Der hohe Druck auf die deutsche Asylverwaltung sorgt bei Unternehmensberatungen für gute Geschäfte. Insgesamt zahlt der Bund bis Ende 2020 bis zu 56,4 Millionen Euro an Beraterhonoraren – öffentlich ausgeschrieben waren davon lediglich 21 Millionen Euro. Das ergab eine Anfrage der Linken im Bundestag. Die Antwort der Bundesregierung darauf liegt der WirtschaftsWoche vorab vor.
Rund 47 Millionen Euro erhält allein die Beratung McKinsey bis Ende 2020 für den Einsatz im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Ein Großteil dieser Summe (27,8 Millionen Euro) ist nie öffentlich ausgeschrieben worden.
Einen Teil des Geldes erhält McKinsey für Studien und Auswertungen für das BAMF. Der WirtschaftsWoche liegen mehrere dieser Arbeiten vor, unter anderem die Studie „Rückkehr – Prozesse und Optimierungspotentiale“, Kostenpunkt: 1,86 Millionen Euro, und eine Auswertung der Integrationskurse, die McKinsey mit 1,18 Millionen Euro abrechnete. Zudem liegen der WirtschaftsWoche Dutzende interne Weisungen vor, die auf der Beratungsleistung von McKinsey beruhen. Ob die McKinsey-Werke ihr Geld wert sind? „Ganz sicher nicht“, findet Maximilian Pichl.
Pichl ist Rechts- und Politikwissenschaftler und forscht an der Universität Kassel zur Flüchtlingspolitik. Von 2015 bis Anfang 2017 war er als rechtspolitischer Referent bei Pro Asyl. Er hat die Empfehlungen der Unternehmensberater für das Asylverfahren und die Rückführung von abgelehnten Asylsuchenden untersucht. „Ein Großteil dessen, was McKinsey schreibt ist vollkommen banal“, sagt er. „Da werden über Seiten Zahlen, Statistiken und Verfahrensabläufe ausgebreitet, die bereits bekannt sind – etwa das Dublin-Verfahren.“
Konfrontiert mit dieser Kritik antwortet ein McKinsey-Sprecher: „Es ist ein normales und angemessenes Vorgehen, für eine Problemlösung zunächst die Ausgangslage umfassend, verständlich und korrekt zu beschreiben.“ Allerdings stellt sich bei Tagessätzen von mehr als 2000 Euro pro Mitarbeiter die Frage, ob der Staat hier Steuergelder auf angemessene Weise investiert. „Universitäten erarbeiten für deutlich weniger Geld seriöses Wissen“, sagt Pichl.
Eine der ersten Maßnahmen McKinseys beim BAMF war es, die Asylsuchenden in Cluster einzuteilen. Der WirtschaftsWoche liegt eine interne „Verfahrensinformation“ aus dem Januar 2016 vor, die auf der Beratung von McKinsey beruht. Als Zielwert wurden damals 20 Anhörungen, Protokolle und Entscheidungen ausgegeben. Die Asylsuchenden wurden in vier Cluster eingeteilt, je nach Herkunftsland. „Die Einteilung von Flüchtlingen in Cluster abhängig vom Herkunftsland führt das Asylverfahren an sich ad absurdum“, sagt Pichl. Es müsse in erster Linie um die individuelle Betroffenheit des Flüchtlings gehen – und nicht um sein Heimatland.





„Wer aus einem vermeintlich sicheren Herkunftsland stammt, hat substanzielle Nachteile. Der Einzelfall wird in seiner Substanz nicht geprüft, was wir auch daran sehen, dass die Entscheide fast ausschließlich auf Textbausteinen zu den Herkunftsländern bestehen – die individuelle Gefährdungslage wird oft völlig ignoriert.“ Der WirtschaftsWoche liegen Hunderte BAMF-Bescheide vor, die den Eindruck bestätigen, dass seit 2016 innerhalb des BAMF primär mit Textbausteinen gearbeitet wird.
Mit der Einteilung in Cluster gehen auch rigide Zeitvorgaben einher. Für die einfacheren Herkunftsländer darf der gesamte Prozess – von der Anhörung bis zum Entscheid – 90 Minuten dauern, die komplizierteren 180. „Das läuft auf die pure Quantifizierung des Einzelfalls raus“, sagt Pichl. „Das gesamte Asylverfahren wird rein statistisch betrachtet, wenn ein Einzelfall komplizierter ist, schafft der Entscheider entweder seine Quote nicht oder er lässt die Sorgfalt schleifen.“
Zudem stört sich Pichl an blinden Flecken in den McKinsey-Werken. Bei der Implementierung des „integrierten Flüchtlingsmanagements“, das unter anderem die Trennung von Anhörer und Entscheider verstärkt hat, zeige McKinsey, dass es keinen Blick habe für die Rollenverteilung zwischen Behörden und Gerichten, sagt Pichl. „Proportional zur Zahl der Entscheidungen im BAMF steigt die Zahl der anhängigen Verfahren vor den Gerichten. Hier verschiebt sich eine Krise der Verwaltung auf die Gerichtsbarkeit – und das wird dann als Leistung verkauft.“