Er wirkt ein bisschen entrückt vor diesem feierlichen Dekor. Auch ein paar Tage nach der ersten Neujahrsansprache des Kanzlers Olaf Scholz bleibt der Eindruck, dass da jemand keine Lust auf die harte Realität hat. Die deutsche Gesellschaft sei infolge der Coronapandemie nicht gespalten, erzählt er staatsmännisch, „das Gegenteil ist richtig. Unser Land steht zusammen. Was ich überall wahrnehme, das ist eine riesige Solidarität, das ist überwältigende Hilfsbereitschaft, das ist ein neues Zusammenrücken und Unterhaken.“
Love-and-Peace-Scholz liegt dabei genauso falsch wie die Alarmisten. Die Gesellschaft ist weder tief ergriffen von der heilen sozialdemokratischen Romantik noch gespalten. Corona sorgt für unschöne Risse, die sich beinahe jeden Samstag in den großen Städten in lautstarken Demonstrationen manifestieren. Es handelt sich um eine Minderheit. Sie adelt mitunter gar Impfgegner geschichtsvergessen als Verfolgte, bezeichnet Deutschland als Diktatur – ohne sich offenbar der Absurdität dieser Anklage bewusst zu sein. Denn welche Diktatur bewilligt regierungskritische Aufmärsche und schützt sie vor Gegendemonstranten?
Und doch muss das Land mehr tun, um der Bewegung die Energie zu nehmen. Denn ein Teil der Sympathisanten stammt aus der Mitte der Gesellschaft und ließe sich zurückgewinnen. Dazu gehört erstens die Überlegung, ob G1 statt 1G genügt, also Gesundheit first mit weitreichenden Beschränkungen für Ungeimpfte statt harte Impfpflicht ohne Entscheidungsfreiheit für den Einzelnen. Zweitens kann nur mehr Transparenz im Machtapparat für Vertrauen sorgen und das Sammelbecken für Staatskritiker austrocknen.
Womit wir beim frisch eingeführten Lobbyregister des Bundestages wären. Interessenvertreter müssen sich dort in den nächsten zwei Monaten eintragen oder kriegen ein Bußgeld aufgebrummt. Das trifft die Großindustrie genauso wie den Vertreter des Solaranlagenbauers, der für die Grünen spendet und auf eine flächendeckende Solarpflicht hofft.
Doch das ist nicht genug. Der legislative Fußabdruck, also das Protokoll des konkreten Lobbyeinflusses im Gesetzgebungsprozess, muss hinzukommen. Das könnte Kungeleien (und Verschwörungstheorien) vorbeugen. Ausnahmen darf es keine geben, wie derzeit im Lobbyregister für Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände vorgesehen – und für Kirchen. Auch die Abwege des Herrn dürfen nicht unergründlich bleiben.
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