Berlin intern

Hass als Standortnachteil

Gregor Peter Schmitz
Gregor Peter Schmitz Ehem. Leiter Hauptstadtbüro WirtschaftsWoche (Berlin)

Geldmanager sorgen sich um die politische Stabilität in Deutschland. Vor allem die Flüchtlingskrise hat die parteipolitischen Machtverhältnisse kräftig durcheinandergewirbelt.

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Obergrenze - wer ist dafür, wer dagegen?
Gerhard Schröder (SPD) erwartet in diesem Jahr erneut rund eine Million Flüchtlinge in Deutschland. „Wir werden das in diesem Jahr noch einmal schaffen, selbst wenn wir mit einer weiteren Million rechnen müssen - so alle Voraussagen“, sagte der Altkanzler. „Aber dann sind die Kapazitätsmöglichkeiten in den Kommunen, in den Ländern auch erschöpft.“ Und weiter: „Ich hätte nicht gesagt: Wir schaffen das“, sagte Schröder und bezog sich damit auf die entsprechende Aussage von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zur Flüchtlingsfrage. „Ich hätte gesagt: Wir können das schaffen, wenn wir bereit sind, Voraussetzungen dafür hinzubekommen.“ (Stand: 4. Februar 2016) Quelle: AP
Bundespräsident Joachim Gauck hat eine offene Diskussion über die Begrenzung des Flüchtlingszuzugs gefordert. Begrenzungsstrategien könnten „moralisch und politisch geboten“ sein, sagte Gauck im WDR-Rundfunk. Gerade in dem Bemühen, möglichst vielen Menschen helfend zur Seite zu stehen, könne es begründet sein, „dass man nicht allen hilft“. Es sei möglich, hilfsbereit und sorgenvoll zugleich zu sein, betonte Gauck. Es zeige sich, dass wir „das Für und Wider und das Maß an Aufnahmebereitschaft“ öffentlich besprechen müssen. (Stand: 4. Februar 2016) Quelle: REUTERS
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will eine spürbare Reduzierung des Flüchtlingszustroms in diesem Jahr erreichen. Eine Lösung der Flüchtlingskrise sehe sie in der Bekämpfung der Fluchtursachen und der Sicherung der Außengrenzen, sagte Merkel. „Ich verspreche Ihnen, weil ich weiß, dass es vielen Tag und Nacht durch den Kopf rumgeht, dass wir alles daran setzen, die Zahlen für dieses Jahr spürbar zu reduzieren“, fügte die Kanzlerin hinzu. Eine starre Obergrenze, wie von der Schwesterpartei CSU gefordert, lehnt die Kanzlerin bislang ab. (Stand: 22. Januar 2016) Quelle: AP
Sigmar Gabriel will "von einer chaotischen zu einer planbaren Zuwanderung kommen". Deutschland müsse "feste Kontingente für die Aufnahme von Flüchtlingen einführen, um die Kontrolle zu behalten, wie viele Menschen kommen und wann sie kommen", sagte der Wirtschaftsminister der der Funke-Mediengruppe. Deutschland könne deutlich mehr als die von CSU-Chef Horst Seehofer genannten 200.000 Flüchtlinge im Jahr aufnehmen. "Aber das Kontingent muss auch deutlich unter den Zuwanderungszahlen des vergangenen Jahres liegen." Zwar stimme der Satz von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), das Asylrecht kenne keine Obergrenze, sagte der Vizekanzler. "Aber in einer Demokratie entscheiden die Bürger. Und ich rate uns allen, diese Grenze, die das Land aufzunehmen in der Lage ist, nicht auszutesten." Wenn die Maßnahmen zur Verringerung der Flüchtlingszahlen im Frühjahr nicht wirkten, "bewegen wir uns auf Zahlen zu, die schwierig werden". (Stand: 16. Januar 2016) Quelle: dpa
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) warnt vor einer Überforderung Deutschlands in der Flüchtlingskrise. "Jeder sieht ein, dass wir nicht die ganze Welt aufnehmen können", sagte Schäuble. "Zu Unmöglichem kann man nicht verpflichtet werden." Schäuble forderte, Deutschland und Europa müssten sich künftig deutlich stärker finanziell und sicherheitspolitisch im Nahen und Mittleren Osten und in Afrika engagieren, um den Flüchtlingszuzug einzudämmen. Der Finanzminister stärkte zudem der wegen ihres Kurses in der Flüchtlingspolitik auch innerparteilich in die Kritik geratenen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den Rücken. "Sie kämpft darum, dass Europa so wenig wie möglich beschädigt wird. Darin unterstütze ich sie", sagte Schäuble. (Stand: 2. Februar 2016) Quelle: dpa
Die CSU setzt in der Flüchtlingskrise voll auf Konfrontation mit der Bundeskanzlerin und fordert eine Obergrenze von 200.000 Personen pro Jahr. „Wir werden diese Begrenzung weiterhin massiv einfordern - politisch, und möglicherweise auch rechtlich“, sagte Parteichef Horst Seehofer bei der Klausur der CSU-Landtagsfraktion in Wildbad Kreuth. Bayern erwägt zudem eine Verfassungsklage gegen die Bundesregierung, an der die CSU selbst beteiligt ist. (Stand 21. Januar 2016) Quelle: dpa
NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hält eine Obergrenze aus rechtlichen Gründen nicht für möglich. Sie unterstützt den Ansatz, die Fluchtursachen zu bekämpfen. Zugleich fordert sie, anerkannten Asylbewerbern unter bestimmten Umständen zu verbieten, sich den Wohnsitz innerhalb Deutschlands frei zu wählen. "Es darf nicht sein, dass alle Flüchtlinge, sobald sie anerkannt sind, wie prognostiziert in die Großstädte ziehen", sagte die SPD-Politikerin dem "Kölner Stadt-Anzeiger". (Stand: 1. Februar 2016) Quelle: dpa

Kapital ist ein scheues Reh, wusste schon Karl Marx, und Großkapital ist ein Rehkitz. Kein Bereich erscheint den Managern deutscher und europäischer Risikokapitalfirmen, ist in einer aktuellen Umfrage aus dem Hause Roland Berger nachzulesen, derzeit ähnlich riskant wie das politische Geschäft. „Politische Stabilität“ treibe sie am meisten um, geben die Geldmanager an. Dass dieser in Europa Gefahr droht, ist spätestens seit Beginn der Euro-Krise bekannt. Aber es gab auf dem Kontinent lange eine Bastion, und sie hieß Deutschland. Die Sorge, als Reformregierung nicht wiedergewählt zu werden, gebe es hier nicht, tönte es in Berlin (vielleicht auch weil kaum Reformen durchgesetzt wurden, während die Bundesregierung sie dem Rest Europas dringend empfahl). Auch um populistische Parteien müsse man sich keine Sorgen machen. Aus, vorbei, nie wieder? Binnen Wochen hat sich die deutsche Parteienlandschaft in der Flüchtlingskrise selbst zerlegt.

Wird die AfD langfristig erfolgreich sein?

Die AfD scheint in einigen Bundesländern auf dem Weg zur Volkspartei, bei der SPD hingegen können sich mancherorts Mitglieder mit Namen begrüßen. Die Union verharrt im Dauerzoff, und die Grünen schwanken zwischen Pragmatismus und Prinzip. Solche Verwerfungen könnten nach der Non-Debatten-Kultur der früheren Merkeljahre durchaus erfrischend sein. Doch folgt in Deutschland auf offene Apathie offenbar gleich offene Aggression (weshalb Zeiten, als „Wutbürger“ friedliche Gegner von Bahnhofsprojekten waren, im Rückblick fast paradiesisch erscheinen).

Diese politischen Baustellen müssen 2016 bewältigt werden
FlüchtlingskriseEine rasche Trendwende ist nicht zu erwarten. Niemand weiß, wie sich die Zahl der Flüchtlinge und Asylbewerber entwickelt. Die Kostenplanungen für 2016 gehen von etwa 800 000 Flüchtlingen aus. Das dürfte den Staat allein im nächsten Jahr etwa 20 Milliarden Euro kosten - nach jetziger Schätzung. Bisher gibt es keinen verbindlichen Plan - auch der EU nicht -, die Zuwanderung zu begrenzen. Die EU-Verteilung greift nur schleppend. Die Integration von Flüchtlingen, schnellere Asylverfahren sowie gemeinsame europäische Lösungen bleiben zentrale Themen. Mehr Geld wird im Kampf gegen Fluchtursachen und für Hilfen an Länder in der Krisenregion fällig. Quelle: dpa
Anti-Terror-KampfDie Bundesregierung will sich auch militärisch am internationalen Einsatz gegen die Terrororganisation IS beteiligen - und zwar auch ohne UN-Mandat. Die Bundesregierung wollte Deutschland ursprünglich aus den Luftangriffen gegen den IS heraushalten. Der Terror von Paris hat die Haltung aber verändert. Quelle: dpa
Innere SicherheitMit dem militärischen Eingreifen wächst die Gefahr, dass auch Deutschland Ziel terroristischer Anschläge wird. Die Sicherheitsbehörden haben nach den Anschlägen von Paris bereits aufgerüstet. Die Debatte um schärfere Sicherheitsgesetze, Einschränkungen der Bürgerrechte sowie einen Einsatz der Bundeswehr auch im Innern dürfte intensiver werden. Quelle: dpa
Ukraine-KonfliktDer Ukraine-Konflikt schwelt weiter. Bei der angestrebten Lösung spielt Deutschland eine herausgehobene Rolle. Es wird 2016 auch darum gehen, die Spannungen mit Russland abzubauen. Quelle: REUTERS
EuropaDie Europäische Union ist in einer tiefen Krise. Es häufen sich die Warnungen vor einem Bruch. In der Flüchtlingskrise nehmen nationale Egoismen zu, nationalistische Töne machen sich breit. Die offenen Grenzen wackeln - ohne „Schengen“ droht aber dem Euro und dem Binnenmarkt ein herber Rückschlag. Quelle: REUTERS
GriechenlandDie Schuldenkrise in Griechenland dauert an - auch wenn sie ein wenig aus dem Blickfeld geraten ist. Zuletzt hatte die Athener Regierung weitere Reformen beschlossen und Hilfen aus dem dritten Rettungspaket erhalten, das 86 Milliarden Euro umfasst. Von zentraler Bedeutung ist, ob der Internationale Währungsfonds (IWF) bei der Lösung der Schuldenkrise weiter mit im Boot bleibt. Quelle: dpa
Bund-Länder-FinanzenIn den Verhandlungen über die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzen ab dem Jahr 2020 haben sich die 16 Länder auf ein gemeinsames Konzept verständigt. Jetzt stehen schwierige Verhandlungen mit dem Bund an. Denn der soll nach dem Willen der Länder Ausgleichszahlungen von anfangs jährlich knapp 9,7 Milliarden Euro leisten. Der Bund hatte dagegen 8,5 Milliarden Euro angeboten. Nach den Plänen der Länder soll der Länderfinanzausgleich abgeschafft und durch ein Umsatzsteuermodell ersetzt werden. Quelle: dpa

Heute wütet CSU-Chef Horst Seehofer gegen die „Herrschaft des Unrechts“, obwohl seine Partei im Bund mit herrscht. Der SPD-Chef schwadroniert von rechtem „Pack“, und Gefühle scheinen wichtiger geworden zu sein als Fakten. Ein AfD-Vorstandsmitglied kommentierte einen Bericht des Bundeskriminalamtes, nach dem die Zahl der Asylsuchenden proportional stärker anstieg als die der von ihnen verübten Straftaten, es sei „dem deutschen Bürger schnuppe, ob die Statistik stimmt, wenn die gefühlte Bedrohungslage immer weiter ansteigt“.

Die Linke und der Unrechtsstaat DDR

Ein Problem der neuen Unsicherheit plus Unübersichtlichkeit: Es bilden sich nicht mehr Koalitionen, die aus Neigung zusammenfinden, sondern aus Not, das perpetuiert das Misstrauen. Stabile Lager gehören der Vergangenheit an. Gut möglich, dass in den drei Bundesländern, die Mitte März wählen, selbst eine große Koalition nicht genug Mandate zusammenbringt. Zugleich geht die Schrumpfkur der Parteien weiter: SPD und CDU haben seit 1990 fast die Hälfte der Mitglieder verloren, nur noch jeder vierte Bürger vertraut Parteien. Sind die aber zunehmend von Mitgliedern abgekoppelt, vermag eine starke Persönlichkeit sie leichter zu kapern, wie Donald Trump in den USA vormacht.

Derlei Instabilität kann ein Standortproblem werden, das haben viele Studien belegt. Marcel Fratzscher, Chef des DIW-Forschungsinstituts, legt bald ein Buch zum drohenden „Verteilungskampf“ vor – und sieht den etwa durch die jüngsten fremdenfeindlichen Ausschreitungen in Sachsen angeheizt. „Abschreckend“ seien diese, fähige Arbeitnehmer würden abwandern oder gar nicht kommen. Die Folge: Ohnehin rückständige deutsche Gegenden fielen noch weiter zurück. Hass ist, so viel scheint sicher, weder ein Import- noch ein Exportschlager.

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