
Vor ein paar Tagen saß Andrea Nahles (SPD) auf einem Gewerkschaftspodium. Der Abend hatte gemütlich begonnen, die Arbeitsministerin war aufgeräumter Stimmung. Die hielt aber nicht lange. Es genügte das Stichwort Mindestlohn, schon giftete sie los gegen „Kramer und seine Kombattanten“ – gemeint waren der (drei Stühle weiter sitzende) Arbeitgeber-Präsident und der (nicht geladene) CDU-Wirtschaftsflügel, die Nahles aufgebracht bezichtigte, gemeinsame Sache zu machen, um ihre Politik zu demontieren, wo irgend möglich.
Wenige Tage später saß Hubertus Heil (SPD) im Bundestag. Auch sein Morgen hatte freundlich begonnen. Aber auch das änderte sich schnell. Der einflussreiche Fraktionsvize ätzte plötzlich in Richtung Koalitionspartner . In der Energiepolitik gäbe es ein ständiges Hin und Her, keine Linie, keine Peilung. Heils Urteil: „Geisterfahrer.“
Die Geschichte der SPD
Ferdinand Lassalle gründet am 23. Mai den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (ADAV) in Leipzig, der Vorläufer der SPD. Das Datum gilt als Geburtstag der deutschen Sozialdemokratie.
Auf einem Parteitag in Erfurt gibt sich die SPD ein neues Programm und wird zur Massenpartei - für die Rechte von Arbeitern.
Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges ruft der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann am 9. November in Berlin die Republik aus. SPD und USPD bilden für kurze Zeit eine Revolutionsregierung.
Nach den Wahlen zur Nationalversammlung wird der Sozialdemokrat Friedrich Ebert Reichspräsident.
Mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar endet die Weimarer Republik. Die Sozialdemokraten lehnen am 23. März das Ermächtigungsgesetz ab, im Juni verbietet Hitler die SPD. In der Folge werden zahlreiche Sozialdemokraten verfolgt, ermordet und in Konzentrationslagern eingesperrt.
SPD und KPD werden in der sowjetischen Besatzungszone unter Druck zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) vereint.
Mit dem Godesberger Programm wandelt sich die SPD im Westen von einer Klassen- zu einer pluralistischen Volkspartei.
Zum ersten Mal ist die SPD in der Bundesrepublik an einer Regierung beteiligt: der Großen Koalition mit der CDU/CSU.
Willy Brandt ist Bundeskanzler der SPD/FDP-Koalitionsregierung. Nach seinem Rücktritt wegen der Affäre um den DDR-Spion Günter Guillaume folgt ab 1974 Helmut Schmidt als Kanzler (bis 1982).
West- und Ost-SPD vereinigen sich zu einer gesamtdeutschen SPD.
Dritter SPD-Bundeskanzler wird Gerhard Schröder (bis 2005). Die SPD regiert mit den Grünen. Mit dem Namen Schröder sind auch die umstrittenen Arbeitsmarktreformen der „Agenda 2010“ verbunden.
Die SPD kommt mit Spitzenkandidat Frank-Walter Steinmeier auf nur 23 Prozent der Stimmen und verliert ihre Regierungsbeteiligung. Nach der Wahlniederlage wird Sigmar Gabriel zum neuen Parteivorsitzenden gewählt.
Nun sind solche Ausbrüche, zumindest auf der Gurkentruppen-Wildsau-Skala der Vorgänger-Koalition, noch moderat. Aber sie zeigen, wie gereizt, genervt und aggressiv die SPD gerade ist.
25 Prozent gab es im Herbst 2013 für das Wahlprogramm mit Mindestlohn und Frührente, Frauenquote und Mietpreisbremse. Anderthalb Jahre später sind all diese Herzensanliegen Gesetz. Zum Dank verharrt die SPD in Umfragen bei den gleichen 25 Prozent. Dass der Wähler die Großtaten nicht viel besser honoriert, verstehen die Genossen nicht. „Wir leiden unter Liebesentzug“, klagt ein führender Kopf.





Programmatik und Erotik
In solchen Zeiten flüchtet sich die Partei dorthin, wo sie seit jeher Erbauung findet: ins Herbeischreiben einer besseren Welt. Programmatik und Erotik sind für wahre Genossen nie ganz zu trennen. „Projekt Zukunft: #Neue Gerechtigkeit“ heißt der Titel für sechs Bundestags-AGs von Innovation bis Zuwanderung, die SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann bis ins kommende Jahr werkeln lassen will. Allein der pathetische Name und das hippe Hashtag sorgen im eigenen Laden gleich für bessere Laune.
Oppermanns Offensive ist außerdem der Versuch, Defizite an anderer Stelle auszugleichen: an der Spitze. Sigmar Gabriel, der Parteivorsitzende und Wirtschaftsminister, ist noch unangefochten, aber die bedingungslose Gefolgschaft zu Anfang der großen Koalition mischt sich mit erster Skepsis. „Egal, ob TTIP, Pegida oder Energiewende – Sigmar ist überall auf dem Platz“, sagt ein Abgeordneter. „Aber er macht keine Tore für uns.“ Ein anderer sagt: „Es ist einsamer um ihn geworden.“
Es fehlt den Sozialdemokraten an einer bestechenden Story. Und es fehlt an einem neuen Blick auf sich selbst. Zum Beispiel dem, sich nicht nur als Erfüllungsgehilfin der Gewerkschaften zu sehen.
Selbstständige, Gründer, Macher
Schon bald gäbe es Gelegenheit, diese Sicht auszuprobieren: Mitte April feiert das neue SPD-Wirtschaftsforum seine Gründung. Der dafür auserkorene Präsident, Ex-TUI-Chef Michael Frenzel, wird dann Gabriel als Ehrengast begrüßen können und sicher die Erwartung hinterlegen, ihren Stimmen künftig mehr Gehör zu schenken. Und da wäre noch die ebenso neue wie ambitionierte Junge Gruppe im Bundestag um Parlamentarier wie Christian Flisek und Lars Klingbeil, die ihre Partei endlich für die Anliegen von Selbstständigen, Gründern und Machern öffnen wollen.
Den passenden Claim für morgen könnte ausgerechnet einer von gestern liefern: Peer Steinbrück hatte im Wahlkampf ab und an leise einen Satz gesagt, der viel besser war als der offizielle Slogan. Er ging so: „Die Partei für die, die noch was vorhaben“.
Vielleicht einfach mal laut sagen.