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Berlin intern

Was die Mitgliederbefragung zum Problem macht

Henning Krumrey Ehem. Redakteur

Nicht dass die SPD-Mitglieder abstimmen dürfen, ist das Problem, sondern worüber. Denn sie können bewerten, was die Wähler nie zu Gesicht bekamen.

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Fragen und Antworten zum Koalitionsvertrag
Peer Steinbrück und Katrin Göring-Eckardt Quelle: dpa
Wie unfair ist die Rente?Von Generationengerechtigkeit darf kein Großkoalitionär mehr sprechen, ohne tiefrot zu werden. Beide Seiten genehmigten sich großzügigst Lieblingsprojekte für ihre Kernklientel. Die Union jubiliert über die Mütterrente (als Bonus für Geburten vor 1992). Die SPD bekommt ihre Rente mit 63 nach 45 Beitragsjahren, zu denen auch bis zu fünf Jahre als Arbeitslose zählen – ein Geschenk an Facharbeiter mit Ausbildung. Grotesk: Die Rente mit 67, eine Großtat der Vorgänger-GroKo, wird damit gezielt relativiert. „Der Beitragssatz muss wahrscheinlich schon 2016 wieder steigen“, prognostiziert Alfred Boss vom Institut für Weltwirtschaft. Sogar die gesetzliche Obergrenze von 20 Prozent im Jahre 2020 ist in Gefahr. „Schwarz-Rot handelt unverantwortlich“, sagt Boss. „Die Rentenpolitik ist eine Katastrophe.“ Quelle: dpa
Warum wird Pflege teure?Hier ist der Koalitionsvertrag mal eindeutig: Pflege wird teurer. Spätestens 2015 steigt der Beitrag zur gesetzlichen Pflegekasse um 0,3 Prozentpunkte und beträgt dann 2,35 Prozent vom Einkommen oder der Rente. Vor der Wahl 2017 soll der Beitrag erneut um 0,2 Punkte auf 2,55 Prozent erhöht werden. Kinderlose zahlen ohnehin mehr, für sie werden erst 2,6 Prozent des Einkommens fällig, dann 2,8 Prozent. Mit den zusätzlichen Einnahmen von insgesamt gut fünf Milliarden Euro im Jahr will die Koalition Demenzkranke versorgen und eine Demografiereserve aufbauen. Ungeklärt sind anspruchsvolle Fragen, etwa wie man Pflegebedürftigkeit bei Alzheimer misst. Fest steht, dass niemand, der bisher Leistungen bekam, schlechter stehen soll. Quelle: dpa
Wie gesund sind die Kassen?Bei der gesetzlichen Krankenversicherung bleiben Union und SPD ungenauer, es wird aber auch tendenziell teurer. Arbeitgeber und Versicherte zahlen nach dem Willen der Fast-schon-Regierung jeweils hälftig einen Beitragssatz von 14,6 Prozent des Einkommens oder der Rente. Der Anteil der Arbeitgeber wird auf Wunsch der Union bei 7,3 Prozent festgeschrieben. Kommt eine Krankenkasse mit dem Geld nicht aus, kann sie einen Zusatzbeitrag erheben. Der wird künftig aber nicht mehr in festen Beträgen – etwa acht Euro je Monat – erhoben, sondern ebenfalls prozentual zum Einkommen, also etwa 0,5 Prozent. Der bereits heute von Arbeitnehmern extra zu tragende Anteil von 0,9 Punkten soll in den Zusatzbeitrag einfließen. Der Satz von 14,6 Prozent liegt unter dem heute gültigen, von allen Kassen erhobenen einheitlichen Beitragssatz von 15,5 Prozent. Quelle: dpa
Wie teuer wird die Energie noch?Langsamer, aber wohl nicht billiger wird die Energiewende. Gebremst wird beim Zubau neuer Ökostromanlagen durch niedrigere Ziele: Erneuerbare sollen 2025 zwischen 40 und 45 Prozent des Stromverbrauchs und 2035 55 bis 60 Prozent des Stromverbrauchs liefern. Heute sind es knapp 25 Prozent. Doch auch Länder, die teils stark auf den Ausbau setzen, müssen mitziehen. Denkbar wird eine Regelung wie bei der Solarförderung: je stärker der Zubau, desto schneller sinkt die Subvention. Das könnte Investoren in ein Windhundrennen treiben: Rasanter Zubau würde die Kosten für die Verbraucher erst recht hochtreiben. Gegen strenge Kürzungen sprechen allerdings die Koalitionspläne für Windparks auf See. Ihre Betreiber bekommen die hohe Förderung von 19 Cent je Kilowattstunde auch noch, wenn ihre Anlage erst 2019 statt wie bisher vorgegeben bis 2017 ans Netz geht. Quelle: dpa
Hoffnung für Studenten?Ursprünglich planten die Koalitionäre eine Offensive für Deutschlands Bildungslandschaft. Der Bund sollte sich wieder dauerhaft an der Finanzierung der Hochschulen beteiligen dürfen. Doch die Grundgesetzänderung fiel in ideologische Gräben (die SPD wollte das Kooperationsverbot auch für Schulen kippen). Der Bund zahlt in den kommenden vier Jahren zwar drei Milliarden Euro mehr, um außeruniversitäre Forschungseinrichtungen und Hochschulen zu unterstützen. Aber der Streit geht weiter. Wiedervorlage in den Bund-Länder-Finanzverhandlungen. Quelle: dpa
Wer bezahlt bessere KiTas und Straßen?Na gut, Horst Seehofer hat seine Pkw-Maut. Experten bezweifeln aber, dass sie nennenswert zur Finanzierung der maroden Verkehrswege beiträgt. Aber auch ohne Vignette will die Koalition fünf Milliarden Euro mehr für Straßen, Schienen und Wasserwege geben, hinzu kommen sechs Milliarden Euro für den Bau von Krippen, Kitas, Schulen und Hochschulen. Der Wirtschaft ist dies zwar nicht genug, aber die wichtige Sanierung der Infrastruktur wird wenigstens begonnen. Quelle: dpa

Was war das nur für eine Inszenierung, neulich im „heute journal“? Die Schöne und das Biest? Oder: Der Dicke und das Biest? So ganz ließ sich nicht klären, wer letztlich angefangen hatte mit dem pampigen Gestänkere. Hatte Moderatorin Marietta Slomka zu penetrant den Eindruck erweckt, dass anstelle eines gleich die ganze Phalanx deutscher Verfassungsrechtler die SPD-Mitgliederbefragung zur Koalitionsvereinbarung für bedenklich hielte? Oder hatte der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel zu dünnhäutig reagiert, weil die schwankende Stimmung der eigenen Parteibasis ihm so auf die Nerven geht wie den Genossen das Verhandlungsergebnis mit der Union?

Richtig ist Gabriels Argument, dass es sicherlich nicht demokratischer ist, wenn anstelle von 470.000 SPD-Mitgliedern 181 Delegierte des CDU-Parteiausschusses oder die 55 Mitglieder des CSU-Parteivorstandes über den Koalitionsvertrag entscheiden. Beides begründet auch kein imperatives Mandat; die Bundestagsabgeordneten sind bei dem einen oder anderen Verfahren so frei oder fühlen sich gebunden, wie es ihr Gewissen (und natürlich auch der Fraktionszwang) eben zulässt.

Zwar wirken die Parteien bei der „Willensbildung des Volkes mit“, wie es Artikel 21 des Grundgesetzes vorsieht. Aber auch in einer repräsentativen Demokratie ist damit nicht vorgeschrieben, dass nur Delegierte entscheiden dürften, nicht die Basis. Andersherum: Während die CDU-Parteitagssitzer in den einzelnen Landesverbänden bereits vor x Monaten gewählt wurden, als von einer Elefantenhochzeit wenig und von diesem Koalitionsvertrag gar keine Rede war, die Übertragung der Stimmgewalt auf die Delegierten also höchst abstrakt erfolgte, entscheiden die Basisgenossen wenigstens im Lichte der vorliegenden Macht- und Sachfragen.

Das führt zu einem Gedankenspiel, wie derlei Legitimationsprobleme vermieden werden könnten. Nicht dass die SPD-Mitglieder abstimmen dürfen, ist das Problem, sondern worüber. Denn sie können bewerten, was die Wähler nie zu Gesicht bekamen.

Also wäre es doch viel ehrlicher und vor allem für den weiteren Fortgang der politischen Geschäfte viel besser, die Wähler stimmten nicht über mehr oder minder abstrakte Versprechen aus dem Wahlkampf-Wolkenkuckucksheim ab, sondern über die ganz konkreten Verhandlungsergebnisse. Da man nicht nach jeder Bundestagswahl einen quasi zweiten Wahlgang mit den Ergebnissen machen könnte (zumal dann vielleicht herauskäme, dass die Bürger diese konkrete Vereinbarung auf Vorhaben für die nächsten vier Jahre dann gar nicht mehr möchten), bliebe nur ein verrückt klingender Vorschlag:

Zur Abstimmung stehen bei der Bundestagswahl nicht Parteien, sondern Koalitionsverträge. Dann müsste der Bürger nicht mehr die Katze im Sack kaufen, sondern könnte sich für ein ganz konkretes Programm entscheiden. Beim jüngsten Urnengang hätte es dann ein schwarz-gelbes, ein schwarz-rotes und vielleicht gar ein schwarz-grünes Programm gegeben.

Außerdem natürlich ein rot-grünes Angebot, eventuell auch ein rot-rot-grünes. Die Variante mit der höchsten Zustimmung wird dann Regierungspolitik.

Zugegeben, nur ein Gedankenspiel. Aber für sich allein werben könnte trotzdem jede Partei, denn für alle Parteien und alle verhandelten Konstellationen darf und sollte das selbstbewusste, machtpolitische Einmaleins gelten: Jede Regierung mit uns ist besser als jede Regierung ohne uns.

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