Bertelsmann Wie eine Stiftung Politik macht

Die Bertelsmann-Stiftung hat mit einer Studie zum Boom der Schülerzahlen einen Wirbelsturm entfacht. Es war nicht das erste Mal, dass sie mithilfe von Studien die Republik beeinflusst. Das gefällt nicht allen.

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Grande Dame. Liz Mohn hat auch in der Bertelsmann-Stiftung großen Einfluss. Quelle: dpa

Wenn Dirk Zorn erzählen soll, wie er Mitte Juli einen mittelgroßen Wirbelsturm in der Bildungsrepublik Deutschland entfachte, hört sich das ein bisschen langweilig an. Zorn, 46, Promotion in Princeton, reiht Wörter wie Leistungsheterogenität, Wirkungslogik oder Evaluationsziele aneinander. Er klingt wie ein Mitarbeiter von Bundesbildungsministerin Johanna Wanka oder ein Edelforscher der Kultusministerkonferenz.

Dass der zurückhaltende Zorn trotzdem so auftrumpfen konnte, liegt an seinem mächtigen Arbeitgeber. Zorn wird nicht vom deutschen Staat bezahlt. Er arbeitet für die Bertelsmann-Stiftung aus Gütersloh. Der wohl einflussreichsten Denkfabrik der Republik.

Für diese Stiftung hat Zorn den Wirbelsturm entfacht. Zusammen mit dem Bildungsforscher Klaus Klemm veröffentlichte er vor drei Wochen eine Studie, laut der es in Deutschland im Jahr 2025 mehr als eine Million mehr Schüler geben könnte als angenommen. Monatelang hatten Zorn und Klemm Daten ausgewertet, Modelle aufgestellt, an Formulierungen gefeilt.

Die reichsten Medienunternehmer Deutschlands

Wenn Wissenschaftler Studien in Fachjournalen veröffentlichen, versanden sie oft ohne Wirkung. Für Zorns Studie aber verfassten die Kommunikationsprofis der Bertelsmann-Stiftung eine zugespitzte Pressemitteilung, verschickten sie vorab an Journalisten. Wenig später ging es los: Agenturen meldeten einen „Schüler-Boom“; „Schüler, Schüler, Schüler“, schrieb die „Welt“. „Jetzt müssen alle Lehrer werden“, forderte ein Kommentar. Sein Telefon stehe seit Erscheinen der Studie nicht mehr still, erzählt Zorn. Er klingt ein wenig stolz.

Mit der Veröffentlichung von Studien schafft Bertelsmann, wovon viele Politiker nur träumen: Themen setzen, den öffentlichen Diskurs mitbestimmen. Allein in den vergangenen drei Wochen hat die Gütersloher Stiftung drei Studien auf den Markt geworfen. Erst die zum Schülerboom, danach eine zum Populismus, schließlich ein Papier zur Entwicklung der dualen Ausbildung. Es gehörte schon immer zum Selbstverständnis der Stiftung, sich in politische Debatten einzumischen. Viele Grundlagen für einige der wichtigsten Reformen der letzten 20 Jahre stammen von ihr. Ob Hartz IV oder Hochschulräte – die Experten aus Gütersloh sollen daran mitgearbeitet haben. In Berlin und den Landeshauptstädten ist Bertelsmann bestens vernetzt.

Die Vorbilder für den neuen Ansatz sitzen aber in Amerika. Dort üben mächtige Denkfabriken durch Studien und Konzeptpapiere schon lange Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung aus. „Die kurz und lesbar gehaltenen Konzeptpapiere von Thinktanks zu aktuellen Themen, aber auch umfangreichere Studien fallen im Kongress auf fruchtbaren Boden“, heißt es in einer Analyse des Bundesverbands Deutscher Stiftungen. Auch die Bertelsmann-Stiftung besitzt in Washington eine Niederlassung.

Der Stiftung wohlgesinnte Menschen behaupten, sie habe mit dem Fokus auf Studien aus Fehlern gelernt. Statt Politik im Hinterzimmer zu besprechen, trage sie ihre Arbeit nun in die Öffentlichkeit. Kritiker werfen ihr vor, weiterhin demokratisch nicht legitimiert Einfluss zu nehmen – und den Geschäften des Bertelsmann-Konzerns den Boden zu bereiten. Der Bertelsmann-Stiftung gehören 77 Prozent des Bertelsmann-Konzerns. Sie finanziert sich größtenteils durch die Dividenden des Konzerns. Im vergangenen Jahr erhielt sie aus den Anteilen 120 Millionen Euro.

In Gütersloh reihen sich die Gebäude des Bertelsmann-Konzerns wie Perlen an der Carl-Bertelsmann-Straße auf. Es geht vorbei an Mohn-Media, Europas größter Offsetdruckerei, an Arvato, dem Dienstleistungsanbieter des Konzerns, an Bertelsmann BKK, der eigenen Betriebskrankenkasse. Die Bertelsmann-Stiftung liegt direkt gegenüber vom Verwaltungsgebäude. Aus ihren Bürofenstern blicken die 376 Stiftungsmitarbeiter auf den künstlich angelegten Bertelsmann-See.

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