Berlin intern

Atom-Gutachten löst Dissonanzen aus

Henning Krumrey Ehem. Redakteur

Die Reaktorsicherheitskommission war wahnsinnig fleißig: Sie hat mindestens zehn Studien erstellt – glaubt man den Medien.

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Henning Krumrey, Leiter des Hauptstadtbüros der WirtschaftsWoche Quelle: Werner Schüring für WirtschaftsWoche

Das Spektrum der Reaktionen und Veröffentlichungen war breit gefächert. „Sicherheitsreserven“ diagnostizierte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, „nicht sicher“ schlagzeilte „BILD“, und die linksalternative „tageszeitung“ las einen „Persilschein für die Atomindustrie“. Nicht anders klang dies bei der Politik. Während Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) feststellte, „dass unsere Kernkraftwerke einen soliden Zustand haben“, befand die Grünen-Umweltpolitikerin Bärbel Höhn, es hätten ohnehin „keine desaströsen Zustände in deutschen AKWs herauskommen“ dürfen, „weil das die Laufzeitverlängerung im letzten Jahr als unverantwortlich gebrandmarkt hätte“.

Ausgelöst hatte den dissonanten Chor das Gutachten der Reaktorsicherheits-kommission (RSK), die für das Bundesumweltministerium die heimischen Atommeiler untersucht hatte. Der Auftrag war, zu prüfen, was die Anlagen aushalten, wenn die Dimension von Naturkatastrophen wie Erdbeben oder Überschwemmungen viel größer sei als bislang angenommen. Bei der Reaktorkatastrophe im japanischen Fuku-shima war genau das eingetreten: Mit einem Tsunami hatten Erbauer und Betreiber gerechnet – nur nicht mit einem so starken.

Welches AKW hält einem Flugzeugabsturz stand

Zusätzlich kontrollierten die deutschen Experten, wie die heimischen Kraftwerke beim Ausfall der Notstromaggregate oder des Kühlsystems reagieren und ob die zweifachen oder dreifachen Ersatzanlagen, die sogenannten redundanten Systeme, im Falle von derlei Katastrophen noch anspringen würden. Auch daran haperte es in Japan. Der öffentlichkeitswirksamste Untersuchungspunkt: Welches Kernkraftwerk hält einem Flugzeugabsturz stand – gestaffelt vom vergleichsweise leichten Düsenjäger bis zur großen Verkehrsmaschine?

Das Ergebnis lässt sich prächtig interpretieren. Der Atomanhänger lehnt sich beruhigt zurück: Alle Anlagen erfüllen die aktuellen Vorschriften und haben in vielen Punkten zusätzliche, teils enorme Reserven; sie halten auch stärkeren Belastungen als bislang gedacht stand. Der Kernkraftgegner sieht seine Ängste bestätigt: Keine Anlage erfüllt in allen Kriterien die höchsten Anforderungen, die sich die Experten ausgedacht haben. Und kein Kraftwerk hält dem Absturz eines Airbus stand – das freilich hat auch nie jemand behauptet.

Kein homogener Block von Atomfetischisten

Das Expertengremium, das nun von einigen als Röttgenhörige Truppe von Kernkraftfans dargestellt wird, ist kein homogener Block von Atomfetischisten. Der 16-köpfigen Kommission gehören Fachleute der Bundesanstalt für Materialprüfung genauso an wie Vertreter der TÜV-Organisation. Ja, auch Mitarbeiter von Kernkraftwerksbetreibern und Meiler-Bauern sind dabei. Aber seit den Zeiten der rot-grünen Koalition sind auch Mitglieder hinzugekommen, die kernkraftkritisch eingestellt sind.

Keine abweichenden Meinungen

Richard Donderer beispielsweise vom Physikerbüro Bremen zählt dazu, der in den vergangenen Jahren als Gutachter für SPD-geführte Ministerien in verschiedenen Bundesländern aktiv war. Er wurde vom Umweltministerium zum stellvertretenden Vorsitzenden bestellt. Oder Michael Sailer, seit 1980 beim Öko-Institut und inzwischen dort Sprecher der Geschäftsführung. Beide hatte der damalige Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne) 1999 in das Gremium geholt. Er hatte die vorgefundene Prüfertruppe aufgelöst und eine „neue“ RSK gebildet, die „die gesamte Bandbreite der nach dem Stand von Wissenschaft und Technik vertretbaren Anschauungen“ abbilden sollte. Abweichende Meinungen zur jetzt vorgelegten Expertise gaben die Skeptiker nicht zu Protokoll.Die Reaktorsicherheitskommission war wahnsinnig fleißig: Sie hat mindestens zehn -Studien erstellt – glaubt man den Medien.

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