Bauernpräsident Joachim Rukwied „In Brüssel hat man den Ernst der Situation noch nicht erkannt“

Baden-Württemberg, Eberstadt: Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbands, auf einem Getreidefeld. Quelle: dpa

Selten war die Stimmung der Landwirte so schlecht wie heute – zu Recht, meint Bauernpräsident Joachim Rukwied. Rukwied erklärt den Frust der Landwirte in Deutschland: schlechte Ernten, strengere Umweltauflagen, unklare Zukunftsperspektive. Er fordert mehr politische Unterstützung und höhere Fleischpreise.

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Joachim Rukwied ist die Stimme der Bauern in Deutschland. Seit zehn Jahren bereits ist Rukwied, der selbst Getreide, Raps und Wein anbaut, Präsident des Deutschen Bauernverbands. Doch selten war die Stimmung der Landwirte so schlecht wie heute – zu Recht, sagt Rukwied. Allein im vergangenen Jahr haben zehn Prozent der Schweinebetriebe aufgegeben. Und auch anderen Landwirten droht das Aus. Ein Gespräch über sinkende Ernteerträge, politischen Entscheidungswillen und die Abhängigkeit der Landwirtschaft vom Gas.

WirtschaftsWoche: Herr Rukwied, in den vergangenen Tagen hatten wir in Deutschland Temperaturen bis zu 40 Grad. Wie gut kommen Sie mit der Hitze klar?
Joachim Rukwied: Ich bin in einer warmen Region, einer Weinbauregion, groß geworden. Da war die Sonneneinstrahlung schon immer höher gewesen und auch die Temperatur. Deshalb komme ich persönlich gut mit der Hitze zurecht. In meiner Jugend ist man tagsüber im Weinberg gewesen, jetzt hat sich das verändert. Unsere Mitarbeiter gehen morgens früh um 6 Uhr raus und dann noch ein zweites Mal von 17.30 bis 21.30 Uhr in den Berg, um nicht die heißeste Zeit des Tages zu erwischen.

Und wie kommen die Landwirte auf den Feldern zu Recht?
Wenn ich einen modernen Traktor und Mähdrescher habe mit klimatisierter Kabine, dann lässt es sich halbwegs aushalten, solange ich das Fahrzeug nicht verlassen muss. Aber die spät zu erntenden Kulturen wie Kartoffeln, Gemüse, Zuckerrüben, Mais leiden. Da wächst nichts mehr, wenn es zu trocken oder heiß ist. Daran leiden auch die Landwirte mental.

Was bedeutet die Hitzewelle für die Ernten?
Wir gehen davon aus, dass wir bei Weizen Ertragsrückgänge haben, weil die Kornausbildung in die heiße, trockene Phase gefallen ist. Wir machen uns sehr große Sorgen um das Futter. Auf dem Grünland wächst jetzt nichts mehr nach, da ist kein Gras, dass die Landwirte für die Tiere mähen können. Und auch Futtermais, Körnermais, Zuckerrüben und Kartoffeln leiden, Gemüse, sofern es nicht bewässert werden kann. Und wir sehen schon jetzt Trockenschäden bei jungen Kulturen wie Wein und Obst, auch der Hopfen bräuchte Wasser. Eigentlich trifft es alle Kulturen, die zwischen August und November geerntet werden.

Wenn nun die Erträge auf den Feldern schwinden, was heißt das für den Hunger in der Welt?
Wenn ich nach Frankreich schaue, oder in andere EU-Regionen, ist es dort zum Teil ähnlich trocken und noch heißer. Das heißt, wir müssen europaweit mit geringeren Ernten rechnen, als wir noch vor drei oder vier Wochen prognostiziert haben. Und wenn Europa in Teilen weniger produziert, hat das weltweit Auswirkungen. Die Ernährungskrise könnte noch drastischer ausfallen, als bisher angenommen. Deshalb will ich noch mal deutlich das Angebot unserer Bauern wiederholen, dass wir temporär die nicht produktiven Flächen nutzen wollen.

Sie sprechen über die vier Prozent landwirtschaftlicher Flächen, die nicht bewirtschaftet werden sollen, damit sich die Pflanzen- und Insektenvielfalt erholen kann.
Es geht gar nicht um alle Flächen – Blühstreifen und Gewässerrandstreifen würden ohnehin nicht in die Produktivität genommen – aber wir sehen da ein Potenzial von 200.000 Hektar, das sind knapp zwei Prozent der landwirtschaftlichen Ackerfläche, die wir zusätzlich im kommenden Jahr nutzen könnten. Ich habe da eine klare Meinung: Schon ethisch und moralisch muss man diese Flächen freigeben. Deshalb habe ich überhaupt kein Verständnis dafür, dass die EU-Agrarkommission noch immer nicht zu Ergebnis gekommen ist und weiter beraten will. In Brüssel hat man den Ernst der Situation noch nicht erkannt, die Kommission handelt verantwortungslos.

In Ostafrika herrscht bereits Hunger, anderen Regionen droht ab Herbst eine Ernährungskrise – da hilft es doch nicht, wenn Sie nächstes Jahr mehr ernten können, weil sie Flächen für die Biodiversität nutzen?
Natürlich ist es viel zu spät, wir hätten die Vorgaben im Juli gebraucht, wenn wir unsere Anbauplanungen machen. Wir Landwirte säen die ersten Folgekulturen schon in vier Wochen, wir machen jetzt die Bodenvorbereitung für diese Nachfolgekulturen. Und wir haben noch keine Vorgaben, was und wie wir anbauen dürfen. Das ist unsäglich.
Das ist ein Versagen auf der Brüsseler Ebene. Wir Landwirte planen jetzt ohne zu wissen, ob das, was wir tun, den zukünftigen Vorgaben entspricht.

In den Niederlanden gab es in den vergangenen Wochen heftige Demonstrationen gegen die Agrarpolitik. Die Bauern haben Autobahnen und Innenstädte blockiert, weil 30 Prozent der Viehbetriebe vor dem Aus stehen könnten. Können Sie die Wut nachvollziehen?
Ich habe die Proteste natürlich verfolgt und war auch im direkten Austausch mit dem Vorstand des niederländischen Bauernverbandes LTO. Bei dem Streit geht es um die Landwirtschaft in ganzen Regionen, da geht es um die Existenz der Betriebe. Es gibt Vorschläge der Bauern, wie man Landwirtschaft umweltfreundlicher und emissionsärmer gestalten kann. Aber die niederländische Regierung hält strikt an ihren Vorstellungen fest und will ganze Regionen frei von Landwirtschaft machen. Dass das Widerstand auslöst, war zu erwarten. Wir sind da solidarisch mit den niederländischen Kollegen. Aber was ich betonen möchte: Wir distanzieren uns in aller Form von jeglicher Gewalt. Man muss miteinander reden und Lösungsansätze aufzeigen.

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Auch in Deutschland gab es bereits Solidaritätskundgebungen – drohen hierzulande vielleicht ähnlich heftige Proteste?
Die Unzufriedenheit unserer Landwirte wächst ständig, zu Recht. Wir wollen im nächsten Jahr in der EU in eine neue, gemeinsame Agrarpolitik einsteigen und bis dato gibt es noch immer keine Vorgaben. Die EU will die Nutzung von Pflanzenschutzmitteln halbieren und in Schutzgebieten komplett verbieten, das hängt wie ein Damoklesschwert über uns. Das würde die Existenz zehntausender Betriebe vernichten. Wir haben die größte Krise in der Schweinehaltung seit Jahrzehnten. Die Landwirtschaft hat ein klares Signal zum Umbau der Tierhaltung gegeben. Aber politisch fehlen die Vorgaben, es gibt keine gesicherte Investitionsförderung, das Bau- und Emissionsschutzrecht muss geändert werden, sonst kann ich gar keine Ställe umbauen. Und in der Politik herrscht Stillstand, das nimmt uns die Zukunftsperspektive. Die Stimmung ist schlecht.

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