BAMF Causa Bremen offenbart vor allem strukturelle Mängel

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Was der Fall über das BAMF aussagt

Kleine Anfragen der Partei Die Linke haben offengelegt, dass die Schutzquote in Bremen und Mecklenburg-Vorpommern seit Anfang 2016 weit über dem Bundesdurchschnitt liegt – während sie in Sachsen, Brandenburg oder Bayern seitdem darunter liegt.

Über Jahre hat das BAMF diese Unterschiede ignoriert – anstatt ihnen nachzugehen. „Das ist seit Jahren bekannt“, sagt ein Mitarbeiter des BAMF. „Darauf hat das Controlling aber nie geschaut, dabei überprüfen die doch sonst immer alles.“

Laut Teilnehmerkreisen hat BAMF-Präsidentin Cordt vor dem Innenausschuss nun erstmals eingeräumt, dass die unterschiedlichen Entscheidungsquoten wohl nicht dem Zufall geschuldet seien. Das hatte die Bundesregierung in ihren Antworten auf die kleineren Anfragen immer wieder suggeriert. Cordt habe im Dezember vergangenen Jahres eine Forschungsgruppe in Auftrag gegeben, die die Ursachen für die unterschiedlichen Schutzquoten finden sollte. Ein Faktor dabei sei gewesen: Das Führungspersonal der Außenstellen.

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von Niklas Dummer

Die 1200 fraglichen Fällen aus Bremen entsprechen dabei nur knapp 0,1 Prozent der Asylentscheidungen, die zwischen 2013 und 2016 bundesweit getroffen worden sind. Sollte sich der Betrugsverdacht erhärten, dürfte das dem Ansehen der Behörde zwar schweren Schaden zufügen, in Anbetracht einer nahezu 100-prozentigen Schutzquote für Jesiden aus der Region dürfte sich der Schaden für die Bundesrepublik aber in Grenzen halten.

Allerdings hat die Behördenleitung in der Vergangenheit ihr Übriges dazu beigetragen, dass das BAMF immer wieder in den Schlagzeilen landet und das Ansehen der Behörde sinkt. Spätestens seit 2016 ist der Zahlendruck innerhalb der Behörde so groß, dass Fehler vorprogrammiert sind – wie die Verwaltungsgerichte immer wieder zeigen. In 40 Prozent aller Klagen gegen BAMF-Entscheide obsiegen die Asylsuchenden.

„Die bis zu 2000 Fälle in Bremen sind nur ein Bruchteil der tatsächlich rechtswidrig ergangenen Anerkennungen“, sagt ein Entscheider der WirtschaftsWoche. „Viele Kollegen haben reihenweise unrechtmäßige Anerkennungen vorgenommen, nur um den Controllingvorgaben zu entsprechen.“ Interne Kommunikation hat immer wieder offengelegt, wie groß der Zahlendruck nach wie vor ist.

Die Überlegung dahinter, gerade für Mitarbeiter mit befristeten Stellen, ist einfach: Die Anfertigung eines Anerkennungsbescheids dauert höchstens eine Stunde, eine Ablehnung kann in komplexeren Fälle schon einmal zwei Tage dauern. Die Controllingabteilung unter der Leitung von Rudolf Knorr fordert aber nach wie vor zwei bis drei Asylbescheide täglich pro Mitarbeiter. „Wie würden Sie handeln, wenn von der Erfüllung der Zahlenvorgabe ihre Weiteranstellung abhängt“, fragt der Entscheider.

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Der immense Zahlendruck 2016 und 2017 dürfte zu einer großen Zahl von Fehlentscheidungen geführt haben – sowohl was negative als auch positive Bescheide anbetrifft. „Es ging und geht im BAMF nicht um juristisch saubere Entscheidungen, von denen im Zweifel Menschenleben abhängen, sondern lediglich um die Produktion von möglichst vielen Bescheiden in möglichst kurzer Zeit. Das tatsächliche Schicksal eines Asylbewerbers blieb und bleibt dabei oft auf der Strecke“, sagt der Entscheider.

Wie groß der Zahlendruck nach wie vor ist, belegt eine Mail von Anfang April dieses Jahres, die der WirtschaftsWoche vorliegt. Eine Referatsleiterin berichtet darin ihren Mitarbeitern von dem monatlichen „Führungsdialog“, ein Gespräch in dem die gelieferten Zahlen mit der Controllingabteilung besprochen werden. Die Produktivität der Außenstelle sei „zu gering“ - statt den geforderten zwei Entscheidungen pro Mitarbeiter pro Tag, erreichte die Außenstelle nur 0,5 Entscheidungen pro Tag.

In der Folge legte die Controllingabteilung fest, dass die 50 Entscheider in der Außenstelle „täglich 100 Personen (!) zu entscheiden“ – die Außenstelle also die Quote von zwei Entscheidungen pro Tag zu erfüllen habe. Aus diesem Grund sei die Referatsleiterin angewiesen worden, sämtliche Schulungen für die Monate April und Mai abzusagen.

„Da ich auch in der Fortbildung von Kollegen tätig bin, kenne ich solche Mails nur zu gut“, sagt der Entscheider der WirtschaftsWoche. „Schulungen werden immer wieder abgesagt, wenn die Zahlen nicht stimmen. Als wäre eine Schulung eine Belohnung und nicht eine Veranstaltung, die das essenzielle Handwerkszeug vermittelt.“ 

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