Ein Rückzug in Würde, so hatten sich die Abgeordneten die letzte Sitzung der FDP-Bundestagsfraktion vorgestellt. Einmal noch im Reichstagsgebäude tagen, einmal noch mit den Kollegen plaudern, mit denen man vier Jahre zusammen oder auch gegeneinander gearbeitet hat. Und dann: Ende des parlamentarischen Daseins der FDP. Am Dienstag vergangener Woche bestimmte die Fraktion drei aus ihrer Mitte als Liquidatoren, die den Laden abwickeln wie jeden anderen mittelständischen Betrieb – dann löste sie sich mit einem förmlichen Beschluss auf.
Doch so würdevoll wie erhofft tagten die 93 Abgeordneten nicht. Der Schleswig-Holsteiner Jürgen Koppelin, einst als pfiffiger Haushälter ein Quälgeist von Regierungen jedweder Couleur, gab den verbitterten alten Mann. Ob denn die drei Liquidatoren etwa noch extra Geld für ihre Arbeit kassieren dürften, fragte der 68-Jährige giftig (Antwort: nein). Früher reüssierte er im Parlamentskabarett „Die Wasserwerker“ als bissiger Kommentator, jetzt trat er auf als verbissener Inquisitor. Ob auch sichergestellt sei, dass der Leiter der Fraktionsverwaltung sich bei den Auflösungsentscheidungen nicht bereichern könnte?
So „zum Kotzen“ fanden manche Kollegen Koppelins Auftritt, dass sie keine Lust mehr hatten, noch auf ein finales Feierabendbier zu „Ossi“ zu gehen, in die Kneipe der Parlamentarischen Gesellschaft. „Ich will den nicht mehr sehen“, schimpfte einer der stellvertretenden Vorsitzenden. In der Kellerbar waren die Liberalen meist höherprozentig vertreten als im Plenarsaal, und Koppelin schmetterte dort gern zu vorgerückter Stunde mit Freunden „Das Lied der Partei“ und andere SED-Kampfgesänge: „Die Partei, die Partei, die hat immer recht“, heißt es da, und „Sie hat uns alles gegeben, was wir sind, sind wir durch sie“. Alles vorbei.
Ins Bodenlose fallen die Abgänger nicht. Bis Mitte Oktober müssen die Zimmer geräumt sein, dann übernimmt ausgerechnet die Linke den Bürotrakt. Der Agrarpolitiker Michael Goldmann klagt: „Ich habe sechs Kartons, ich weiß nicht, wo ich damit hin soll.“ „Dazu bist du Bundestagsabgeordneter, dass du das selbst entscheiden kannst“, ruft die Architektin Petra Müller entnervt in den Saal. Sie hatte sich mit dem Problem schon vertraut machen können, da sie für die jüngste Wahl keinen Listenplatz ergattert hatte. Die frühere Fraktionschefin Birgit Homburger mailte Kollegen von Union und SPD, sie habe Topfpflanzen und Ventilatoren „günstig abzugeben“.
Um den Rückzug aus der politischen Frontstadt zu organisieren, bleiben den Ex-MdBs ein paar Privilegien noch etwas erhalten. Offiziell endet ihr Abgeordnetendasein mit dem Zusammentritt des neuen Bundestages am 22. Oktober. Aber seit je gilt eine interfraktionelle Vereinbarung, dass noch weitere 14 Tage auf Staatskosten geflogen und Bahn gefahren werden darf. Und es gibt Übergangsgeld, für jedes Jahr im Parlament eine Monatsdiät, maximal 18. Wer einen neuen Job findet, muss sich die Einkünfte anrechnen lassen.
Und natürlich tuscheln alle, wer jetzt wo was werden könnte. Die Niedersachsen-Combo, die Mitarbeiter von Philipp Rösler, hätten es schwer, meinte einer aus der Truppe von Rainer Brüderle: „Für die gilt: Wir können nix außer Hochdeutsch.“ Die Juristen dürfen sich zur Not Anwaltsschilder an die Tür schrauben. Daniel Bahr habe nach Banklehre und dem Studium der Gesundheitsökonomie so viel Bundesministererfahrung, dass er bald beim Medizintechnikhersteller B. Braun als Vorstand an- fangen werde. Bahr lässt das dementieren.