Berlin intern

Die Probleme des Sigmar Gabriel

Gregor Peter Schmitz
Gregor Peter Schmitz Ehem. Leiter Hauptstadtbüro WirtschaftsWoche (Berlin)

Der glücklose SPD-Chef Sigmar Gabriel betont, wie glücklich sein Leben ohne Politik wäre. So einfach ist das nicht.

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Siegmar Gabriel Quelle: REUTERS

Das Erstaunlichste an Sigmar Gabriels Zögern zur Kanzlerkandidatur ist nicht das Zaudern an sich. Dass ein SPD-Chef nicht stürmisch in einen Wahlkampf zieht, den die einstige Volkspartei SPD mit Umfragewerten unter 20 Prozent beginnt, ist durchaus menschlich.
Nein, verblüffend ist, wie offen Vollblutpolitiker Gabriel kokettiert, ein Leben außerhalb der Politik zu führen.

„Viele Leute in meiner Umgebung wissen, dass ich ein glückliches Familienleben habe und meine persönliche Zufriedenheit nicht an einem Dienstwagen hängt“, sagte er gerade im „Spiegel“. Als ihn neulich ein Parteifreund öffentlich kritisierte, erwiderte der Vorsitzende, die Partei solle doch einen anderen Kandidaten aufstellen, dann freue sich seine Frau.

Es ist keineswegs zu bezweifeln, dass Gabriel ein harmonisches Familienleben führt. Er ist mit seiner Gattin, einer Zahnärztin, in seine Heimatstadt Goslar gezogen, Tochter Marie ist noch klein. Gabriel, selbst in schwierigen Verhältnissen groß geworden, will ein guter Vater sein. Er bleibt daheim, wenn sie Scharlach hat, er geht beim Laternenumzug mit, und Journalisten staunen, wie der deutsche Vizekanzler auf dem Boden einer Kita Schnürsenkel bindet. Mittwochs holt Gabriel seine Tochter regelmäßig an der Kita ab, er sagt dann: „Morgen früh fahre ich wieder nach Berlin.

Dann fahre ich nachts nach Hause, um am Freitag früh zum Frühstück da zu sein. Und dann fahre ich wieder nach Berlin.“

Durchaus glaubhaft, dass man auf diesen vielen Wegen mitunter denkt, ihr könnt mich doch alle mal in Berlin, wie das Magazin „Cicero“ gerade unter der Überschrift „Gabriel will nicht mehr“ spekulierte.

Unzweifelhaft ist aber auch, dass Gabriel ein Leben ohne Politik nicht kennt. Der Mann ist seit seinem 17. Lebensjahr politischer Funktionär. Nach seinem großen Scheitern als junger Ministerpräsident von Niedersachsen gab er die Politik keineswegs auf, er wechselte einfach in das „Amt des Beauftragten für Popkultur und Popdiskurs der SPD“ (einfacher: Siggi Pop).

Vor allem aber wartete er auf einen Anruf aus Berlin oder irgendeinem anderen Ort, wo die große Politik spielte.

Ob das diesmal in Goslar so anders würde und Gabriel sich Rückzugsgedanken so leichtfertig erlaubte, drohte ihm als Kandidaten nicht eine historische Wahlniederlage? Schwer vorstellbar. Politik ist eine Droge, von der nicht leicht loszukommen ist. In jüngerer Zeit scheint dies eigentlich nur Hamburgs ehemaligem Bürgermeister Ole von Beust gelungen zu sein.

Noch etwas ist interessant: In Gabriels Sätzen schwingt implizit der Vorwurf mit, er sei anders als jene Berufspolitiker, die nicht loslassen könnten. Denkt man das konsequent zu Ende: anders als Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Über sie tuscheln Berliner Kreise gerne, die womöglich mächtigste Frau der Welt habe doch nichts im Leben als die Macht. Vielleicht noch der Besuch der Richard-Wagner-Festspiele in Bayreuth, aber die gebe es ja nur einmal im Jahr.

Was daran stimmt: Merkel schirmt ihr Privatleben ab, ihren Mann muss sie sogar überreden, sie zum Essen mit dem US-Präsidenten zu begleiten. Aber alle, die sie näher zu kennen glauben, beteuern, sich für sie ein ganz normales Privatleben als Frau ohne Macht gut vorstellen zu können. Vielleicht sogar viel leichter als für Sigmar Gabriel.

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