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Berlin intern

Christian Lindner - liberaler Hardliner

Gregor Peter Schmitz
Gregor Peter Schmitz Ehem. Leiter Hauptstadtbüro WirtschaftsWoche (Berlin)

Die AfD-Konkurrenz drängt die FDP zur Härte in der Flüchtlingsfrage. Für Parteichef Lindner ein Balanceakt.

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Christian Lindner Quelle: dpa

Er ist erst dran, als der Saal sich schon zu leeren beginnt und die meisten TV-Kameras abgebaut sind. Auf die Bühne darf er auch nur mit Verspätung, weil ein Gast vor ihm länger geredet hat als erwartet, ein Grüner, ausgerechnet. Aber Christian Lindner, Chef des liberalen Start-up-Unternehmens FDP, hat für all dies keinen Blick, er ist zu froh, überhaupt auf dieser Bühne sprechen zu können. Jetzt spricht die Opposition, sagt er, dabei stellt er ja zumindest mit Blick auf den Bundestag nur eine außerparlamentarische.

1200 Industrievertreter schmunzeln dennoch aufgeschlossen, sie sind für den Tag der Deutschen Industrie des BDI versammelt, einst ein FDP-Heimspiel. Aber 2014, als manche Meinungsforscher die Partei für demoskopisch tot erklärten, stand Lindner nicht auf dieser Berliner Bühne. Dass er nun sprechen darf, ist der deutlichste Beweis einer liberalen Renaissance.

Ergebnisse der FDP bei Bundestagswahlen

Denn sein Versuch, die Partei neu zu (be)gründen, beginnt Früchte zu tragen. Gerade erst konnte Lindner stolz vermelden, dass Wirtschaftsgrößen wie Ex-BASF-Chef Jürgen Hambrecht oder Motorsägenpapst Hans Peter Stihl den Liberalen beitraten, sie sehen diese als Retter der Marktwirtschaft. Zugleich haben ehemalige Spitzenkräfte der Piratenpartei die FDP durch ihren Beitritt zur Bürgerrechtspartei (zurück)geadelt. Umfragen verorten sie bundesweit wieder über der Fünf-Prozent-Grenze.

Nur liegt in Umfragen die Alternative für Deutschland (AfD) noch deutlich besser. Die ist beim Industrietag natürlich nicht geladen. Lindner will auch keine ehemaligen Ex-AfD-Mitglieder aufnehmen, er wittert Populismusgefahr.

Aber zugleich will der Chefliberale, dass über Merkels Flüchtlingspolitik frustrierte CDU-Wähler zu ihm zurückkehren statt zur AfD. Also setzt er vor den Industriellen zwar an, eigentlich nicht über die Flüchtlingskrise reden zu wollen. Aber dann redet er doch lange über Flüchtlinge und so gar nicht im Ton von: „Wir schaffen das.“ Die Hoffnungen Tausender Menschen drohten bitter enttäuscht zu werden, orakelt Lindner, es drohe eine Integrationskrise. Würde der Liberale nicht so nett schauen, man könnte ihn glatt für einen Horst Seehofer im enger geschnittenen Anzug halten. Die Gefahr witterten auch die Jungen Liberalen vor Kurzem, als sie Lindners Gedankenspiel kritisierten, Kriegsflüchtlingen nur temporäre Bleibe statt Asyl anzubieten. Der FDP-Nachwuchs sah den liberalen Markenkern offenbar gefährdet.

Das bremst Lindner zumindest beim BDI nicht. Es müsse Grenzen geben, damit der Rechtsstaat bestehen bleibe, wettert er. Kanzlerin Merkel habe die falschen Signale gesendet. Lindner braucht viele Worte, bis er überhaupt zu einem möglichen positiven Effekt der Flüchtlingskrise kommt, etwa mehr Flexibilität beim Renteneintrittsalter. Der Beifall fällt freundlich aus, aber nicht überschwänglich.

Lindner muss einen Balanceakt wagen: Merkel kritisieren, die eigenen liberalen Werte bewahren und Aufmerksamkeit finden, die gerade in Zeiten der Staatskrise oft für den Staat regierende Parteien reserviert ist. Der FDP-Chef sagt unbekümmert: „Sigmar Gabriel und die SPD müssen mit Frau Merkel, die Grünen wollen unbedingt mit Frau Merkel. Wir haben das schon hinter uns.“ Eins muss man Lindner lassen: So klingt Opposition.

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