So weit ist es also gekommen mit der Deutschen Bank: Schon die Aussage, wo sich ihr Vorstandsvorsitzender wann aufhält, gilt als brisante Information. Als Bankchef John Cryan am Rande des Jahrestreffens von IWF und Weltbank in Washington von Journalisten gefragt wurde, wie lange er denn in den USA bleibe, mochten weder er noch seine Mitarbeiter Auskunft geben. Offenbar fürchteten sie, schon dadurch verraten zu können, in welche Richtung sich die Verhandlungen zwischen der Bank und den US-Aufsichtsbehörden um eine mögliche Milliardenstrafe für Kreditzockereien entwickeln könne. Wie ausgeprägt bis albern die Aufregung um die Bank mittlerweile ist, offenbarten auch einige Journalisten. Sie stürzten sich aufgeregt auf eine kleine Kladde mit großen Zahlen zum „Credit Overview“ der Bank, die auf dem Tisch vor Cryan lag – wohl in der Hoffnung, daraus die Bilanz neu berechnen zu können. Dessen Kommunikationschef musste beruhigen, diese Zahlen seien alle längst öffentlich.
Verständlich ist die Mischung aus Panik und Panikmache ja: Wenn die Deutsche Bank Schnupfen hat, droht dem Standort Deutschland eine Lungenentzündung, derart strukturrelevant ist sie für dessen Funktionieren. Natürlich will die Politik davon offiziell auch beim Treffen in der US-Hauptstadt nichts wissen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) verweigerte nicht nur selber jeden Kommentar (ganz anders als sein SPD-Kabinettskollege Sigmar Gabriel, der vorige Woche das Schlingern der Bank als gerechte Strafe für frühere Spekulationen darstellte). Schäuble wurde sogar ärgerlich, wenn jemand anders einen Kommentar wagte. „Es wird viel zu viel geredet“, knurrte er öffentlich. Auch dass sogar IWF-Chefin Christine Lagarde offen Zweifel am Geschäftsmodell Deutsche Bank äußerte, gefiel ihm gar nicht. Zur Strafe beharrte Schäuble stur darauf, die Bank sei in den Washingtoner Gesprächen gar kein Thema gewesen.
Der Wahrheit zugewandtere Teilnehmer gaben hingegen zu, drei Sorgen hätten jede Runde in Washington bestimmt: ein möglicher Wahlsieg von Donald Trump, der drohende Brexit – und: „Was ist los mit der Deutschen Bank?“. Für das Ansehen des Standortes Deutschland ist deren Krise eine Belastung, vergleichbar nur mit dem VW-Skandal im Vorjahr. Damals tat die Bundesregierung auch, als sei dieser kein größeres Problem. Aber hinter den Kulissen war die Panik greifbar, made in Germany könne in Mitleidenschaft gezogen werden.
Das sagten Experten zur drohenden US-Strafe für die Deutsche Bank (vor der Entscheidung)
"Die Deutsche Bank wird diese Strafe nicht ohne Kapitalerhöhung bezahlen können. Das Eigenkapital von derzeit gut 60 Milliarden Euro sollte nicht weiter sinken. Das würde das Vertrauen in die Solidität weiter erschüttern. Die Gewinne der Bank sind derzeit so niedrig, dass sie kaum ausreichen werden, die Lücke zu füllen. Jetzt rächt sich, dass Bankenaufsicht und Bankenregulierer in den letzten Jahren nicht auf eine stärkere Erhöhung des Eigenkapitals der Deutschen Bank gedrängt haben."
"Jetzt kommt es mit Blick auf die Bank und die Beschäftigten darauf an, dass die Rechtsstreitigkeiten und damit verbundenen Unsicherheiten schnell gelöst werden. Wir erwarten, dass man einen angemessenen Kompromiss finden wird."
"Ich rechne damit, dass die Deutsche Bank am Ende vier bis 5,5 Milliarden Dollar bezahlen muss - das ist etwas mehr als bisher erwartet. Da wir im US-Wahlkampf sind, kann die Summe aber auch höher ausfallen - etwa sechs oder sieben Milliarden Dollar. Auch der Streit der EU mit Apple und Google kann durchaus dazu führen, dass die Summe höher ausfällt als vergleichbare Strafzahlungen von US-Banken.
Alles über sieben Milliarden Dollar wäre für die Deutsche Bank sehr gefährdend. Die Deutsche Bank müsste sich dann Gedanken machen, ob sie im normalen Geschäft noch mehr Risiken abbauen kann. Wenn alle Stricke reißen, müsste die Deutschen Bank ihre Kronjuwelen verkaufen - die Vermögensverwaltung - oder eine Kapitalerhöhung in Angriff nehmen. Die Deutsche Bank muss die Probleme in jedem Fall aus eigener Kraft bewältigen. Ich bin ziemlich sicher, dass es keine Staatshilfen geben wird.
Die deutsche Politik sollte sich nicht in die Verhandlungen über die Höhe der Strafe einmischen. Frankreich hat einst Öl ins Feuer gegossen, als es bei einer Milliarden-Strafe für BNP Paribas in den USA intervenierte. Das hat nichts gebracht, sondern die ganze Sache nur noch verschärft."
"Wenn die Strafe am Ende fünf Milliarden Euro oder mehr beträgt, wird die Deutsche Bank nicht um eine Kapitalerhöhung herumkommen. Investoren wollen nicht, dass die Kapitalquote der Bank zu nah an den Mindestanforderungen der Regulierer liegt."
"Wir erwarten, dass das mögliche Verhandlungsergebnis deutlich unterhalb des ersten Vergleichsvorschlags liegen wird. Eine Strafzahlung von rund 2,5 Milliarden Dollar würden wir als akzeptables Ergebnis einstufen. Eine Strafzahlung oberhalb der bestehenden Rückstellungen würde die Wahrscheinlichkeit einer Kapitalerhöhung unseres Erachtens erhöhen."
"Das Justizministerium hat die Deutsche Bank dazu auserkoren, ihren Teil beim Stopfen des enormen US-Haushaltsdefizits beizutragen."
"Angesichts der prekären Finanzlage einiger europäischer Banken, von denen die Deutsche eine des risikobehaftetsten und systemrelevantesten ist, ist dies verstörend und wirkt kurzsichtig und unnötig strafend." Selbst ein Drittel der angedrohten Strafe von 14 Milliarden Dollar wäre eine schwere Last für eine Firma mit einem Börsenwert von rund 18 Milliarden Euro. "Gigantische Forderungen unterminieren Banken, drohen einige der am meisten globalisierten, systemrelevanten Institute zu destabilisieren, just als ein Cocktail neuer Regulierungen und ultra-niedriger Zinsen die Ertragskraft zerstören. Es gibt Spekulationen um eine neue Ära der 'Auge-um-Auge'-Handelskriege. Die Deutsche Bank könnte der Prügelknabe für den Angriff der EU-Kommission auf Apple sein."
Peinlich sind beide Skandale, weil es jeweils um Eigenschaften geht, die man von deutschen Kaufleuten nicht erwartet: Zockerei bis Betrug. Das macht aber auch jede Diskussion über ein mögliches Rettungspaket für die Deutsche Bank so brisant. Zum Teil hat Gabriel ja recht: Dadurch würde auch eine Bank belohnt, die bis zuletzt viele Milliarden an Boni und Dividende ausschüttete. Doch dass die deutsche Politik dem Untergang der systemrelevantesten Bank kaum tatenlos zusehen würde, darüber waren sich beim Gipfeltreffen der Weltfinanz auch fast alle einig. Genauso wie darüber, dass das große Schweigen der Politik die einzige Lösung sei. Für die Deutsche Bank muss man den Satz „too big to fail“ in diesen Tagen umdichten. Ihre Krise ist, zumindest für deutsche Politiker, „too big to talk about“ – eine viel zu große Sache, um überhaupt darüber zu reden.