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Die Versorgungssicherheit wurde schon unter Merkel vernachlässigt. Quelle: imago images

Frau Merkel, wie konnten Sie es so weit kommen lassen?

Beat Balzli
Beat Balzli Ehem. Chefredakteur WirtschaftsWoche Zur Kolumnen-Übersicht: Balzli direkt

Die Vernachlässigung von Deutschlands Versorgungssicherheit war fahrlässig und naiv zugleich. Der Sofortboykott russischer Energie wäre es auch.

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Am 18. Dezember 2009 liegt Schnee in Berlin. Es herrschen eisige Temperaturen, Heizungen laufen auf Hochtouren. Die Szenerie passt zu einer kleinen Anfrage von grünen Bundestagsabgeordneten, die die Regierung an diesem Tag beantwortet. Titel: „Die Rolle von Flüssigerdgas für die Versorgungssicherheit Deutschlands.“ Darin geht es um Fragen zum Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP, die „große Infrastrukturprojekte wie LNG intensiv begleiten“ wollen. Es geht um die Diversifizierung der Gasversorgung Deutschlands und um die sehr engen Beziehungen von Gasversorger E.On zur russischen Gazprom.

Auch diese Bedenken bringen in der Regierung offenbar niemanden ins Grübeln. Im Gegenteil. Der Anteil Russlands an den deutschen Gasimporten steigt in den Folgejahren weiter, von etwas über 30 Prozent auf über 50 Prozent. Warnungen werden in den Wind geschlagen. Nationale Reserven gelten als unnötig, die Erschließung deutscher Gasvorkommen als Umweltsünde. Stattdessen verticken die Deutschen nach Putins Annexion der Krim sogar ihre Gasspeicher an die Russen und treiben das Pipelineprojekt Nord Stream 2 voran – wohlwissend, dass sie auch den Atomausstieg respektive den Einstieg in die volatile Windenergie mit bis heute viel zu optimistischen Annahmen beschlossen haben.



Jeder erkennt hier, wie sich ein Klumpenrisiko und eine fragile Versorgungslage aufbauen. Die Ausrede, dass im Nachhinein alle schlauer sind, funktioniert nicht. Diversifikation und Prophylaxe gehören zum gesunden Menschenverstand, liberalisierte Energiemärkte hin oder her. Um das zu begreifen, braucht es nicht erst Russlands Angriffskrieg.

Es gilt also, die Frage zu klären, warum sich Angela Merkel ohne Not auf den Weg in den energiepolitischen Suizid begab – und wie Nachfolger Olaf Scholz aus der Nummer rauskommt. Denn es wäre ebenso fahrlässig, Forderungen nachzugeben, den Import von russischem Gas und Öl per sofort zu stoppen. Zuzuschauen, wie der Kreml-Herrscher mit Gasmilliarden seinen Krieg finanziert, ist unerträglich. Doch Kollateralschäden sollten auf allen Seiten minimiert werden – auch in der deutschen Industrie. Allein in Nordrhein-Westfalen hängen 400.000 Jobs am Industriegas. Die Vorstellung, der Staat könne jedes Problem mit Geld zuschütten, mag in der Coronapandemie salonfähig geworden zu sein. Seriös war sie nie – wie damals bei der „Abwrackprämie“. Übrigens das Wort des Jahres vom 18. Dezember 2009.

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