Interessen

Beat Balzli
Beat Balzli Ehem. Chefredakteur WirtschaftsWoche Zur Kolumnen-Übersicht: Balzli direkt

Der Finanzminister will zu Recht den Freihandel mit Nordamerika beleben. Doch dabei sollte er die transatlantische Partnerschaft nicht überschätzen.

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Hat Deutschland plötzlich zwei Wirtschaftsminister? Der Eindruck könnte in diesen Tagen entstehen. Während Robert Habeck bei den einst verpönten Scheichs nach neuen Energiequellen sucht, um sich von Russland unabhängig zu machen, gibt Christian Lindner den Freihändler. Er schlägt im Interview mit dem „Handelsblatt“ vor, angesichts der geopolitischen Verschiebungen und des Klumpenrisikos China das Verhältnis zu den USA zu intensivieren. Lindner will eine Art Neuauflage von TTIP. Für die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft war 2016 nach massiven Protesten Schluss. Vor allem Umwelt- und Verbraucherschützer befürchteten eine Aufweichung europäischer Standards, unter anderem bei der Behandlung von Fleisch mit Chemikalien.

Das Chlorhühnchen-Trauma bewegt die Gemüter immer noch. Der echte Wirtschaftsminister Habeck ist not amused über Lindners Vorstoß und bemüht gleich die Gefahr einer „ideologischen Debatte“. Die SPD sieht es ebenfalls kritisch.

Dabei ist der Vorstoß „überfällig“ und „höchst sinnvoll“, sagen zu Recht nicht nur der Außenhandelsverband und die Wirtschaftsweise Veronika Grimm. Ganz Europa muss sich in Zeiten der geopolitischen Verwerfungen neu aufstellen und die Handelskanäle institutionell absichern. Gerade das deutsche Geschäftsmodell lebt nun mal von der globalisierten Wirtschaft. Sollte die Zweiteilung der Welt tatsächlich Wirklichkeit werden, müssen Deutschland und Co. zumindest in der amerikanisch beherrschten Hemisphäre für sich die bestmögliche Ausgangslage schaffen. Denn China schottet seinen Markt bereits heute schleichend ab. Dax-Konzerne bereiten sich darauf vor und führen ihre Chinaaktivitäten als beinahe autarke Ableger.

Doch bei aller kriegsbedingten Leidenschaft der Wirtschaft und des Finanzministers für die transatlantische Beziehung geht eines vergessen: Wie jede Großmacht haben die USA keine Freunde, sondern nur Interessen. Washington will jetzt lieber teure Rüstungsgüter und Flüssigerdgas verkaufen als TTIP neu auflegen. Und sie hören auch das Handy des Kanzlers ab, wenn es sein muss – oder lassen das FBI in US-Datenclouds ermitteln, die deutsche Konzerne nutzen. Statt ein neues Freihandelsabkommen zu fordern, wäre es vielleicht erfolgversprechender, das Projekt einer Europacloud voranzutreiben. Denn mehr Souveränität macht Sinn, lernen wir in diesen Tagen. Darin wären sich Habeck und Lindner sogar einig.

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