Berlin Schicksalswahl für die Piratenpartei

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Piratenparteichef Sebastian Quelle: Stefan Puchner dpa/lsw

Das Besondere an Liquid Feedback: Das Programm gibt den Parteimitgliedern die Möglichkeit, ihre Stimme an eine andere Person zu delegieren, der sie mehr Kompetenz in bestimmten Fragen zutrauen. Es ist eine Fortsetzung der repräsentativen Demokratie mit modernen Mitteln. "Liquid Feedback kratzt an etablierten Machtstrukturen und ist eine Alternative zu Abstimmungen in Hinterzimmern", sagt Björn Swierczek, einer der Programmierer der Software. Da jeder sieht, wer zu welchen Themen wie abgestimmt hat und welche Stimmen dabei an wen delegiert wurden, macht Liquid Feedback auch das innerparteiliche Beziehungsgeflecht transparent.

"Der Vorbildcharakter für andere Parteien ist enorm", erklärt Frank Rieger, Sprecher des Chaos Computer Clubs (CCC), und beschwört die Partei öffentlich: "Liebe Piraten, bitte vermasselt das mal nicht." Denn Liquid Feedback ist so revolutionär wie umstritten. So stellt ausgerechnet das Experiment mit einer neuen Form der elektronischen Demokratie die Nerd-Partei vor eine Zerreißprobe. Seit Monaten tobt ein erbitterter Streit, die Programmierer des Systems gaben entnervt auf und traten aus der Partei aus. "Die Diskussionskultur war unterirdisch", sagt Swierczek.

Die Kritiker von Liquid Feedback monieren den fehlenden Datenschutz. Zu den Gegnern gehörte auch der neue Parteichef Sebastian Nerz. "Liquid Feedback ist gescheitert", erklärte er im Vorjahr. Nun will Nerz dem System eine Chance geben, wenn es nicht als Entscheidungsgrundlage dient: "Ich habe mich überreden lassen."

Schnöder, langweiligen Straßenwahlkampf

Bei der Wahl auf dem Parteitag im Mai hatte er sich ausgerechnet gegen einen der größten Unterstützer des Systems durchgesetzt: Christopher Lauer, nun Direktkandidat im Berliner Wahlkreis Pankow 8. "Liquid Feedback vereinfacht die Prozesse unglaublich", sagt Lauer, "wo wir es benutzt haben, funktionierte es großartig." Ein Erfolg bei der Wahl könnte den Befürwortern Auftrieb verleihen, denn in Berlin ist das System seit Langem im Einsatz; auch das Wahlprogramm wurde damit erarbeitet.

Nun versuchen Lauer und seine Mitstreiter mit ihren Forderungen nach mehr Transparenz in der Politik, beispielsweise durch die Offenlegung von Verträgen des Senats, die Berliner zu überzeugen. Das Internet spielt dabei gar keine so große Rolle. "Ich mache hauptsächlich schnöden, langweiligen Straßenwahlkampf", sagt Lauer.

Im direkten Gespräch lassen sich Menschen oft noch am besten überzeugen. Das merkte auch Klaus Peukert, als er vor Wochen auf einem Camp Christopher Lauer und andere Berliner Mitglieder der Partei kennenlernte. "Als ich da am Lagerfeuer gesessen und mit vielen Leuten im echten Leben gesprochen habe, kam auch die Motivation zurück", sagt Peukert. Inzwischen ist er wieder in die Partei eingetreten.

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