Berlin intern

EU-Kommissionschef Juncker wird zum Buhmann

Gregor Peter Schmitz
Gregor Peter Schmitz Ehem. Leiter Hauptstadtbüro WirtschaftsWoche (Berlin)

Deutsche Politiker sagen nach dem Brexit-Votum: Jean-Claude Juncker ist schuld. Doch Kommissionschef bleibt er.

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Jean Claude Juncker Quelle: dpa

Eine Menge Leute regen sich gerade in der deutschen Hauptstadt über Europa auf. Doch beinahe ebenso viele verteidigen Europa. Für EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, 61, gilt diese Gleichung so nicht. Über ihn regen sich sehr viele auf, nur verteidigen mag ihn so gut wie niemand.

Der Mann sei höchstens in der Lage, eine Sparkasse zu führen, aber keinen 30.000-Mann-Apparat wie die Kommission, schimpft ein deutscher Spitzenbeamter. Als krank, alt und unberechenbar beschreiben ihn andere. Genüsslich geben die Diskutanten bei Berliner Sommerpartys ihren ganz persönlichen „Juncker-Lieblingsmoment“ zum Besten, der sich beinahe täglich aktualisieren lässt.

Juncker hatte von Anfang an einen schweren Stand

Derzeit vorne dabei: Wie der Kommissionschef kurz nach dem britischen Votum den Brexit-Haudegen Nigel Farage öffentlich abbusselte – und mögliche Sanktionen wegen französischer Haushaltssünden mit dem Argument „Weil es Frankreich ist“ abbügelte. Aufmerksam verfolgen Junckers hiesige Kritiker, wie das Brüsseler Insider-Magazin „Politico“ nicht nur über seine Nierensteine berichtet, sondern auch über seinen exzessiven Lebenswandel oder sein Einbunkern im Büro – wo er trotz des offiziellen Rauchverbots dauerqualmt.

Tatsache ist aber auch: Juncker und sein mächtiger deutscher Stabschef Martin Selmayr hatten von Anfang an einen schweren Stand bei deutschen Spitzenentscheidern. Ihr Konzept einer politischen Kommission war etwa Kanzlerin Angela Merkel suspekt, die Junckers Spitzenkandidatur nur halbherzig unterstützte. Im Kanzleramt bevorzugt man den direkten Austausch zwischen Regierungen, wie auch Finanzminister Wolfgang Schäuble nach dem Brexit-Votum betonte. Merkel sah sich zwar gerade bemüßigt, Juncker öffentlich zu stützen, nachdem die britische Presse von Rücktrittsforderungen aus Berlin berichtet hatte. Die Zusammenarbeit sei „eng und gut“, ließ sie ausrichten. Solche Worte können in Merkels Welt freilich das Gegenteil bedeuten, nämlich das nahe Ende.

Kein geeigneter Nachfolger für Juncker in Sicht

Brüsseler Insider halten Berliner Planspiele über einen baldigen Abtritt des EU-Kommissionspräsidenten dennoch für unrealistisch. „Es sagt sich leicht, dass Juncker weg müsse“, sagt ein hoher EU-Beamter. „Aber wer soll den Job stattdessen machen?“ Junckers erster Vize Frans Timmermans ist als Niederländer für die Südeuropäer schwer akzeptierbar. Die bulgarische Kommissarin Kristalina Georgieva, zuständig etwa fürs Budget, gilt als zupackend, zählt aber wie Juncker zu den Christdemokraten – was Europas Sozialdemokraten übel aufstoßen könnte. Denn im kommenden Jahr wird, zumindest laut Plan, ein Christdemokrat den SPD-Mann Martin Schulz an der Spitze des Europäischen Parlaments ablösen, also könnten die politischen Gegner eine Übermacht an Christdemokraten auf Europas Topposten beklagen.

Allein um solches Gerangel der beiden größten Fraktionen in Brüssel zu vermeiden, dürfte Merkel wenig Interesse haben, die Personaldebatte in Brüssel neu anzufachen. Also ist berechenbar, dass der unberechenbare Juncker Europa und den Deutschen noch bis zum Ende seiner Amtszeit 2019 erhalten bleibt. Für den Berliner Partytalk ist das auch besser so.

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