An 25.000 Menschen kommt keiner so leicht vorbei. Auch die Granden der CSU nicht. Hilflos mussten sie vergangenen Sonntag in München mit anschauen, wie Demonstranten gegen ihre Asylpolitik protestierten. Dabei hatten sie doch in der Nacht noch Plakate dagegen geklebt.
So sieht Verzweiflung aus. Nur drei Monate vor der Landtagswahl gerät die CSU in die Defensive. Außer der Modelleisenbahn des Parteivorsitzenden läuft nichts mehr auf der Erfolgsschiene. Die niveaulose Asylschlacht vom Ich-trete-gerne-mal-zurück-Profi Horst Seehofer mit Kanzlerin Angela Merkel sollte rechtsaußen den großen Schub bringen und die AfD in Schach halten. Stattdessen rutschen die Umfragewerte weiter ab. Für SPD, Grüne, Linke und Co. liefert das Sommertheater eine Steilvorlage. #ausgehetzt lautete der Hashtag zum Sonntag. Und jetzt soll Seehofer auch noch für die Rassismusdebatte um den zurückgetretenen Nationalspieler Mesut Özil verantwortlich sein.
Macht die CSU also alles falsch? Nicht ganz. Weitab von der aktuellen Debatte kümmert sich die bayrische Regierungspartei noch um andere Dinge – und macht wenigstens in einem Fall alles richtig.
Die Reaktionen auf die Unions-Einigung im Asylstreit
„Ein Auseinanderbrechen der deutschen Regierung, knapp 100 Tage nach ihrem Amtsantritt, wurde zwar fürs Erste verhindert, aber die Spannungen innerhalb des Regierungslagers sind damit keineswegs aus dem Weg. Dies schadet Deutschland nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich. Diese Spannungen schädigen die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung - und dies gerade in Zeiten, in denen diese viele wichtige Entscheidungen treffen muss. Die Krise schafft eine enorme Unsicherheit für die Wirtschaft, was bereits jetzt zu einem Rückgang der Investitionen und des Wirtschaftswachstums beiträgt. Die Spannungen zwischen den Regierungsparteien schaden nicht nur Deutschland, sondern auch Europa, da die Glaubwürdigkeit der deutschen Regierung und der Bundeskanzlerin dadurch beschädigt wird“, so Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin).
„Die große Koalition muss endlich aus dem Krisenmodus der vergangenen Wochen herausfinden und ihrer Verantwortung für das Land gerecht werden. Die Flüchtlingsfrage ist bei weitem nicht das einzige Problem“, sagt Mario Ohoven, Präsident des Bundesverbands Mittelständischer Wirtschaft (BVMW). „Denn: Die Konjunktur trübt sich bedenklich ein, bei der Digitalisierung liegen wir deutlich zurück, der Fachkräftemangel kostet Wachstum und die aufkommenden Handelskonflikte bedrohen unsere Exporte. Auch auf europäischer Ebene stehen große Aufgaben an, wie der Brexit. Angesichts dieser Herausforderungen braucht Deutschland dringend eine handlungsfähige, stabile Regierung.“
„Aus wirtschaftlicher Sicht ist es zunächst erfreulich, dass die Regierungskrise überwunden scheint. Doch es bleibt erschreckend, wie wenig an inhaltlicher Substanz dazu gehört, eine derartige Krise auszulösen. All dies sind Menetekel eines Verfalls des politischen Systems, wie wir es kennen. Insofern bleibt die Unsicherheit trotz lautstarker Kompromissverkündung letztlich bestehen. Deutschland und Europa gehen ungewissen Zeiten entgegen“, sagte Gustav Horn, Leiter des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung.
„Eine europäisch koordinierte Asylpolitik hat ökonomische Vorteile. Im Konflikt um die deutsche Asylpolitik stand die Frage im Mittelpunkt der politischen Debatte, ob das Land die Ziele seiner Asylpolitik auch im nationalen Alleingang erreichen könnte. Abgesehen von den Kosten von Grenzkontrollen im Binnenmarkt, trägt eine funktionierende europäische Flüchtlingsaufnahme zur Stabilisierung überlasteter Staaten wie Libanon und Jordanien bei. Diese Stabilisierung ist auch von erheblichem ökonomischen Nutzen für Europa. Hinzu kommt, dass ein europäischer Ansatz den EU-Mitgliedstaaten eine Versicherung gegen hohe Kosten zukünftiger neuer Flüchtlingskrisen bieten kann“, meint Friedrich Heinemann, Ökonom am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim.
Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds, Reiner Hoffmann, kritisiert die von der Union angestrebten Transitzentren. Diese würden „kaum die Lösung sein“, sagt er dem Wirtschaftsnachrichtenportal Business Insider. „Es ist dringend notwendig, dass die Fluchtursachen endlich wirksam bekämpft werden.“
„Ich begrüße die Einigung von CDU und CSU ausdrücklich und hoffe, dass die Koalition dies jetzt aber auch sehr zügig mit der erforderlichen Rechtssicherheit umsetzt“, sagte Gewerkschaftschef Ernst Walter dem „Handelsblatt“. Er sei außerdem „sehr froh“ darüber, dass CSU-Chef Horst Seehofer „Haltung gezeigt hat, nicht zurückgetreten ist und weiter unser Innenminister bleibt“.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) bewertete die geplante Einrichtung von Transitzentren für Flüchtlinge an der deutsch-österreichischen Grenze skeptisch. „Das ist ein alter Hut“, sagte der stellvertretende Gewerkschaftsvorsitzende Jörg Radek der „Mitteldeutschen Zeitung“. Auch beschränke sich das Vorhaben nur auf die deutsch-österreichische Grenze. Radek fügte hinzu: „Meine Befürchtung ist, dass der Grenzschutz zur Symbolpolitik missbraucht wird. Das gilt auch für Transitzentren.“
Die SPD zeigt sich offen für den Einigungsvorschlag der Union, sieht laut Fraktionschefin Andrea Nahles aber noch „erheblichen Beratungsbedarf“. Die von der Union geforderten Transitzentren für Flüchtlinge an der deutsch-österreichischen Grenze seien „nicht derselbe Sachverhalt, nicht dieselbe Gruppe“ wie auf der Höhe des Flüchtlingszuzugs 2015/2016, sagt Nahles nach einer Fraktionssitzung in Berlin. „Deshalb lehnen wir den Begriff auch ab.“
Die von CDU und CSU vereinbarten Regeln läuten aus Sicht der AfD keine Trendwende in der Asylpolitik ein. Parteichef Jörg Meuthen sagte der Deutschen Presse-Agentur, Seehofer habe von der CDU „nur ungedeckte Schecks erhalten“. Deutschland werde sich auch in Zukunft schwer damit tun, Asylbewerber, die einmal die Grenze passiert haben, wieder außer Landes zu bringen. Auch durch die Unterbringung in grenznahen Transitzentren von Menschen, die eigentlich in einem anderen EU-Land ihr Asylverfahren durchlaufen müssten, werde dieses grundlegende Problem nicht gelöst. Er könne sich zudem nicht vorstellen, dass die österreichische Regierung eine Zurückweisung von Ausländern an der Grenze akzeptieren werde, sagte Meuthen.
Die Grünen haben den Kompromiss massiv kritisiert. Der Vorsitzende Robert Habeck sieht darin einen Aufguss alter Ideen: „CDU und CSU haben einen Vorschlag von 2015 rausgekramt und verkaufen das als Einigung“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. „Diesen alten Kram kippen sie nun der SPD vor die Füße und sagen: Super, das ist es jetzt. Dabei hat die SPD Transitzonen explizit als Massenlager abgelehnt. Arme SPD.“ Nach dem „Theater“ der vergangenen Wochen, mit dem Deutschland und Europa destabilisiert worden seien, „ist das einfach hanebüchen.“ Habecks Amtskollegin auf dem Parteivorsitz, Annalena Baerbock, nannte in der Nacht zu Dienstag die geplanten Transitzentren „Internierungslager“. Die Union „verabschiedet sich vom Wertekompass unseres Landes“, schrieb sie im Internetdienst Twitter. „Einen Innenminister zu halten, der sein Amt für CSU-Rechtsruck missbraucht, ist kaum zu ertragen.“
Von der Linkspartei kommt Kritik: „Der Machtkampf in der Union ist an Peinlichkeit kaum zu überbieten“, erklären die Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger. „Nach dem Rücktritt vom Rücktritt belohnt Bundeskanzlerin Merkel das Schmierentheater der CSU mit weiteren Zugeständnissen und rückt damit die Politik weiter nach rechts.“
Es geht um nötige Steuersenkungen für Unternehmen. Spätestens seit Donald Trump seine Steuerreform umgesetzt hat, nimmt der Druck auf den Standort Deutschland massiv zu. Die USA senkten die Bundeskörperschaftsteuer von 35 auf 21 Prozent. Bald will Trump noch einen weiteren Nachlass auf 20 Prozent durchsetzen. Mit dieser Entlastungsarie steht er nicht alleine da. Frankreich plant, die Körperschaftsteuer auf 25 Prozent abzusenken, Großbritannien gar auf 17.
Nur eine große Industrienation macht keine Anstalten, der heimischen Wirtschaft steuerlich entgegenzukommen. Trotz voller Kassen. Offenbar glaubt die große Koalition in Berlin, der Standort Deutschland sei unverwundbar, und Unternehmen seien nicht mobil.
Da wirkt es erfrischend, dass Bayern (wie übrigens auch NRW) vor Kurzem eine Bundesratsinitiative zur Reform der Unternehmensbesteuerung einreichte. Firmen sollen künftig die Gewerbesteuer teilweise bei der Körperschaftsteuer anrechnen können Dabei käme eine international wettbewerbsfähige Steuerlast von knapp über 25 Prozent heraus.
Leider hat die Initiative im Bundesrat keine Chance, und der Vertrag der GroKo sieht keine Steuerreform vor. Darum braucht es bald wieder eine Großdemo – diesmal mit 25.000 Unternehmern in Berlin. Hashtag #aufgewacht.