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Hartz IV für marode Brücken

Beat Balzli
Beat Balzli Ehem. Chefredakteur WirtschaftsWoche Zur Kolumnen-Übersicht: Balzli direkt

Während der deutsche Sozialstaat zum Luxusmodell ausgebaut wurde, kümmerte sich keiner um den Investitionsstaat. Dabei ist nichts asozialer, als die Modernisierung eines Wirtschaftsstandortes zu vernachlässigen.

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Selbst 13,5 Milliarden Euro machen ihn nicht glücklich. Überall ließe sich ein Finanzminister für diesen Überschuss feiern, nicht so in Deutschland. Das hat nur wenig damit zu tun, dass Olaf Scholz danebenlag, als er Anfang 2019 die Nation vor dem „Ende der fetten Jahre“ warnte. Nein, es geht um etwas anderes, etwas viel Grundsätzlicheres: Was anderswo als Zeichen für einen erfolgreichen, sparsamen und effizienten Staat gilt, ist hier eine Bankrotterklärung.

Denn die öffentliche Hand made in Germany schwimmt nicht im Geld, weil sie gut haushaltet. Abgesehen von tiefen Zinsen und einer zu großen Brexitrücklage bleiben schlicht aus Unvermögen zu viele Mittel in der Kasse liegen. Rekordverdächtige Steuersätze und ein überholter Soli sorgen für mehr Einnahmen, die aber kaum jemand investiert – weder in Bildung, Kitas oder Straßen, noch in Digitales. Allen voran kapitulieren die Kommunen auf dem Weg zu den Fördertöpfen. Ihnen fehlen Managementkapazitäten und manchmal das Know-how. Das deutsche Steuerwesen gilt als das komplizierteste der Welt. Gleich dahinter folgt das Förderunwesen. Und das föderale Zuständigkeitshickhack zwischen Bund und Ländern macht alles noch viel schlimmer.

Offenbar setzt das Land die falschen Prioritäten. Mehrere Politikergenerationen sicherten ihre Wähler und damit ihre Karrieren ab. Der Sozialstaat wuchs in den letzten Jahrzehnten ungebremst. Kaum eine Nation leistet sich heute einen derart luxuriösen Ausbau. Kein anderer Bereich im Staat schafft es auf ein jährliches Ausgabevolumen von beinahe einer Billion Euro.

Vor lauter wohlkalkulierter Nächstenliebe wurde leider der Aufbau eines schlagkräftigen Investitionsstaates mit schlanken Prozessen vergessen. Die Folgen vernachlässigter Brücken und Kitas treten erst mit einer enormen Zeitverzögerung zutage. Sie entpuppen sich nun als Handicap für Deutschlands Wachstum von morgen.

Nichts ist asozialer, als die Modernisierung des Wirtschaftsstandortes zu vernachlässigen. Mit den vorhandenen Mitteln sollte sich die GroKo nicht nur um Steuersenkungen kümmern, sondern auch um das Existenzminimum der Infrastruktur. Eine Art Express-Hartz IV für marode Schulen und Offlineregionen hielte die Hoffnung auf Zukunftsfähigkeit am Leben – und würde nebenbei endlich für ein Erfolgserlebnis im Dasein des Finanzministers sorgen. Ganz ohne neue Schulden und mit schwarzer Null.

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