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Berlin intern

Die Koalition packt ein

Henning Krumrey Ehem. Redakteur

Um den Wirtschaftsflügel der Union zu besänftigen, wird das Rentenpaket noch einmal 150 Millionen Euro im Jahr teurer. Generationengerechter wird es dadurch nicht.

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Das Renten-Ja auch von Steinbrück schockt die junge Generation Quelle: dpa

Persönlicher und zugleich brisanter hätte der Abend nicht beginnen können. Gastgeber Hubertus Pellengahr, Geschäftsführer der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), hält für den frischen Großvater ein kleines Präsent bereit, aber auch eine Mahnung: „Ihre Enkeltochter wird die Folgen Ihres politischen Handelns spüren.“

Der Opa in Ausbildung heißt Peer Steinbrück und schaut etwas gequält. Tochter Anna hat ihm das Problem der Generationengerechtigkeit in die Wiege gelegt. Schon ist man mitten in der Debatte über das Rentenpaket, das die Koalitionsfraktionen morgens geschnürt haben. Abends vertritt der frühere Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat auf Einladung der INSM und der WirtschaftsWoche „Steinbrücks Standpunkt“.

Die Pläne könnten gefährlich werden, gibt der Gast unumwunden zu. „Das Problem ist der Paketcharakter“, verweist Steinbrück etwas umständlich auf die Kostentreiber: Mütterrente, Rente mit 63, höhere Zahlungen bei Berufsunfähigkeit – macht 160 Milliarden Euro extra bis 2030. Was Union und SPD in ihren Wahlprogrammen aufgeschrieben hätten, sei kaum bezahlbar. „Die Addition der beiden Wunschzettel kann an der normativen Kraft des Faktischen scheitern“, sagt der Finanzexperte. Würde die Koalition auch noch die versprochene Lebensleistungsrente als Mindestausstattung für jeden Senior liefern, blieben nur drei Möglichkeiten: Beiträge rauf, Rentenniveau runter oder Bundeszuschuss höher, was Steuererhöhungen erforderte. Das käme aber erst „bestimmt nach 2017“. Da steht nämlich die nächste Bundestagswahl an, aber das sagt Steinbrück mit Rücksicht auf die Kollegen nicht.

Wann die Europäer in Rente gehen
DeutschlandDie Arbeitnehmer in Deutschland sind nach Informationen der „Bild-Zeitung“ im vergangenen Jahr so spät in Rente gegangen wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Gleichzeitig sanken die Abschläge wegen vorgezogenen Renteneintritts auf den niedrigsten Wert seit 2003, berichtet die Zeitung unter Berufung auf die neueste Rentenzugangsstatistik der Deutschen Rentenversicherung. Danach stieg das durchschnittliche Renteneintrittsalter der Männer 2012 von 60,9 auf 61,2 Jahre. Frauen gingen mit 61 (2011: 60,8) Jahren in Rente. Das waren die höchsten Werte seit mehr als 20 Jahren. Im Jahr 2000 wechselten Männer noch im Schnitt mit 59,8 Jahren aufs Altenteil, Frauen mit 60,5 Jahren. Quelle: dpa
FrankreichAuch in Frankreich ist das Renteneintrittsalter gestiegen: 2009 - vor der Anhebung der Altersgrenze - gingen die Franzosen noch mit durchschnittlich 59,3 Jahren in Pension, 2012 waren sie im Schnitt 62 Jahre und 2 Monate alt (2011: 61 Jahre und 11 Monate). Wer vor seinem 20 Lebensjahr angefangen hat zu arbeiten und in die Rentenkasse einzuzahlen, darf bereits mit 60 Jahren aufs Altenteil wechseln, ohne Abschläge befürchten zu müssen. Quelle: AP
Griechenland2012 haben sich die griechische Regierung und die Troika aus Europäischer Zentralbank, Europäischer Union und Internationalem Währungsfondsdarauf geeinigt, das Renteneintrittsalter in dem Schuldenstaat anzuheben. Seit dem gehen die Griechen - zumindest nach Plan - mit 67 statt wie zuvor mit 65 Jahren in den Ruhestand. 2011 betrug das durchschnittliche Renteneintrittsalter in Griechenland 61,4 Jahre. Quelle: dpa
ItalienItalienische Frauen verbringen inzwischen durchschnittlich 27,3 Jahre im Ruhestand, Männer knapp 23. In Rente gehen die Italiener im Schnitt mit 60,8 Jahren. Wenn sie keine Abschläge hinnehmen wollen, müssten sie eigentlich bis 62 arbeiten. Quelle: AP
Spanien2011 hat sich auch die spanische Regierung angesichts eines gigantischen Schuldenberges dazu entschlossen, die Altersgrenze anzuheben: Wie auch in Deutschland und Griechenland soll das Renteneintrittsalter schrittweise auf 67 Jahre angehoben werden. Zuvor gingen die Spanier im Schnitt mit 62,6 statt 65 Jahren in Rente. Beschäftigte, die bereits 38,5 Jahre gearbeitet haben, haben allerdings weiterhin ab dem 65 Lebensjahr einen Anspruch auf volle Rentenbezüge. Quelle: dapd
GroßbritannienSeit 2011 gibt es in Großbritannien kein offizielles Rentenalter mehr. Die Briten können also selbst entscheiden, wann sie in den Ruhestand gehen. Zuvor konnten die Briten mit 60 Jahren (Frauen) beziehungsweise 65 Jahren (Männer) die Arbeit Arbeit sein lassen. Das tatsächliche Eintrittsalter lag vor der Abschaffung des Rentenalters bei 63,1 Jahren. Quelle: AP
IrlandDie Iren arbeiten am längsten: So müssen auf der grünen Insel Männer und Frauen noch bis 65 arbeiten und tun es auch - zumindest bis sie (im Durchschnitt) 64,1 Jahre alt werden. Wegen des Schuldenberges der grünen Insel erhöht die irische Regierung nun schrittweise das Rentenalter von 65 auf 68 Jahre. Quelle: AP

Das Rentenpaket stärke die soziale Gerechtigkeit, begründet er seine Zustimmung. Ihn besorgen „die Fliehkräfte in unserer Gesellschaft“. Er wende sich „gegen ein vulgäres Verständnis von Marktwirtschaft“. Wer die Debatte über die Gerechtigkeitslücken im Rentenpaket „nicht hilfreich“ genannt habe, lässt WiWo-Chefredakteur Roland Tichy den Gast raten. „Das war bestimmt eine SPD-Politikerin“, mutmaßt der Genosse. „Es war Angela Merkel“, lautet die Lösung, und Steinbrück lacht: „Na, dann habe ich ja richtig gelegen.“

Dem Wirtschaftsflügel der Union haben die Koalitionsspitzen das Ja zum Paket noch etwas erleichtert. Mit der „Flexi-Rente“ können Arbeitnehmer über die Pensionierung hinaus angestellt werden – auf Zeit, auch mehrmals hintereinander. „Erstmals“ sei es gelungen, befristete Arbeitsverträge flexibler zu gestalten, freut sich Michael Fuchs, Unions-Fraktionsvize für Wirtschaft. Zudem zählen freiwillige Zahlungen als Selbstständiger nun wie Arbeitslosigkeit zu jenen 45 Beitragsjahren, die man für die Rente mit 63 braucht. Macht aber wieder 150 Millionen Euro pro Jahr.

Zwar nennen etliche Unions-Wirtschaftspolitiker das Rentenpaket „eine große Scheiße“ – aber stimmten dennoch zu. Der Osnabrücker CDU-MdB Mathias Middelberg kann dagegen dem verkorksten Gesetz sogar einen politischen Vorteil abgewinnen: „Ein gewisses Quantum an Nöl-Masse ist gar nicht schlecht“, frohlockt der Vorsitzende der niedersächsischen Landesgruppe der Union. „Das ist das Milchpulver, um die schwächelnde Zwergpartei FDP wieder aufzupäppeln.“

In dem kleinen Präsent für die Enkelin, sinniert Großvater Steinbrück beim Rausgehen, sei vielleicht Schokolade drin. „Die fress ich dann jetzt alleine.“ Recht hat der fürsorgliche Opa. Schokolade wäre nicht gesund fürs Baby – wenn auch längst nicht so schädlich wie das Rentenpaket.

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