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Berlin intern

Ein Lehrstück deutscher Verkehrspolitik

Max Haerder
Max Haerder Leiter Hauptstadtbüro WirtschaftsWoche (Berlin)

Machen Regeln teuren Ärger, dann ändert die Regierung eben die Regeln. Gibt es in der Bundesrepublik nicht? Doch. Ein kleines Lehrstück deutscher Verkehrspolitik.

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Schild, das auf eine Maut hinweist Quelle: dapd

Wer nach einem Beleg sucht, dass auch in der Politik die Chaostheorie Gültigkeit besitzt, der wird fündig bei einem nur scheinbar unscheinbaren Aktenzeichen. Das Urteil 9 A 2054/07 steht im Bundesverkehrsministerium für Not und Panik. Der Flügelschlag eines Oberverwaltungsgerichts (OVG), eigentlich weit weg von der Hauptstadt, hat in Berliner Amtsstuben einen Sturm ausgelöst. Es geht um einen hartnäckigen Spediteur, um Klagen und verschwiegene Schiedsgerichte, um 22,41 Euro, fragwürdige Gesetzesakrobatik und drohende Milliardenausfälle. Aber der Reihe nach.

Günter Obst hält sich selbst nicht gerade für einen Sturkopf. Der Unternehmer ist Spediteur in Kiel, sein Spezialgebiet sind Yachttransporte. Im November 2005 reicht Obst Klage gegen eine Verordnung ein, die die Höhe der Lkw-Maut auf Autobahnen festlegt. „Ich fühlte mich gegenüber Mitbewerbern mit größeren und kleineren Fahrzeugen benachteiligt“, sagt er. Ihm geht es ums Prinzip. Sieben Jahre später verschafft ihm das OVG Münster endlich Genugtuung: Die Mautverordnung sei „unwirksam“, urteilen die Richter im Oktober 2012, die gezahlte Maut müsse der Bund zurückerstatten. 22,41 Euro, um ganz genau zu sein.

Panik wegen ein paar Euro? Für Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) würden sie in der Tat den größtmöglichen Unfall bedeuten. Von seinen Vorgängern hat der Bayer nämlich auch das wahrscheinlich längste und teuerste Schiedsverfahren Deutschlands geerbt. Darin streiten sich der Bund und das Mautbetreiber-Konsortium Toll Collect, warum das ausgeklügelte Bezahlsystem 2005 erst mit dicker Verspätung an den Start ging. Die so entgangenen Milliarden will der Bund seitdem zurück. Die Toll-Collect-Eigner, Daimler und Telekom, mauern jedoch beharrlich.

Im September sollen die Verhandlungen in eine neue, vielleicht sogar in die letzte Runde gehen. Dann könnte der Weg frei sein für den Bund, das Mautsystem auch mit neuen Betreibern fortzusetzen; Siemens und die Allianz gelten als interessiert (HIER LINK HB). Doch als so gut wie beendet galt der Mautstreit schon mehrmals – bisher waren die juristischen Fußangeln dann doch zu groß.

Denn noch ist Günter Obst mittendrin im großen Milliardenspiel: Wie soll der Bund Maut zurückfordern, wenn deren Erhebung vielleicht ohnehin nicht rechtens war? Das Münsteraner Urteil verhagelt die Angriffsformation der Regierung. Und zwar gründlich.

Es wird sogar noch schlimmer: Günter Obst ist zum Vorbild für die ganze Branche geworden. Beim Bundesamt für Güterverkehr sind mittlerweile „rund 8000 Anträge auf Erstattung“ des Straßenzolls sowie „39 Erstattungsklagen“ eingegangen, bilanziert Ramsauers Parlamentarischer Staatssekretär Enak Ferlemann in einem von den Grünen angeforderten Bericht. Die drohenden Rückzahlungen dürften sich „auf über zwei Milliarden Euro pro Jahr im Zeitraum von 2009 bis Mitte 2011“ belaufen, heißt es da.

Ramsauers Haus hat deshalb in den vergangenen Monaten alle erdenklichen Hebel in Bewegung gesetzt, um diesem Etat-Desaster noch zu entgehen. Zunächst zogen die eigenen Anwälte gegen das Obst-Urteil vors Bundesverwaltungsgericht. Mit einem Zwischenerfolg: Die Richter in Leipzig verwiesen die Klage zur Neuverhandlung zurück nach Münster.

Um dort aber nicht die zweite Schlappe zu kassieren, wurde die Regierung richtig kreativ. Sie nutzte, noch knapp vor Ende des Bundestagsbetriebs, die Novellierung des Fernstraßenmautgesetzes, um die Mautsätze nicht nur per Verordnung, sondern per Gesetz festzuschreiben – und zwar rückwirkend. „Zur Beseitigung einer unklaren Rechtslage“, heißt es plump in der Begründung. Im Klartext: Nun müsste Obst zur Not bis vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ziehen.

Zu diesem Aktionismus hat der Spediteur seine ganz eigene Meinung: „Das“, sagt er, „sind Berlusconi-Methoden.“

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