Berlin intern

Industrieverband BDI - einst mächtig, jetzt schmächtig

Gregor Peter Schmitz
Gregor Peter Schmitz Ehem. Leiter Hauptstadtbüro WirtschaftsWoche (Berlin)

Der BDI-Chef wechselt unzeremoniell: Wenig feierlich übernimmt Dieter Kempf die Spitze des einst mächtigen Industrieverbands von Ulrich Grillo. Das ist typisch dafür, wie unauffällig Industrieverbände geworden sind.

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Dieter Kempf, designierter BDI-Präsident, soll auf Ulrich Grillo folgen Quelle: dpa

Der Wechsel kündigte sich nicht in einer Exklusivmeldung an, auch nicht durch ein Exklusivinterview. Er geschah per Presseauftritt und Pressemitteilung, an einem ganz gewöhnlichen Montagvormittag. Ulrich Grillo, Präsident des Bundesverbandes des Deutschen Industrie (BDI), hieß es darin, habe seinen langjährigen Vizepräsidenten Dieter Kempf zu seinem Nachfolger vorgeschlagen. Punkt. Fertig. Unzeremonieller geht es kaum.

Die schmucklose Kommunikation ist durchaus symptomatisch für die Lage des größten deutschen Industrieverbandes, rund 180 Mitarbeiter, über 20 Millionen Jahresbudget, Vertreter von mehr als 100.000 Unternehmen. Grillo, im Hauptberuf Chef der traditionsreichen Grillo Werke (Chemie und Metall) im Ruhrgebiet, galt nämlich durchaus als wackerer Verbandsvertreter, den man prunkvoller hätte verabschieden können. Mit Einstecktuch gab er in Talkshows die Stimme der wirtschaftlichen Vernunft, auf Kanzlerinnenreisen war er ein gern gesehener Gast. Auch den designierten Nachfolger Kempf hätte man mit mehr Selbstbewusstsein vorstellen können: in der Softwarefirma DATEV in Nürnberg hat er an deutscher Erfolgsgeschichte mitgeschrieben, er wird zudem der erste BDI-Vertreter mit einer soliden Verankerung im digitalen Neuland sein.

Dass der BDI dennoch so angeschlagen wirkt, ist also nicht personeller Natur, eher struktureller. Der Industrieverband, dessen einstiger Präsident Fritz Berg in den Fünfzigerjahren noch tönen konnte, er gehe zum Kanzler, dann sei ein missliebiges Projekt vom Tisch, ist in Berlin nur noch eine Stimme unter vielen – und für wen seine Vertreter sprechen, ist immer schwerer auszumachen.

von Jens Koenen, Klaus Stratmann

Das liegt daran, dass große Unternehmen in der Hauptstadt längst selbst präsent sind. Sie haben sich Toppolitiker als Repräsentanten eingekauft, zum Beispiel CDU-Mann Eckart von Klaeden (Daimler) oder Exkanzleramtschef Ronald Pofalla (Bahn). Sie richten pompöse Empfänge aus, wie sie die Bonner Republik nicht kannte. Und sie machen es mit ihren oft diversen Interessen, etwa bei der Energiewende, dem Dachverband immer schwerer, für alle zu sprechen.

Zum strukturellen Pech gesellt sich temporäres Unglück. Grillo und Verbandskollegen mögen als Reisebegleitung gern gesehen sein, viel Einfluss auf die Regierung Merkel haben sie nicht. Den eher sozialdemokratisch geprägten Koalitionsvertrag, mit Mindestlohn oder Rente mit 63, hat die allen Wirtschafts-Protesten zum Trotz getreulich abgearbeitet. Und Merkel weigert sich, die Genossin der Bosse zu geben. Als sie gerade die Stiftung Familienunternehmen beehrte, legte deren Vorsitzender noch einmal geflissentlich die Forderungen der Branche zur Erbschaftsteuer dar – mit Verweis auf 750.000 Arbeitsplätze, die seine Mitglieder hierzulande sicherten. Merkel konterte kühl, in ganz Deutschland gebe es immerhin 43 Millionen Erwerbstätige.

Wohlgemerkt: Derlei Probleme kennt keineswegs nur der BDI, ebenso die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) oder der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH). Vielleicht ist die Vielstimmigkeit Teil des Problems. In anderen Ländern vertritt ein großer Verband so gut wie alle Unternehmen.

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