
Wer zu Schizophrenie neigt, kann entweder zum Psychiater gehen oder für das Europaparlament kandidieren. Bei den Kampagnen für den Straßburg-Brüsseler Abgeordnetenolymp ist eine gespaltene Persönlichkeit äußerst hilfreich. Zu sehr klaffen die Ziele der europäischen Parteiverbünde und die heimischen Wahlversprechen auseinander.
Die bürgerlichen Parteien präsentieren sich zwischen Flensburg und Passau als Hüter der Stabilität und eines starken Euro. Der von der rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder aufgeweichte Maastricht-Vertrag sei nachzuschärfen. Und vor allem: keine Vereinigten Staaten von Europa und keine Euro-Bonds, also gemeinsame Einheitsschuldtitel von soliden und allzu freigiebigen Ländern. Einheit in Vielfalt, lautet das Motto.
Dumm nur, dass die europäischen Parteifamilien und deren Spitzenkandidaten das ganz anders sehen, als deren deutsche Ableger. Die Traditionsparteien setzen auf vielfache Einfalt, dass die Wähler die Unterschiede schon nicht bemerken.
Probleme mit den Spitzenmännern
So plädierte Jean-Claude Juncker, der ehemalige luxemburgische Ministerpräsident und heutige Vormann der Europäischen Volkspartei EVP, in der Euro-Krise als einer der Ersten für den gemeinsamen Schuldentopf; bei Euro-Bonds haften alle gemeinsam für die Verbindlichkeiten einzelner Staaten des Währungsverbundes. Jahrelang wurde Juncker nicht müde, seine Forderung zu wiederholen. Erst seit er Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei ist, tritt er leiser auf, sagt aber weiterhin: „Ich halte sie langfristig für ein richtiges Instrument.“
„Juncker ist gegen Euro-Bonds, das hat er klar gesagt“, versichert dagegen der Spitzenkandidat der CDU für Deutschland, der frühere niedersächsische Ministerpräsident David McAllister. Und auch Finanzminister Wolfgang Schäuble weiß von der Wandlung des schlitzohrigen Luxemburgers nur Gutes zu berichten: „Ich habe ihn überzeugt“, verkündet er stolz. Es habe allerdings einige Mühe gekostet.
Auch die Sozialdemokraten haben ein Problem mit ihrem Spitzenmann. „Ich bin nach wie vor für Euro-Bonds“, verteidigt Martin Schulz seine traditionelle Position, während die SPD inzwischen – aus Angst vor dem deutschen Wähler – einen Altschuldentilgungsfonds favorisiert, der nur eine teilweise Vergemeinschaftung von Schulden vorsieht. Dafür wirbt er hierzulande für eine Rückverlagerung von Kompetenzen aus Brüssel in die nationale Zuständigkeit, was seine Freunde der Europäischen Sozialdemokraten nicht so vehement verlangen.
Die Liberalen behelfen sich gar mit einem Trick. Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner und sein heimischer Spitzenkandidat Alexander Graf Lambsdorff preisen den finnischen Parteifreund Olli Rehn als Stabilitätsanker an. Der verteidige als EU-Währungskommissar einen starken Euro. Den wahren liberalen Spitzenkandidaten, den EP-Fraktionsvorsitzenden Guy Verhofstadt, verschweigen die beiden deutschen Wahlkämpfer dagegen verschämt.
Kein Wunder, denn der Belgier ist ein glühender Verfechter eines zentralistischen Europas, das die FDP nun gerade bekämpft. Eine EU-eigene Steuer, Mehrheitsentscheidungen im Rat über den Haushalt, die „Vereinigten Staaten von Europa“. Und natürlich „so schnell wie möglich“ Euro-Bonds als „einzigen Weg, die Krise zu stoppen“, verlangte er noch 2012.
Ungespalten treten nur Grüne und Linke auf: Die sagen national wie kontinental, dass sie Euro-Bonds wollen.