Balzli direkt
Quelle: dpa

Haben Staatsdiener ein Moralproblem?

Beat Balzli
Beat Balzli Ehem. Chefredakteur WirtschaftsWoche Zur Kolumnen-Übersicht: Balzli direkt

Wenn Aufseher zocken, Abteilungsleiter doppelt kassieren und Politiker wie Paten agieren, ist das kein Zufall. Dem Staat fehlt eine moderne Compliance-Kultur.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Sie nennen ihn den Ryan Gosling von Aachen. Joe Laschet sieht nicht nur aus wie ein Hollywoodstar, er liebt auch den filmreifen Auftritt. Gerade bringt der Influencer für Herrenmode NRW-Ministerpräsident Armin Laschet auf dem politischen Laufsteg ins Stolpern. Papa hatte vor wenigen Monaten beim Modeunternehmen van Laack für beinahe 40 Millionen Euro Coronaschutzausrüstung bestellt – ohne Ausschreibung und telefonisch vermittelt durch den eigenen Sohn.

Das Düsseldorfer Masken-Gate erinnert an das selbstherrliche Gebaren von Gutsherren. Das sollte eigentlich längst ausgestorben sein. Eigentlich. In Tat und Wahrheit hat offenbar nur die Privatwirtschaft in den letzten Jahrzehnten Fortschritte gemacht. Oft erzwungen von der US-Justiz führten schmerzhafte Strafen für das routinierte Schmieren, Schieben und Kungeln in den Konzernen zu einer neuen Compliance mit klaren Richtlinien und Kodizes. Das Bewusstsein für Interessenkonflikte und Regelbrüche wurde geschärft, der Preis für Verstöße erhöht und die Wahrscheinlichkeit krummer Deals gesenkt. Nicht auf null, aber immerhin.

Am Staat und seinen Dienern scheint diese Entwicklung spurlos vorbeigegangen zu sein. Wie in den Achtzigerjahren wickeln einige von ihnen private oder öffentliche Geschäfte ab, ohne einen Gedanken an die Risiken oder ihre Verantwortung gegenüber den Steuerzahlern zu verschwenden. Laschets Familiengeschäft ist da noch der harmloseste von mehreren Fällen – allein in den vergangenen Monaten wohlgemerkt. In der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zockten Angestellte mit Wirecard-Aktien in einer Zeit, in der die BaFin die größte Betrugsgeschichte am deutschen Aktienmarkt hätte mit aufklären sollen. Und im Robert Koch-Institut (RKI) besitzt ein Abteilungsleiter privat eine Beteiligung an einem Anbieter für Coronatests. Hauptkunde: das RKI.

Das alles passierte nicht mal heimlich, sondern wurde von den Vorgesetzten abgenickt. Welch überholtes Selbstverständnis muss in den Amtsstuben herrschen! Prompt lamentieren alle über unzeitgemäße Gesetze. Dabei reicht Moralempfinden und ein gesunder Menschenverstand, um diese Missstände zu erkennen. Staatsdiener sollten eigentlich wissen, dass nicht alles legitim ist, was legal ist. Dieser Bewusstwerdungsprozess muss endlich massiv beschleunigt werden. Ryan Goslings bester Film heißt übrigens „Drive“.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%