Berlin intern

Andrea, der Profi

Max Haerder
Max Haerder Leiter Hauptstadtbüro WirtschaftsWoche (Berlin)

Es war einmal eine Ex-Juso-Chefin und unglückliche Generalsekretärin. Erst als Ministerin ist Andrea Nahles angekommen.

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Andrea Nahles Quelle: dpa

Vor gut drei Jahren, in einem anderen Leben, hat sich Andrea Nahles so richtig zum Affen gemacht. Sie stand am Pult des Bundestags, und anstatt einfach ihre Rede zu halten, stimmte sie ein Liedchen an. Es war, in jeder Hinsicht, ein wenig schräg, wie sie auf einmal im Hohen Haus von Pippi Langstrumpf trällerte. Gut, es war Wahlkampf, und da ist bekanntlich (fast) alles erlaubt. Aber was als beherzter Angriff auf Angela Merkel geplant war, die sich die Welt macht, wie sie ihr gefällt, endete als YouTube-Witz auf Kosten der damaligen SPD-Generalsekretärin.

Warum daran erinnern? Weil es sehr schwer geworden ist, sich die beinahe peinliche Politikerin von damals heute noch vorzustellen. Andrea Nahles ist Ende 2016 die effizienteste Ministerin der großen Koalition (was des einen Freud ist, des anderen Leid – aber dazu gleich). Sie pflegt ein höchst professionelles, von gegenseitigem Respekt getragenes Verhältnis zur CDU-Bundeskanzlerin und zum CDU-Finanzminister. Nahles macht sich gerade die Welt, wie sie ihr gefällt.

Das Amt als Ressortchefin für Arbeit und Soziales war ihr erstes Regierungsamt. Und sie hat geliefert, von Anfang an: Rentenpaket, Mindestlohn, Zeitarbeit, Tarifeinheit – es sind schon Minister mit größerer Erfahrung an kleineren Vorhaben gescheitert. Nahles aber hat ihr Haus im Griff und alle Schaltstellen von den Staatssekretären bis zu wichtigen Abteilungsleitern strategisch geschickt mit Vertrauten und Getreuen besetzt. Es ist ein Haus wie eine Burg.

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Man konnte die Regierungskünstlerin in den vergangenen Tagen wieder beobachten: Das zweite Rentenpaket, das Schwarz-Rot eigentlich gar nicht eingeplant hatte, nutzte sie, um endlich die von ihr hoch geschätzte Erwerbsminderungsrente aufzupäppeln. Die große Frage hingegen, wofür die Rente bis 2045 reichen soll, beantwortete sie so gewerkschaftsnah, dass Vernunft und Union die Antwort brüsk ablehnen mussten. Prompt hatte Nahles kostenlose Profilschärfung für sich und den Wahlkampf ihrer SPD organisiert. Bei der Vorstellung ihres Debattenbuchs zur Zukunft der Arbeit wiederum wendete Nahles einen Trick an, den sie lieben gelernt hat: Sie bietet Freiräume von Regulierung an (diesmal zur Arbeitszeit), wenn sich die Sozialpartner darauf einigen. Das hat erstens den Segen der sozialen Marktwirtschaft, aber es zwingt zweitens Arbeitgeber zähneknirschend an den Tisch der Gewerkschaften.

Für die Wirtschaft ist die einstige Juso-Vorsitzende damit zur Lieblingsfeindin geworden. Aber auch zur guten Verhandlungspartnerin. Um das zu verstehen, muss man noch einmal zu einem Kinderbuch greifen: Ihre – meist männlichen – Gegenüber haben fast alle eine politische Tur-Tur-Erfahrung gemacht. Tur Tur ist der Riese aus dem Märchen von Michael Ende, der umso weniger bedrohlich wirkt, je näher man kommt. Nahles, die vermeintliche Ideologin, will nämlich vor allem Ergebnisse. Sie ist bereit zu Kompromissen. Und: Sie ist verlässlich. Was sie, nur nebenbei, von ihrem Parteivorsitzenden unterscheidet. Sigmar Gabriel hat bekanntlich Tage, an denen er als Reformer aufsteht. Und als Konservativer ins Bett huscht.

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