Gut eine Woche nach dem Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt haben Ermittler einen möglichen Kontaktmann des mutmaßlichen Attentäters Anis Amri festgesetzt. Die Telefonnummer des 40-jährigen Tunesiers hatte Amri in seinem Handy gespeichert, wie die Bundesanwaltschaft am Mittwoch mitteilte. „Die weiteren Ermittlungen deuten darauf hin, dass er in den Anschlag eingebunden gewesen sein könnte“, schrieb die Karlsruher Behörde. Bis Donnerstag werde geprüft, ob Haftbefehl beantragt werde.
Einem Sprecher der Bundesanwaltschaft zufolge nahmen die Ermittler den 40-Jährigen in Berlin vorläufig fest. Seine Wohn- und Geschäftsräume wurden durchsucht. „Spiegel Online“ zufolge liegen diese im südlichen Stadtteil Berlin-Tempelhof.
Parallel rekonstruieren Ermittler die Fluchroute Amris durch mehrere Länder. Vier Tage nach dem Anschlag hatten italienische Polizisten Anis Amri in Sesto San Giovanni nördlich von Mailand erschossen, nachdem er bei einer Personenkontrolle das Feuer auf die Beamten eröffnet hatte. Am Vorabend hatte eine Überwachungskamera ihn in Turin gefilmt, wie am Mittwoch bekannt wurde.
Vieles spricht dafür, dass Amri auch durch die Niederlande kam. Zwei Tage nach dem Anschlag habe ihn „sehr wahrscheinlich“ eine Überwachungskamera auf dem Bahnhof in Nimwegen nahe der Deutschen Grenze aufgenommen, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft der Deutschen Presse-Agentur. Zur selben Zeit wurden dort gratis Sim-Karten verteilt. Eine solche hatten italienische Ermittler nach eigenen Angaben bei dem Tunesier entdeckt.
Der 24-Jährige war den Ermittlungen zufolge am Montag vor Weihnachten (19.12.) mit einem Lastwagen in den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche in Berlin gefahren. Zwölf Menschen starben, 55 wurden verletzt. Sie stammen aus gut einem Dutzend Länder, wie die dpa aus Sicherheitskreisen erfuhr. Der polnische Lkw-Fahrer wurde tot auf dem Beifahrersitz gefunden. Er soll an diesem Freitag in seiner Heimat bei Stettin beigesetzt werden.
Zu Tathergang und Fluchtroute sind auch mehr als eine Woche nach dem Anschlag viele Fragen offen. So ist zum Beispiel unklar, warum sich Amri nach Italien absetzte. Die Behörden prüfen, ob der 24-Jährige dort Unterstützer hatte. Er war 2011 als Flüchtling nach Italien gekommen, wurde zu einer Haftstrafe von vier Jahren verurteilt und verbüßte diese in verschiedenen Gefängnissen.
Die französischen TV-Sender TF1/LCI und BFMTV berichteten am Mittwoch, Amri sei per Fernbus von Nimwegen nach Lyon gelangt. Er sei vom 21. auf den 22. Dezember gereist, meldete die französische Nachrichtenagentur AFP unter Berufung auf Ermittlerkreise.
Was wir über Anis Amri wissen
Der in der Nacht des 23.12. in Mailand getötete Anis Amri (24) wird dringend verdächtigt, am Montagabend den Lastwagen auf den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche gesteuert und mindestens zwölf Menschen getötet zu haben. Mehr als 50 weitere Besucher des Marktes wurden verletzt. Die Ermittler gehen von einem Terroranschlag aus.
Die Fingerabdrücke des Terrorverdächtigen wurden am Fahrerhaus des Lkw sichergestellt, der am Montagabend in die Menschenmenge gerast ist. „Wir können Ihnen heute mitteilen, dass es zusätzliche Hinweise gibt, dass dieser Tatverdächtige mit hoher Wahrscheinlichkeit wirklich der Täter ist“, sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière.
Seine Papiere lagen im Fußraum des Lastwagens, der für den Anschlag benutzt wurde. Das passierte aber erst am Tag nach dem Anschlag, weil die Fahrerkabine zunächst versiegelt worden war. Das Führerhaus war erst durchsucht worden, nachdem der Lkw am Dienstag abgeschleppt worden war.
Amri kam im Juli 2015 nach Deutschland. Laut NRW-Innenminister Ralf Jäger tauchte er erst in Freiburg, dann in Nordrhein-Westfalen und schließlich in Berlin auf, wo er seit Februar 2016 überwiegend gelebt habe.
Gemeldet war Amri laut „Spiegel Online“ unter anderem in Emmerich im Kreis Kleve (NRW). Dort durchsuchten Beamte eine Flüchtlingsunterkunft.
Ja, sein Antrag wurde aber im Juni dieses Jahres abgelehnt. Eine Abschiebung nach Tunesien scheiterte aber, weil er keinen Pass hatte. Seit Dezember galt Amri als untergetaucht.
Für die Behörden war er kein unbeschriebenes Blatt. Amri wurde in Berlin von März bis September dieses Jahres überwacht, weil es nach Angaben der Berliner Generalstaatsanwaltschaft Hinweise gab auf einen geplanten Einbruch. In dieser Zeit galt er auch als sogenannter Gefährder - damit sind unter anderem radikale Islamisten gemeint, denen schwere Straftaten zugetraut werden. Beweise für konkrete Anschlagspläne haben die Ermittler aber nicht gefunden.
Die Sicherheitsbehörden hatten nach „Spiegel“-Informationen vor Monaten vage Hinweise darauf, dass sich Amri im Chat mit einem Hassprediger als möglicher Selbstmordattentäter anbot. Entsprechende abgefangene Äußerungen von Amri seien aber so verklausuliert gewesen, dass sie nicht für eine Festnahme gereicht hätten.
Hinweise auf enge Kontakte Amris zum kürzlich verhafteten Abu Walaa haben die Ermittler nicht. Der Tunesier habe zwar in Salafistenkreisen verkehrt und sei auch in entsprechenden Wohnungen gewesen, hieß es aus Sicherheitskreisen. Auch NRW-Innenminister Ralf Jäger, sagte, Amri habe Kontakt zur radikal-islamistischen Szene gehabt. Ein wichtiges Teil eines salafistischen Netzwerkes soll er aber wohl nicht gewesen sein.
Ja, auch in anderen Ländern war er kein unbeschriebenes Blatt: Medienberichten zufolge wurde er in Italien und Tunesien bereits zu langen Haftstrafen verurteilt.
Amris Bruder Walid sagte Al-Chourouk, Anis habe Tunesien verlassen, weil er wegen Diebstahls eines Lastwagens zu Haft verurteilt worden war. Anis sei weder extremistisch noch religiös gewesen. Er soll aus einer armen Familie stammen, die in dem Ort Oueslatia rund 140 Kilometer südwestlich der Hauptstadt Tunis wohnt.
Amris Leiche befindet sich italienischen Ermittlern zufolge nach wie vor in der Gerichtsmedizin in Mailand, wo sie obduziert wird. In Rom soll in den kommenden Tagen geklärt werden, ob Amri mit derselben Waffe auf die Polizisten in Mailand schoss, mit der auch der polnische Lastwagenfahrer bei dem Terroranschlag am Berliner Breitscheidplatz getötet wurde. Dafür soll eine Kopie des Projektils von Deutschland nach Italien geschickt worden sein. Deutsche Ermittler befänden sich derzeit nicht im Land, hieß es in Mailand.
In Deutschland hat der Anschlag eine Debatte über schärfere Gesetze und mehr Videoüberwachung auf Plätzen und Straßen ausgelöst. Amri galt als „Gefährder“, dem ein Anschlag zugetraut wurde, verschwand aber vom Radar der Behörden. Recherchen des WDR ergaben, dass er im Ruhrgebiet gut vernetzt war und ein Dutzend Moscheen besucht hatte.
Die Organisation Pro Asyl mahnte am Mittwoch, der Ruf nach härterem Durchgreifen schüre Ängste. Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) kündigte gegenüber der „Saarbrücker Zeitung“ (Donnerstag) rasche Entscheidungen an. Dabei solle es „keine Tabus und keinen parteipolitischen Streit“ geben.
In einer am Mittwoch veröffentlichten Forsa-Umfrage für das Magazin „Stern“ machten nur 28 Prozent der Befragten die Flüchtlingspolitik mitverantwortlich für den Anschlag. Über die Hälfte der Deutschen ist nach der Tat aber dafür, dass die Bundesrepublik sich stärker am Kampf gegen die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) beteiligt. In einer YouGov-Umfrage für die Deutsche Presse-Agentur sprachen sich 53 Prozent dafür aus. Aber nur 33 Prozent wollen, dass die Bundeswehr Stellungen des IS in Syrien und im Irak selbst bombardiert.