Berlin intern

Warum stellen die Dax-Konzerne keine Flüchtlinge ein?

Max Haerder
Max Haerder Leiter Hauptstadtbüro WirtschaftsWoche (Berlin)

Angela Merkel macht das Thema „Jobs für Flüchtlinge“ zur Chefsache. Hätte sie mal bessere Berater bemüht.

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Angela Merkel. Quelle: dpa

Es gibt einen Termin in der Hauptstadt, der längst sehr viele Menschen beschäftigt, den aber noch niemand vonseiten der Regierung offiziell bestätigen will. Was umso erstaunlicher ist, als die Einladungen das Bundeskanzleramt längst verlassen haben. Um genau zu sein: bereits Ende Juli. „Im Namen der Bundeskanzlerin“ bittet darin Amtschef Peter Altmaier ausgewählte Dax-Bosse und Konzernlenker um persönliches Erscheinen. Am Mittwoch, dem 14. September, ab 19.30 Uhr soll Deutschlands Wirtschaftselite im „Internationalen Konferenzsaal“ mit der Bundeskanzlerin auf gemeinsame Spurensuche gehen: Was tun, damit endlich mehr Flüchtlinge in Deutschland Arbeit finden?

Seitdem wird über den Jobgipfel im Kanzleramt eine Menge geraunt. Altmaier formuliert es in seinem Schreiben zwar ausgesucht höflich als Bitte zum „Gedankenaustausch“. Aber in den Unternehmenszentralen ist selbstverständlich höchst aufmerksam registriert worden, dass Merkel vor einigen Tagen ihre CDU-Parteivize Julia Klöckner in Marsch setzte, um das bisherige Engagement der Wirtschaft als „beschämend“ zu geißeln. Das war schon deutlich weniger höflich. Und es hat die Vorfreude nicht gerade beflügelt.

Dabei ist ohnehin fraglich, ob Merkel sich die richtige Gäste für ihren Arbeitsmarkt-Abend ausgesucht hat. Denn geladen sind nur die Mitglieder der Initiative „Wir zusammen“ – ein Zusammenschluss von mehr als 30 Firmen, die der umtriebige Internetunternehmer Ralph Dommermuth Anfang des Jahres mit viel Werbetamtam ins Leben gerufen hat. Darunter so klangvolle Namen wie Adidas und Henkel, Lufthansa und Telekom, Sixt, Evonik, Haniel.

Wie Dax-Konzerne Flüchtlingen helfen – oder auch nicht
Als die Flüchtlingszahlen stiegen, brüstete sich die deutsche Wirtschaft mit großen Versprechungen: Daimler-Chef Dieter Zetsche orakelte von einem neuen Wirtschaftswunder, BDI-Chef Ulrich Grillo versprach, die Industrie werde „ganz vorne“ mitmachen bei der Integration von Asylbewerbern in den Arbeitsmarkt. Quelle: dpa/picture-alliance
Viele Initiativen gründeten sich, viele prominente Stimmen meldeten sich zu Wort, ein Credo: Arbeit, Sprache, Bildung sind die Basis gelungener Integration, und überhaupt: Deutschland brauche diese Leute. Quelle: dpa/picture-alliance
Was ist nun aus den großen Versprechungen geworden? Ein Streifzug durch die deutsche Arbeitswelt zeigt: Manche tun nicht viel, außer sich mit der Mitgliedschaft in einer der werbeintensiven Hilfsinitiativen zu brüsten, andere spenden siebenstellige Beträge oder schaffen Hunderte Praktikums- und Ausbildungsplätze. Neben dem Erwartbaren findet sich in der Palette der Hilfsangebote aber auch manche Überraschung. Quelle: dpa/picture-alliance
Der Sportkonzern hat auch 30 Praktikumsplätze in den Bereichen Handel, Logistik und diversen Abteilungen am Headquarter geschaffen. Aber es gibt auch Sport-, Spiel- und Bastelnachmittage mit den Flüchtlingen hier in Herzogenaurach, und engagierte Mitarbeiter können finanzielle Unterstützung für „ihre“ Flüchtlingsprojekte anfragen. Dann gibt es aus dem Adidas-Fördertopf zum Beispiel Trikots für Fußball-Teams oder Schuhe für die Läufer, die am Stadtlauf teilnehmen. Quelle: dpa/picture-alliance
Der Reifenhersteller konzentriert sich auf das Wesentliche: Arbeit und Sprache. Deutschlandweit hat der Konzern in Zusammenarbeit mit der Bundesagentur für Arbeit 50 Plätze für eine sogenannte Einstiegsqualifizierung geschaffen. Das Programm dauert sechs bis zwölf Monate und soll die Leute fit machen für den Arbeitsmarkt. Ziel ist zum Beispiel die Übernahme in eine Ausbildung bei Conti – zehn Flüchtlinge haben bereits einen Vertrag für die Qualifizierung unterschrieben. Quelle: dpa/picture-alliance
Die Deutsche Post hat bereits mehr als 150 Flüchtlinge auf Praktika im Konzern vermittelt, mehr als 50 Menschen unter anderem aus Ruanda, Eritrea, Togo und Syrien sind außerdem auf konkrete Arbeitsplätze angestellt worden. Besonders stolz ist der Konzern auf seine Mitarbeiter: Mehr als 13.000 Beschäftigte engagieren sich in mehr als 650 Projekten. Auch nett: Etwa 26.000 Quadratmeter Liegenschaften hat der Konzern den Kommunen überlassen, um zum Beispiel Notunterkünfte oder Kleiderkammern einzurichten. Quelle: dpa/picture-alliance
Der Stromkonzern ist Gründungsmitglied der bundesweiten Initiative „Wir zusammen“, die vor allem Plattform zum Austausch über Projekte sein will. RWE ist aber auch Krise, weshalb man derzeit „keine Möglichkeit“ sehe, Flüchtlinge fest anzustellen. Immerhin gibt es zusätzliche 46 Praktikumsplätze und zwei Ausbildungsplätze. Außerdem geben Mitarbeiter Flüchtlingen Sprachkurse, dolmetschen oder lassen sich zu sogenannten Integrationslotsen ausbilden. Eine Aktion, die für einen Stromkonzern vielleicht wie Peanuts anmutet, für die Flüchtlinge sicherlich von großer Bedeutung: In Zusammenarbeit mit der Telekom hat RWE in einem Erstaufnahmelager kostenfreies WLAN-Netz organisiert. Quelle: dpa/picture-alliance

Aber: Das Gros besteht eben aus Dax-Konzernen und anderen prominenten Großunternehmen – und die haben sich in den vergangenen zwölf Monaten trotz mancher Vorzeigeprojekte nicht gerade mit Einstellungen am Fließband hervorgetan: Weniger als 500 Flüchtlinge waren es bisher insgesamt. Die deutschen Industrie-Ikonen spüren bislang nun einmal kaum die Nöte des Fachkräftemangels, und ihr Bedarf an motivierten, aber ungelernten Syrern oder Afghanen hält sich gerade in den Hightechsektoren in überschaubaren Grenzen. Von einem neuen „Wirtschaftswunder“ (so Daimler-Boss Dieter Zetsche noch im Herbst 2015) ist jedenfalls noch nicht viel zu sehen.

Umso unverständlicher, dass diejenigen, die aus nächster Nähe und der Praxis des Mittelstands von all den Hürden und Problemen des Alltags berichten könnten, im September fehlen werden. Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer zum Beispiel? Nicht eingeladen. Oder der Vorsitzende des Familienunternehmer-Verbandes Lutz Goebel? Ebenfalls nicht dabei.

Bestenfalls, heißt es aus Konzernkreisen, bringe die Tafelrunde bei der Kanzlerin am Ende respektvolle Willensbekundungen von allen Seiten – und echte Erfolgsmeldungen dann vielleicht ein Jahr später. Das sei, fügt einer noch hinzu, eben der Unterschied zwischen Angela Merkel und ihrem Vorgänger Gerhard Schröder: Letzterer hätte nach einem Versprechen wie „Wir schaffen das“ kein ganzes Jahr gebraucht, um überhaupt auf die Idee zu kommen, einen Gipfel der Bosse einzuberufen.

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