Der Trump Tower, 721 5th Avenue, ist zumindest bis zum 20. Januar genau das, was sich sein Erbauer, Donald J. Trump, immer vorgestellt hat: das Zentrum der Welt. Die britische Premierministerin mühte sich, dorthin durchgestellt zu werden, Japans Premier Shinzo Abe durfte sogar kurz auf einer der goldenen Couches drinnen im Turm Platz nehmen und war hoch erfreut. Alle buhlen um Donalds Ohr, ein paar Minuten seiner Zeit.
Alle? Oh nein. Bei Kanzlerin Angela Merkel ist kein Bemühen zu erkennen. Die Frau, die von der „New York Times“ zur letzten Verteidigerin westlicher Werte ernannt wurde, übt sich in Zurückhaltung. Zunächst hat sie Trump nicht einfach gratuliert, sondern daran erinnert, Zusammenarbeit beruhe darauf, dass die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte auch im Trump Tower gelte. Nun lässt sie sich nicht unter Druck setzen, rasch engen Kontakt zum bald mächtigsten Mann der Welt zu suchen. In das Buhlen um Trump-Time einzusteigen ist der Kanzlerin offenbar peinlich. Zwar gibt es Kontakte zu jenen Trump-Mitarbeitern, die schon feststehen, etwa Stabschef Rence Priebus. Aufmerksam verfolgt man in Berlin auch, dass Trump auf Diplomatie-Altmeister Henry Kissinger hört. Aber darüber hinaus gilt: abwarten bis Januar.
Das ist politisch schlau, schließlich ist Trump derzeit die Hassfigur, auf die sich fast alle Lager in Deutschland am leichtesten einigen können. Wenn zudem die Begründung gelten soll, Merkel müsse auch deswegen für eine weitere Amtszeit parat stehen, weil sie den Westen und seine Werte gegen Trump verteidigen solle, kann sie schlecht vor diesem einen raschen Kniefall hinlegen.
Donald Trump im Portrait
Unternehmer, Entertainer, Schauspieler, Buchautor
14. Juni 1946
Zwilling
New York City
1,87 Meter
Verheiratet in dritter Ehe mit Melania Trump und insgesamt fünf Kinder.
„Make America Great Again“
Aber ist es auch klug? Trump ist ein höchst ungewöhnlicher Präsident, so gut wie ohne Vorbildung in vielen Politikfeldern. Offen lästern deutsche Politiker, Gespräche brächten nun noch nichts, weil Trump ja nichts wisse über Europa.
Aber damit ist er auch sehr formbar. Wie empfänglich der Baumogul zudem für Schmeicheleien ist, hat seine bisherige Interaktion mit Vorgänger Barack Obama gezeigt. Den hat er im Wahlkampf wüst beschimpft. Doch als Obama ihn im Oval Office willkommen hieß, wirkte Trump wie ein kleines Kind, das ganz nah beim Weihnachtsmann sitzen darf. Seitdem betont er Obamas Klasse.
Warum sollte Merkel nicht Ähnliches gelingen? Trump hat der Kanzlerin im Wahlkampf unterstellt, ihre Flüchtlingspolitik habe zu Massenvergewaltigungen auf deutschen Straßen geführt. Zugleich ließ er aber seinen Respekt für die erfahrene Regierungschefin erkennen.
Darum hat Trump gewonnen
Clinton schnitt trotz Trumps frauenfeindlicher Äußerungen in der Wählergruppe deutlich schwächer ab als im Vorfeld erwartet. Zwar erhielt sie von Frauen zwischen 18 und 34 Jahren deutlich mehr Unterstützung als Trump, insgesamt aber betrug ihr Vorsprung bei Frauen mit 49 Prozent nur zwei Prozentpunkte. Zum Vergleich: Der scheidende Präsident Barack Obama schnitt 2012 bei Frauen sieben Prozentpunkte besser ab als sein damaliger Herausforderer.
Clinton kam Umfragen zufolge deutlich besser bei Amerikanern mit spanischen Wurzeln, Afroamerikanern, und Amerikanern mit asiatischen Wurzeln an. Allerdings erhielt sie nicht so viel Rückhalt wie Obama vor vier Jahren, der seine Wiederwahl besonders den Stimmen der Minderheiten verdankte.
Trump punktete besonders bei Wählern ohne College-Ausbildung. Insgesamt betrug sein Vorsprung auf Clinton in dieser Gruppe zwölf Prozentpunkte. Bei weißen Männern ohne höheren Bildungsabschluss schnitt er sogar um 31 Prozentpunkte besser ab, bei weißen Frauen ohne Abschluss waren es 27 Prozentpunkte.
Streng gläubige weiße Amerikaner haben Trump die Treue gehalten - trotz der sexuellen Missbrauchsvorwürfe, die gegen den Milliardär im Wahlkampf erhoben wurden. Etwa 76 Prozent der Evangelikalen gaben an, für Trump gestimmt zu haben.
Clinton tat sich in Ballungsräumen schwer, obwohl dort in der Regel viele Anhänger der Demokraten leben. Ihr Vorsprung auf Trump betrug dort gerade einmal sechs Prozentpunkte. In ländlichen Regionen schnitt Trump dagegen um 27 Prozentpunkte besser ab.
Die Kanzlerin könnte sich nun die Rückendeckung der wichtigsten anderen EU-Staaten sichern, um ihm früh zu sagen: Europa ist einig, Europa ist nicht demütig. Wir wollen zusammenarbeiten, aber nicht um jeden Preis. Und: Wir sind nicht bloß ein Krisenkontinent, sondern immer noch Amerikas wichtigster politischer Partner – wichtiger als Wladimir Putin, der den starken Mann nur gibt, aber wirtschaftlich und politisch keiner ist.
So ein Vorstoß könnte einen Mann wie Trump nachhaltig beeindrucken, der in Kategorien der Stärke denkt. Ja, das wäre ungewöhnlich. Aber es sind ungewöhnliche Zeiten.