Berlin intern

Terrorangst verhindert Steuersenkungen

Gregor Peter Schmitz
Gregor Peter Schmitz Ehem. Leiter Hauptstadtbüro WirtschaftsWoche (Berlin)

Winkt uns ein neuer Steuerwahlkampf? Wenig wahrscheinlich. Vielen Bürgern ist Sicherheit gerade teurer.

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Wolfgang-Schäuble Quelle: dpa

Das Aufregende an der ganzen Debatte ist, wie unaufgeregt sie verläuft. Der CDU-Wirtschaftsflügel – ja, den gibt es anderslautenden Gerüchten zum Trotz noch – hat am vergangenen Montag ein Steuerkonzept vorgelegt, für das die Begriffe „umfassend“ und „mutig“ ausnahmsweise mal nicht völlig abgestanden wirken.

In drei Stufen wollen die christdemokratischen Wirtschaftsexperten vor allem Klein- und Mittelverdiener um über 30 Milliarden Euro entlasten und so ein Drittel jener Steuermehreinnahmen, die bis zum Jahr 2020 anfallen sollen, zurückgeben.

Das Echo aber fiel, selbst unter mildernden Sommerlochumständen, verhalten aus. Über „Populismus“ schimpfte ein Oppositioneller, doch es klang, als habe er sich zu so viel Empörung erst aufraffen müssen. Richtig gerecht sei es nicht, moserte der Grünen-Politiker Gerhard Schick vorsichtig, Chefärzte stärker zu entlasten als Pflegekräfte.

Sogar Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), sonst seinen Etat streng bewachend, gab sich betont gelassen: Sein Umfeld ließ durchblicken, 30 Milliarden Euro seien ein bisschen viel. Aber die Hälfte könne man sich schon vorstellen. Ansonsten bedankte sich die Unionsspitze höflich für die Vorschläge und dürfte sie vermutlich ins Wahlprogramm für die Bundestagswahl 2017 aufnehmen.

Die ganze Gelassenheit offenbart: Steuerpolitik dürfte kaum der große Wahlkampfaufreger werden. Schuld daran ist vermutlich der Bürger selbst. Nicht nur geht es den Deutschen anscheinend zu gut, als dass sie sich über ein paar Euro zerfleischen wollen. Andere Bedrohungen rücken zudem buchstäblich näher. Wenn der „Islamische Staat“ („IS“) in Deutschland angreift, wird es etwas weniger wichtig, wie viel der deutsche Fiskus genau abgreift. Und fragt die Nation sich kollektiv, ob wir die Flüchtlingskrise schaffen, lässt die Abschaffung der kalten Progression offenbar viele kalt. Dass Investitionen in innere und äußere Sicherheit eher mehr Steuergeld erfordern als weniger, hat sich zudem mittlerweile republikweit herumgesprochen.

Die SPD dürfte es freuen, sollte die Steuerdebatte im Wahljahr ein Nebenschauplatz bleiben. Eine klare Linie zu dieser Frage haben die Sozialdemokraten nämlich noch nicht gefunden. Zwar betonten einige SPD-Vertreter diese Woche, auch sie wollten die Mittelschicht entlasten, dann müssten aber die Topverdiener mehr zahlen – etwa durch eine Anhebung des Spitzensteuersatzes nahe an die Grenze von 50 Prozent.

Doch wirklich entschlossen und kämpferisch klang das nicht. Das passt zu dem, was SPD-Wahlkampfinsider so berichten. Danach soll Außenminister Frank-Walter Steinmeier selbst unter einem Kanzlerkandidaten namens Sigmar Gabriel eine größere Rolle im Duell mit CDU-Kanzlerin Angela Merkel spielen als bislang erwartet – unter anderem, weil derzeit reges Interesse an dessen Auftritten zu Themen der großen Geopolitik festzustellen sei. Offenbar wird aus Sicht vieler Bürger gerade die Zukunft Deutschlands zwar nicht mehr am Hindukusch verteidigt, aber doch in der Türkei oder Syrien, vielleicht gar in München oder Ansbach. Und diese Front ist vielen gerade offensichtlich näher als selbst der Arbeitnehmerpauschbetrag.

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