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Grünheide: Der Blick auf das schon teilweise gerodete Waldgebiet auf dem künftigen Gelände der Tesla Gigafactory. Quelle: dpa

Wir Egoisten klagen uns zu Tode

Beat Balzli
Beat Balzli Ehem. Chefredakteur WirtschaftsWoche Zur Kolumnen-Übersicht: Balzli direkt

Die Proteste gegen Tesla, Windräder und Bahnlinien zeigen: Das Land braucht ein Modernisierungsgesetz, das effiziente Verfahren garantiert.

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Alle haben darauf gewartet. Keiner wurde enttäuscht. Kaum hatte E-Star Elon Musk angekündigt, nahe Berlin eine Tesla-Fabrik hochzuziehen, lief in den Köpfen der Countdown. Lange würde es nicht dauern, bis jemand per Gericht den Anfang der Bauarbeiten stoppen würde. Und Deutschland lieferte prompt. Die bewilligte Rodung der Bäume musste trotz versprochener Wiederaufforstung an anderer Stelle zeitweise unterbrochen werden. „Die bereits weit fortgeschrittenen Arbeiten könnten innerhalb weiterer drei Tage abgeschlossen sein“, entschieden die erschreckten Richter zugunsten der grünen Kläger. Zwar wies das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg die Beschwerde der Umweltschützer mittlerweile ab – und gab so grünes Licht für die Rodung. Doch die Symbolkraft könnte größer nicht sein.

Ein Tatendrang im Tesla-Tempo ist im Land der BER-Schmach nicht vorgesehen. Er überfordert ein System, das immer öfter von einer Betriebsratsmentalität regiert wird. Die Weltmeisterschaft im Fußball gewinnen die Deutschen nicht mehr, die in der Bedenkenträgerschaft allemal. Über die Jahre hat sich das Land eine effiziente Projektverhinderungsmaschine herangezüchtet, die jetzt die Zukunftsfähigkeit einer der größten Volkswirtschaften der Welt existenziell bedroht.

Wir klagen uns zu Tode. Und oft aus sehr egoistischen Motiven. Not in my backyard heißt das Gift, das den Fortschritt auf die Kriechspur zwingt. Die eigene Weltanschauung oder der eigene Garten werden bis aufs Messer verteidigt – egal, ob das Gemeinwohl dabei den Bach runtergeht.

Wenn ausländische Politikbetriebe zum Sanierungsfall werden, heuern sie für eine Übergangsphase Experten an. Das sollte sich Berlin zum Vorbild nehmen.
von Beat Balzli

So wünschen sich große Teile der Bevölkerung grüne Energie, doch der Ausbau der Windräder kommt landesweit zum Erliegen – weil sich die Einsprüche stapeln. Bahnlinien werden zwar in Österreich, der Schweiz und den Niederlanden termingerecht bis an die deutsche Grenze gebaut, doch dann ist Schluss beim einig Volk von Klägern. Und der Bau des Fehmarnbelt-Tunnels zwischen Deutschland und Dänemark verzögert sich bis heute – weil auf deutscher Seite zeitweise 12.600 Einsprüche vorlagen. Die dänischen Nachbarn schafften gerade 42.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat recht, wenn er ein Modernisierungsgesetz fordert. Das ändert zwar keine Mentalität, aber könnte es schaffen, „Bürgerbeteiligung zu garantieren und gleichzeitig Verwaltungsverfahren zu beschleunigen“, sagte er kürzlich der WirtschaftsWoche, egal, ob es dabei um Ladesäulen oder Funkmasten gehe. Söder will den Prozess digitalisieren und an den Gerichten spezialisierte Senate einrichten.



Dem ist nichts hinzuzufügen – außer vielleicht: Ein unbedingtes Rodungsverbot sollte es in Deutschland nur für den Baum der Erkenntnis geben.

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