Bedingungsloses Grundeinkommen Eine Utopie, die längst existiert

Das bedingungslose Grundeinkommen elektrisiert die digitale Elite. Es soll unser Gesellschaftsmodell in eine Welt der arbeitenden Roboter retten und das kreative Potenzial der Massen wecken. Eigentlich aber ist es: eine Selbstverständlichkeit.

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Riesige Plakate mit der Aufschrift

Es gibt eine aufschlussreiche Anekdote über Daniel Häni, den Schweizer Vordenker des bedingungslosen Grundeinkommens. Häni betreibt in Basel ein Café, das seinen Gästen keinen Verzehrzwang auferlegt. Er wolle den Kunden einen konsumfreien Raum spendieren, hat Häni bei der Eröffnung erklärt. Heute ist das Café ein riesiger Erfolg, auch wirtschaftlich – weil die Leute eben doch konsumieren, obwohl sie es nicht müssten.

Mit dem großen Konzept Grundeinkommen ist es ein bisschen genauso: Es verspricht eine Revolution – aber wenn sie wirklich kommen sollte, werden alle merken, dass sich nicht viel geändert hat.

Häni steht mit seiner Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen an der Spitze einer internationalen Bewegung. Am 5. Juni stimmen die Schweizer Bürger auf seinen Antrag darüber ab, ob sie ein Grundeinkommen in ihre Verfassung aufnehmen wollen. In anderen Ländern gibt es vergleichbare Bemühungen. So soll in Finnland bald ein lokales Experiment starten, in dem ein solches Grundeinkommen getestet wird, im niederländischen Utrecht erwägt der Stadtrat Vergleichbares. Die Schweizer Initiative wird derweil aller Voraussicht nach scheitern. Die perfekt vernetzten Fans des Grundeinkommens rund um den Globus hindert das nicht daran, die kurze Kette von Ereignissen als Beginn einer revolutionären Bewegung zu deuten – und damit die Verteilungsdebatte der Gegenwart zu beherrschen. Als eine „Weltformel für alles und jeden“ bezeichnet der „Spiegel“ das Konzept Grundeinkommen, die „Frankfurter Allgemeine“ spricht von einer „Sozialreform biblischen Ausmaßes“. Noch eine Nummer größer geht kaum.

Und die Weltformel klingt in den Formulierungen ihrer Fans tatsächlich ziemlich umstürzlerisch: Geld für jeden, egal, ob er arbeitet oder nicht. In der Schweiz sollen es 2500 Franken sein. Die Revolution soll dann vor allem in den Köpfen der Menschen stattfinden: Weil sie sich nicht mehr um ihr materielles Überleben kümmern müssen, können sie sich endlich ihren wahren Potenzialen widmen. Das Risiko zu scheitern ginge nicht mehr einher mit der Gefahr des sozialen Ruins. Aus Busfahrern können Astronauten werden, aus Kundenberatern Modedesigner.

Kombiniert wird dieses Versprechen der dauerkreativen Gesellschaft mit dem Untergangsszenario des „Second Machine Age“. Der Begriff stammt vom Ökonomen Erik Brynjolfsson, um den sich die Schar der Grundeinkommensfans aus Digitalien tummelt. Sie sehen den technischen Fortschritt als Versprechen, aber zugleich als Problem. Wenn in den kommenden Jahren Roboter immer komplexere Tätigkeiten übernähmen, würde das ihnen selbst zwar neue Quellen unermesslichen Reichtums liefern, könnte anderswo aber Millionen Menschen ihren Arbeitsplatz kosten. Um Massenarmut und Weberaufstände der Neuzeit zu vermeiden, müsse deshalb das Grundeinkommen her. Ein Szenario, weswegen auch Telekom-Chef Tim Höttges erklärtermaßen zu den Utopisten zählt.

Hinter diesen Argumenten steckt aber ein widersprüchliches Menschenbild. So soll in jedem von uns ein kreativer Vulkan brodeln, der sich bloß sorgt, dass ihm beim Ausbruch etwas zustoßen könnte. Zugleich aber ist damit zu rechnen, dass all diesen Kreativgiganten rein gar nichts einfällt, sobald ihnen ein Roboter die Arbeit nimmt. Es hilft nur noch die Alimentation, der obrigkeitliche Finanzkatheter.

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