In diesen Tagen öffnet das Berliner Humboldt Forum, ein Zentrum für Kunst, Kultur und Wissenschaft, nach sieben Jahre Bauzeit erstmals seine (vorläufig coronabedingt) digitalen Türen. Dabei muss sich das Haus neben der grundsätzlichen Kritik um seine Ausstellungstücke, oftmals Raubkunst aus der deutschen Kolonialzeit, auch die Frage stellen, wie die Kosten für den Bau des Forums so steigen konnten. Rund 677 Millionen Euro wurden am Ende ausgegeben, anstatt der eigentlichen Kostenobergrenze von 595 Millionen Euro. Damit reiht sich das Humboldt Forum ein in die Hall of Fame kostensprengender Großprojekte.
Dass die aber nicht immer wie der BER, Stuttgart 21 oder besagtes Forum Enden müssen, zeigt Eva Schad, Gründerin und Geschäftsführerin des Berliner Büros von David Chipperfield Architects. Als Projektleiterin betreute sie bis 2009 über mehrere Jahre hinweg den viel beachteten Wiederaufbau des Neuen Museums auf der Berliner Museumsinsel. Statt der veranschlagten rund 235 Millionen Euro kostete die Sanierung und Wiederherstellung des klassizistischen Hauses von Friedrich August Stüler am Ende deutlich weniger: 194 Millionen Euro.
Es war der seltene Fall eines Großprojektes, dessen Konzept nicht nur architektonisch gefeiert wurde, sondern bei dem auch die Finanzen nicht aus dem Ruder liefen – und das in der Heimat des Milliardengrabs BER. Wie gutes und zugleich günstiges Bauen gelingen kann? Hier drei ihrer Lehren:
1. Lasst einen Profi kalkulieren
Bevor Schad in die deutsche Hauptstadt wechselte, hatte sie in der Chipperfield-Zentrale in London gearbeitet. Dort war sie einer Praxis begegnet, die sie aus der Heimat nicht kannte. „In Großbritannien ist es üblich, dass ein unabhängiger Kostenplaner die Budgets eines Baus kalkuliert und kontrolliert“, sagt sie. „Das habe ich als außerordentlich sinnvoll erlebt. In Deutschland ist das leider kein Standard.“





Die „Quantity Surveyor“ genannten Positionen sind hierzulande tatsächlich unüblich, in jedem Fall nicht vorgeschrieben. Beim Neuen Museum hatte Projektleiterin Schad dann auch ein wenig Glück, wie sie selbst sagt, denn eine deutsche Expertin für Kostenplanung bewarb sich unaufgefordert. Unter anderem hatte sie zuvor schon die Sanierung des Reichstags überwacht. „Sie war also absolut vom Fach. Das war ein Geschenk des Himmels.“
Merke: Ein Statiker reicht nicht, ein Kostenstatiker sollte ebenfalls hinzugezogen werden. Es gibt sie auch in Deutschland.
2. Prüfen, prüfen, prüfen!
„Je weniger Überraschungen im Laufe eines Baus auftauchen, desto besser“, sagt Schad. Das können zum Beispiel Umplanungen aufgrund neuer Bauherrenwünsche sein (das wurde etwa dem BER zum Verhängnis). Aber auch die Konstruktion im engeren Sinne läuft selten nach Plan. Jede im Vorfeld abgeklärte Unwägbarkeit reduziert das Risiko.
Beim Neuen Museum half den Architekten der Umstand, dass der historische Bau bereits zu DDR-Zeiten zwar nur unzureichend instandgesetzt, aber dessen Zustand umfangreich dokumentiert worden war. „Je gründlicher Bausubstanz, Böden und sonstige Begleitumstände vorab untersucht worden sind, umso geringer ist das Risiko späterer Kostensteigerungen“, sagt Schad.
Böse Überraschungen wie unerwartet marode Fundamente, schimmelbefallene Hölzer oder kontaminierte Böden gab es beim Neuen Museum dann auch kaum. Für Schad gehört eine solche gründliche Vorabdiagnose deshalb eigentlich in den Muss-Katalog erfolgreichen Bauens, gerade im Auftrag der öffentlichen Hand.
„Eine gründliche Kostenplanung hat auch die Auswirkungen unterschiedlicher Vergabeverfahren mit im Blick“, empfiehlt sie. Sprich: Nicht wie sonst meist üblich bekäme dann zwangsläufig der vermeintlich Günstigste den Zuschlag.
3. Bauherr und Architekt brauchen Kostensensibilität
Das Museumsinsel-Projekt sei noch in einer weiteren Hinsicht ein besonders gelungenes Planungsbeispiel gewesen, meint die Architektin. Denn hier habe die zuständige Baubehörde „von Anfang an ein großes Interesse an einer realistischen und keiner politischen Kostenschätzung“ gehabt. „Alle Beteiligten wollten stets finanzielle Transparenz und zogen hierfür an einem Strang – das war das Geheimnis.“
Schad selbst definiert die Güte ihrer Arbeit ohnehin nicht nur über die Ästhetik oder Funktionalität ihrer Entwürfe. Gute Architektur, meint sie, muss auch die Finanzen im Blick behalten. Oder anders gesagt: Ein Traumbau mit Albtraumkosten ist in ihren Augen allenfalls ein halber Erfolg.
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Damit es so weit nicht kommt, müssen nicht nur Bauherren an einen effizienten Kostenmanagement interessiert sein, sondern auch die Architekten. „Im Entwurf“, sagt Schad, „kann ich nicht nur die Architektur prägen, sondern auch die Kosten.“ Und dann fügt sie noch hinzu: „Jeder Strich kostet Geld, jede Materialwahl zieht eine Summe nach sich.“
Mehr zum Thema: Anwalt Ralf Leinemann vertritt seit Jahrzehnten die Interessen von Baufirmen am BER. Er spricht über seine Bilanz und sagt: Das Desaster hätte man ahnen können.