Berlin intern

Sigmar Gabriel im Maschinenraum

Gregor Peter Schmitz
Gregor Peter Schmitz Ehem. Leiter Hauptstadtbüro WirtschaftsWoche (Berlin)

Belastungsgrenze für die SPD: In der Flüchtlingskrise will sie nicht die Drecksarbeit machen. Aber was dann? SPD-Chef Sigmar Gabriel kommt in der Flüchtlingskrise unter Druck. Eine Kolumne.

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Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD). Quelle: dpa

Ganz Deutschland debattiert über Obergrenzen, doch gibt es auch eine für Wortmeldungen von SPD-Chef Sigmar Gabriel? Selbst Gabriel-Kenner kommen derzeit kaum mit, so oft fällt ihm etwas ein. Mal will der Sozialdemokrat die Alternative für Deutschland (AfD) vom Verfassungsschutz beobachten lassen, mal stellt er öffentlich Angela Merkels europäischen Lösungsansatz infrage. Selbst als Gabriel vor Kurzem durchs sonnige Kuba spazierte, trieb ihn noch die Frage um, was kriminelle Ausländer eigentlich in Deutschland verloren hätten.


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Der Grund für so viele Ideen ist ein einziger: Angst. Und zwar vor dem Maschinenraum. In dem wähnte sich die SPD in der ersten großen Koalition, als Kanzlerin Merkel aus ihrer Sicht auf dem Sonnendeck posierte, während Sozialdemokraten im Maschinenraum die Gesetzes-Drecksarbeit machen mussten – und dafür schließlich vom Wähler auch noch abgestraft wurden.

Ähnliches fürchtet Gabriel in der Flüchtlingskrise. Zwar muss Merkel den Druck in Europa und ihrer Partei aushalten, aber Gerüchte über ihr politisches Ableben haben sich, frei nach Mark Twain, bislang als übertrieben herausgestellt. Stattdessen kann sich die Regierungschefin, zürnen Sozialdemokraten, als weltoffen zelebrieren, was Umfragen zufolge auch die Mehrheit der Deutschen sein wollen. Unterdessen schlagen sich überwiegend SPD-geführte Kommunen und Bundesländer mit den Mühen der Flüchtlingsaufnahme herum, ganz zu schweigen von milliardenschweren Integrationsfolgekosten etwa im (SPD-regierten) Arbeitsministerium. „Wir stellen dazu laufend Rechnungen an, doch kein Schwein interessiert sich dafür“, empört sich eine Spitzengenossin.

Obergrenze - wer ist dafür, wer dagegen?
Gerhard Schröder (SPD) erwartet in diesem Jahr erneut rund eine Million Flüchtlinge in Deutschland. „Wir werden das in diesem Jahr noch einmal schaffen, selbst wenn wir mit einer weiteren Million rechnen müssen - so alle Voraussagen“, sagte der Altkanzler. „Aber dann sind die Kapazitätsmöglichkeiten in den Kommunen, in den Ländern auch erschöpft.“ Und weiter: „Ich hätte nicht gesagt: Wir schaffen das“, sagte Schröder und bezog sich damit auf die entsprechende Aussage von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zur Flüchtlingsfrage. „Ich hätte gesagt: Wir können das schaffen, wenn wir bereit sind, Voraussetzungen dafür hinzubekommen.“ (Stand: 4. Februar 2016) Quelle: AP
Bundespräsident Joachim Gauck hat eine offene Diskussion über die Begrenzung des Flüchtlingszuzugs gefordert. Begrenzungsstrategien könnten „moralisch und politisch geboten“ sein, sagte Gauck im WDR-Rundfunk. Gerade in dem Bemühen, möglichst vielen Menschen helfend zur Seite zu stehen, könne es begründet sein, „dass man nicht allen hilft“. Es sei möglich, hilfsbereit und sorgenvoll zugleich zu sein, betonte Gauck. Es zeige sich, dass wir „das Für und Wider und das Maß an Aufnahmebereitschaft“ öffentlich besprechen müssen. (Stand: 4. Februar 2016) Quelle: REUTERS
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will eine spürbare Reduzierung des Flüchtlingszustroms in diesem Jahr erreichen. Eine Lösung der Flüchtlingskrise sehe sie in der Bekämpfung der Fluchtursachen und der Sicherung der Außengrenzen, sagte Merkel. „Ich verspreche Ihnen, weil ich weiß, dass es vielen Tag und Nacht durch den Kopf rumgeht, dass wir alles daran setzen, die Zahlen für dieses Jahr spürbar zu reduzieren“, fügte die Kanzlerin hinzu. Eine starre Obergrenze, wie von der Schwesterpartei CSU gefordert, lehnt die Kanzlerin bislang ab. (Stand: 22. Januar 2016) Quelle: AP
Sigmar Gabriel will "von einer chaotischen zu einer planbaren Zuwanderung kommen". Deutschland müsse "feste Kontingente für die Aufnahme von Flüchtlingen einführen, um die Kontrolle zu behalten, wie viele Menschen kommen und wann sie kommen", sagte der Wirtschaftsminister der der Funke-Mediengruppe. Deutschland könne deutlich mehr als die von CSU-Chef Horst Seehofer genannten 200.000 Flüchtlinge im Jahr aufnehmen. "Aber das Kontingent muss auch deutlich unter den Zuwanderungszahlen des vergangenen Jahres liegen." Zwar stimme der Satz von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), das Asylrecht kenne keine Obergrenze, sagte der Vizekanzler. "Aber in einer Demokratie entscheiden die Bürger. Und ich rate uns allen, diese Grenze, die das Land aufzunehmen in der Lage ist, nicht auszutesten." Wenn die Maßnahmen zur Verringerung der Flüchtlingszahlen im Frühjahr nicht wirkten, "bewegen wir uns auf Zahlen zu, die schwierig werden". (Stand: 16. Januar 2016) Quelle: dpa
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) warnt vor einer Überforderung Deutschlands in der Flüchtlingskrise. "Jeder sieht ein, dass wir nicht die ganze Welt aufnehmen können", sagte Schäuble. "Zu Unmöglichem kann man nicht verpflichtet werden." Schäuble forderte, Deutschland und Europa müssten sich künftig deutlich stärker finanziell und sicherheitspolitisch im Nahen und Mittleren Osten und in Afrika engagieren, um den Flüchtlingszuzug einzudämmen. Der Finanzminister stärkte zudem der wegen ihres Kurses in der Flüchtlingspolitik auch innerparteilich in die Kritik geratenen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den Rücken. "Sie kämpft darum, dass Europa so wenig wie möglich beschädigt wird. Darin unterstütze ich sie", sagte Schäuble. (Stand: 2. Februar 2016) Quelle: dpa
Die CSU setzt in der Flüchtlingskrise voll auf Konfrontation mit der Bundeskanzlerin und fordert eine Obergrenze von 200.000 Personen pro Jahr. „Wir werden diese Begrenzung weiterhin massiv einfordern - politisch, und möglicherweise auch rechtlich“, sagte Parteichef Horst Seehofer bei der Klausur der CSU-Landtagsfraktion in Wildbad Kreuth. Bayern erwägt zudem eine Verfassungsklage gegen die Bundesregierung, an der die CSU selbst beteiligt ist. (Stand 21. Januar 2016) Quelle: dpa
NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hält eine Obergrenze aus rechtlichen Gründen nicht für möglich. Sie unterstützt den Ansatz, die Fluchtursachen zu bekämpfen. Zugleich fordert sie, anerkannten Asylbewerbern unter bestimmten Umständen zu verbieten, sich den Wohnsitz innerhalb Deutschlands frei zu wählen. "Es darf nicht sein, dass alle Flüchtlinge, sobald sie anerkannt sind, wie prognostiziert in die Großstädte ziehen", sagte die SPD-Politikerin dem "Kölner Stadt-Anzeiger". (Stand: 1. Februar 2016) Quelle: dpa

Gesellschaft nicht allein lassen

Also will Gabriel Merkels „Wir schaffen das“ nicht aufheben, aber realistisch abwandeln, sodass der Satz auch für deutsche Schweißer oder Langzeitarbeitslose nachvollziehbar bleibt. Sonst werde daraus ganz schnell „Ihr schafft das schon“, sagt er, und damit dürfe man die Gesellschaft nicht allein lassen.

Aber erst mal muss der SPD-Chef seine Partei mitnehmen, die ihn im Dezember mit einem schwachen Wiederwahlergebnis demütigte. Viele Sozialdemokraten führten sich auf wie Vertreter von Pro Asyl, heißt es genervt aus seinem Umfeld. Bei einer Klausurtagung brach gerade aus Gabriel heraus, man könne sich ja laufend gutmenschenhaft unterhaken, eine Lösung sei das auch nicht.

Unterstützung bekommt der nervöse Vorsitzende zwar indirekt von Altkanzler Gerhard Schröder, der eine Art Stichtag für den Flüchtlingszuzug vorschlug Aber seine zahlreichen linken Parteigegner fühlen sich unwohl mit dem Rechtskurs. Gleichzeitig müssen SPD-Demoskopen feststellen, dass Anhänger, die zur AfD abwandern, dauerhaft verloren scheinen und bei den wichtigen März-Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz neue Verluste drohen. Dort steht zwar auch die Union unter Druck, sie könnte aber dank der starken AfD danach dort wieder die Regierungschefs stellen, Stichwort Sonnendeck. Gut möglich also, dass sich im März nicht die Kanzlerinnenfrage stellt, sondern die Vizekanzlerfrage (und die Kandidatenfrage). Gabriel-Rivalin Andrea Nahles bringt sich schon mit pragmatischen Vorschlägen zur Flüchtlingsfrage in Stellung. Der Weg aus dem Maschinenraum ist lang und schmutzig.

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