Berlin Schicksalswahl für die Piratenpartei

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Mitgliederentwicklung der Piratenpartei Quelle: Piratenpartei

Die Piratenpartei hingegen kämpft vor allem mit sich selbst. Einerseits fehlt es ihr an prominenten Köpfen, andererseits wird jeder, der sich zu sehr profiliert, argwöhnisch beäugt. Wie einst die Grünen, die sich als Antiparteienpartei verstanden, wollen die Piraten anders sein als die anderen Parteien und pflegen eine Basisdemokratie, die eine Entscheidungsfindung oft kaum möglich macht.

Auf Parteitagen gibt es keine Delegierten, jeder kann kommen und mitdiskutieren. Mindestens genauso lange wie über die Inhalte wird dann darüber gestritten, ob Geschäftsordnungsantragsteller einen Geschäftsordnungsänderungsantrag zu ihrem Geschäftsordnungsantrag stellen dürfen. So passiert es dann, dass ein Großteil der Anträge aus Zeitgründen nicht behandelt werden kann und man sich einige Wochen später noch einmal zur "Landesmitgliederversammlung Reloaded" trifft.

Zu einem der größten Probleme wird dabei ausgerechnet eine bisherige Stärke: Durch den Einsatz von Internet-Plattformen wie Twitter und Facebook konnte die Piratenpartei bisher finanzielle und organisatorische Nachteile ausgleichen. Sie machte den etablierten Parteien vor, wie moderner Online-Wahlkampf geht.

Das Obama-Dilemma

Doch nun steckt die Partei in einem Dilemma, das auch Barack Obama erlebt, der ebenfalls zahlreiche Anhänger über das Netz mobilisierte. Eine offene, transparente Kommunikation unter Einsatz sozialer Netzwerke funktioniert vor allem in Gruppen gut, die sich gerade zusammenfinden. "Doch jetzt haben sowohl die Piratenpartei als auch Obama eine Organisationskultur, die in dieser offenen Form nicht mehr funktioniert", sagt Bieber. Die Partei diskutiert zwar weiter intensiv in Blogs und auf Twitter, Mailinglisten und dem Audio-Chat-System Mumble, merkt dabei aber nicht, dass außerhalb des Piratenkosmos kaum jemand davon etwas mitbekommt.

Die virtuelle Organisationsstruktur bildet zwar das Lebensgefühl einer Generation ab, für die Fernbeziehungen fast schon den Normalzustand darstellen und die sich ein Leben ohne Skype kaum vorstellen kann. So arbeitet Klaus Peukert unter der Woche als Consultant in München, am Wochenende fährt der 34-Jährige zu Frau und Kind nach Leipzig. Doch die Kommunikationsmittel, mit denen Freunde und Familie die Distanz überbrücken, haben im politischen Alltag einen großen Nachteil. "Im Virtuellen ist es einfacher, zu beleidigen", sagt Peukert, "die Randpositionen bestimmen die Diskussion." Die Debatten drehen sich so im Kreis, Gemäßigte wenden sich ab, und vieles wird zerredet.

Eine, die das Problem erkannt hat, ist die neue Bundesgeschäftsführerin Marina Weisband. "Je mehr wir werden, desto mehr schreien alle durcheinander, und die Lautesten gewinnen", sagt Weisband. Die Psychologie-Studentin arbeitet an einem Kommunikationskonzept, um die auf multiplen Plattformen laufenden Diskussionen zu bündeln. Ein zentrales Element ist das Computerprogramm Liquid Feedback, eine Art Abstimmungstool, mit dem ermittelt werden soll, wie die Mehrheit der Partei zu bestimmten Positionen steht.

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