
Angela Merkel mag denken, viel schlimmer als in dieser Flüchtlingskrise könne es für sie nicht mehr kommen. Weit gefehlt, es steht ja noch der 8. November 2016 bevor, Tag der US-Präsidentschaftswahl. Dann muss Kanzlerin Merkel vielleicht ein besonders seltsames Glückwunschtelefonat führen: mit dem 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Donald J. Trump.
Noch tun Berlins Mächtige dieses Szenario als utopisch ab, doch ganz sicher sind sie auch nicht mehr. Schon weil Merkel selber eine ungewöhnliche politische Karriere hinter sich hat, weiß sie, wohin einen Glück und Chuzpe führen können. Und mit jedem Tag, an dem Trump die Regeln herkömmlicher US-Wahlkämpfe auf den Kopf stellt, wächst in Berlin die Angst, er könne auch die Regeln des deutsch-amerikanischen Verhältnisses ganz neu testen.





Dass Trump Merkel vorgehalten hat, sie zerstöre mit ihrer „geisteskranken“ Willkommenskultur Deutschland, wird die Kanzlerin vergessen können, sie kennt das politische (Zuspitzungs-)Geschäft. Auch Trumps Schwärmerei für Russlands Wladimir Putin sehen viele gelassen, schwierige Amis ist man gewöhnt. Richard Nixon beschimpfte einst Willy Brandt als Idioten, George W. Bush warf Gerhard Schröder Wortbruch zum Irakkrieg vor und massierte Merkel ungebeten den Nacken. Dem übermütigen Kandidaten Barack Obama musste Merkel einen Wahlkampfauftritt vor dem Brandenburger Tor ausreden.
Bei Trump stünde eher zu fürchten, dass er eine ähnliche Rallye auf der Kölner Domplatte abhielte. Wichtiger aber ist ein anderer Unterschied: Amerikanische Politiker mögen hässliche Dinge tun, doch sie zeigen in aller Regel öffentlich kein hässliches Gesicht, schon gar nicht, wenn sie noch ins Weiße Haus wollen.
Trump hingegen wütet bereits als Kandidat ungehemmt gegen Frauen und Einwanderer (es sei denn, es handelt sich um langbeinige osteuropäische Models, wie seine Ex-Frau und Derzeit-Frau), er äfft Behinderte nach und wiederholt monoton, echt reich und daher auch echt schlau zu sein. Kurz: Der Baumogul bemüht wie mit der Abrissbirne das Zerrbild des hässlichen Amerikaners, der Freiheit vor allem als die Freiheit versteht, ein arrogantes Großmaul zu sein.
Natürlich würde auch Trump im Amt reifen, obschon die Bundesregierung ihn wohl auf eine Armlänge Abstand hielte. Aber womöglich ist der Schaden längst angerichtet. Selbst wenn Trump nicht viele Stimmen erhielte, wäre ihm ein Triumph kaum zu nehmen: Kompromissbereitschaft und politischer Anstand gelten zumindest bei den Republikanern nicht länger als politische Verkaufsschlager. Genau diesen Anstand suchen viele Deutsche aber alle vier Jahre in den Vorwahlen von Iowa oder New Hampshire. Sie verfolgen den basisdemokratischen Auswahlprozess in Wohnzimmern und Kaffeehäusern so gebannt, weil sie – allen Enttäuschungen zum Trotz – immer wieder glauben wollen, dass das Edle, Schöne, Gute in der Demokratie doch siegen kann.
Konsequent wie kein moderner US-Kandidat verweigert Trump diese Hoffnung von Anfang an (Sarah Palin, seine Wegbereiterin, musste nie den Vorwahlprozess durchlaufen). Auf verwirrte deutsche Bürger – und Politiker – muss sein Aufstieg daher wirken, als erlebe das politische Grundlagensystem der USA, womit Trump selber Erfahrung hat: einen Bankrott.