Bedingungsloses Grundeinkommen Geld für gar nichts?

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"Das ist eine Stilllegeprämie"

Würden die Deutschen akzeptieren, wenn einfach fünf Prozent der Bevölkerung sagen: Vielen Dank, ich mache mir mit dem Geld vom Staat ein schönes Leben?
Straubhaar: Das ist doch heute auch schon der Fall, nur nicht so transparent. Es gibt eine Menge Menschen, die sich letztlich – mehr oder weniger verdeckt – nicht um Arbeit bemühen. Wenn wir über die Frage diskutieren, wie wir künftig den Wohlstand in unserer Gesellschaft erwirtschaften und sichern, spielen diese fünf Prozent keine Rolle. Wir müssen uns prioritär um die Leistungsträger kümmern, nicht um die Leistungsverweigerer. Die Frage, ob wir jemanden zwingen, einer makroökonomisch unbedeutenden Arbeit nachzugehen, die längst ein Roboter erledigen könnte, ist ein Festhalten an einer Symbolik aus dem 19. Jahrhundert. Da galt nur derjenige als anständiger Mensch, der harter Arbeit nachging.

Sie kapitulieren also vor den jetzigen Verwerfungen und sagen: Grundeinkommen drüber, dann wird alles gut.
Straubhaar: Im Gegenteil, ich will sie korrigieren! Der Anstieg der Kapitaleinkommen und die Stagnation vieler Löhne haben mit technischem Fortschritt zu tun, aber ebenso mit Macht und Abhängigkeit. Dass das Kapital „mächtiger“ als die Arbeit ist, wird sich nicht mehr ändern. Menschen, die vom Arbeitsamt gezwungen werden, Arbeit anzunehmen, sind erpressbar. Unternehmen könnten sie vor die Wahl stellen: Entweder sie arbeiten günstiger als ein Roboter, oder sie gehen. Das drückt die Löhne.

Was aber ändert ein Grundeinkommen daran?
Straubhaar: Wenn der Arbeitnehmer sagen kann, ich muss nicht arbeiten, um zu überleben, ich habe ja mein Grundeinkommen, ist er in einer stärkeren Position als heute. Dann muss der Arbeitgeber um ihn werben.

Zu den Personen

Der Arbeitgeber muss nicht werben. Er stellt dann einfach einen Roboter ein.
Straubhaar: Dann wird der Arbeitnehmer stattdessen die Tätigkeit verfolgen, für die er prädestiniert ist und dank derer er einen Zuverdienst erwirtschaften kann. Er wird nicht wie heute gezwungen, vergleichsweise schlecht bezahlte Arbeit anzunehmen.

Hassel: Das leuchtet mir überhaupt nicht ein. Wenn Sie allen ein Grundeinkommen geben von einer Summe, die unter der Armutsgrenze liegt, kann jeder Arbeitgeber sagen: Du hast dein Grundeinkommen, also kannst du günstiger bei mir arbeiten. Wer heute für zwölf Euro arbeitet, würde dies künftig vielleicht noch für 4,50 Euro tun. Menschen, die unter unanständigen Bedingungen arbeiten, stünden in Konkurrenz zu Robotern. Und dass dann die Mehrheit der Betroffenen sagt: Super, dann gehe ich meinen Neigungen nach, das ist doch völlig unrealistisch.

Straubhaar: Die Konkurrenz zum Roboter ist doch so oder so der Maßstab aller Dinge!

Thomas Straubhaar ist Professor für internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Universität Hamburg. Quelle: dpa

Hassel: Ja, und deswegen stimmt Ihre Argumentation einfach nicht.

Straubhaar: Doch. Denn Mindestlöhne helfen gegen den Roboter nicht weiter. Wenn Sie aber für sechs Euro die Stunde arbeiten und mit 50 Prozent besteuert werden, bekommen Sie neben dem Grundeinkommen von vielleicht 1000 Euro noch pro Stunde drei Euro netto zusätzlich. In der Summe ist das deutlich mehr, als wenn man heute als Hartz-IV- oder Mindestlohnempfänger arbeitet.

Hassel: Das ist eine Stilllegeprämie für alle, die in diesem Segment tätig sind. Die gehen dann vielleicht noch für drei Euro arbeiten, sind versorgt – und keiner hat mehr einen Anreiz, dafür zu sorgen, dass diese Menschen jemals aus diesem prekären Einkommenssegment entkommen. So wie es heute auch schon ist.

Straubhaar: Wer sich weiterbilden möchte, hat erst auf Basis des Grundeinkommens alle Freiheiten dazu. Die Betroffenen bleiben nicht so wie heute aus Existenzgründen am aktuellen Job kleben, nur weil sie sich eine Auszeit für Weiterbildung nicht leisten können.

Hassel: Es gibt doch jetzt schon viele Menschen, die in vergleichbaren materiellen Verhältnissen leben. Und da lässt sich nicht feststellen, dass die viel in Weiterbildung investieren. Das ist nicht realistisch.

Anke Hassel ist Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf. Quelle: Presse

Straubhaar: Weil es heute gerade für Menschen mit Existenzproblemen unmöglich ist, sich ein Jahr nicht mit Einkommensfragen herumschlagen zu müssen. Sie müssen bei Hartz IV jeden Job annehmen und können nicht argumentieren, dass sie sich gerade weiterbilden.

Hassel: Wenn es Ihnen nur um Weitbildung geht, bin ich sofort bei Ihnen. Ich fand deswegen den Vorschlag von Arbeitsministerin Andrea Nahles gut, Erwerbstätigenkonten einzurichten, auf denen jeder Kapital zur Weiterbildung ansparen kann. Und ich bin auch dafür, Hartz IV so umzustellen, dass es mehr Gelegenheiten zur individuellen Weiterentwicklung gibt. Dafür muss ich aber nicht wie Sie das ganze Steuer- und Abgabensystem umwerfen.

Straubhaar: Was Frau Nahles will, ist doch nichts anderes als ein Grundeinkommen. Nur dass das Grundeinkommen eben monatlich bezahlt wird und Frau Nahles das Geld zum 16. Geburtstag auf einen Schlag zur Verfügung stellen möchte.

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