




Einen großen Erkenntnisgewinn bedeutet die heute präsentierte Studie der Bertelsmann-Stiftung nicht. Ökonomen wie Hans-Werner Sinn und Demografen wie Herwig Birg verkünden schon seit vielen Jahren, dass nicht Kinder- oder Elterngeld der Schlüssel für eine vernünftige geburtenfördernde Politik sind, sondern die Behebung der himmelschreienden Benachteiligung von Familien durch das Rentensystem. Natürlich sind die Finanzen nicht der einzige Grund für die besorgniserregend niedrige Geburtenrate in Deutschland – auch sozialpsychologische und andere, kaum empirisch ergründbare Befindlichkeiten dämpfen den Fortpflanzungswillen. Aber ein familienfreundliches Rentensystem wäre immerhin durch Politik herstellbar.
Andrea Nahles und andere Sozialpolitiker begründen ihre Wohltaten für heutige oder baldige Rentner stets mit dem Gerechtigkeitsargument. Doch die grundlegende, geradezu unfassbare Ungerechtigkeit des bestehenden Systems zu Lasten von Eltern und Kindern wird durch die aktuelle Rentenreform (Rückkehr zur Rente mit 63) nur noch weiter verschärft. Die von der Stiftung präsentierten Rechenbeispiele zeigen, dass Mütter und Väter allen Grund haben, sehr zornig auf die Rentenpolitiker der Vergangenheit und Gegenwart zu sein: Ein heute 13-jähriges Kind wird im Laufe seine Lebens - im Schnitt – rund 77 000 Euro mehr in die Rentenkasse einzahlen, als es daraus selbst einmal beziehen wird. Dieses Geld landet direkt auf den Konten der Kinderlosen, denn die Rente der Eltern erhöht sich nicht wesentlich durch ihre Erziehungsleistung. Auch die steuerfinanzierten Leistungen für Kinder wiegen das Ungleichgewicht nicht auf: Nach Berechnungen der Studie zahlt ein durchschnittliches Kind im Laufe seines Lebens 50 500 Euro mehr in die Sozialkassen und ins Steuersystem ein als es an staatlichen Zuschüssen für Betreuung und Bildung erhält.
Spätestens ab 2030 wird das Rentensystem, wie die Studie zeigt, vor dem Kollaps stehen. Die Beitragssätze werden über die gesetzliche Grenze von 22 Prozent steigen, und die Rentenzahlungen gleichzeitig unter ein akzeptables Niveau fallen. Das System so zu reformieren, dass es nicht mehr als gigantisches Programm der Demotivation junger Familien dient, ist also nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern des Überlebens des Systems selbst – wenn man vom Aussterben der Deutschen nicht sprechen will.
Dass alle etablierten Parteien diesen größten Missstand des Sozialstaates Deutschland immer wieder bewusst unter den Teppich kehren – wie die Koalitionsverhandlungen mal wieder deutlich zeigten – ist ein unverzeihliches Versäumnis des gesamten politischen Betriebs. Das Rentensystem gehört ins Zentrum einer Demografie-Politik, die den Namen verdient, und nicht Wohlfühlmaßnahmen für Rentner, wie sie die bisherige „Demografie-Strategie“ der alten Bundesregierung beherrschen.
Es ist daher höchst erfreulich, dass die Bertelsmann-Stiftung, die auf verschiedensten Politikfeldern seit Jahren sehr wirksam Einfluss nimmt (und daher von vielen Beobachtern scharf kritisiert wird), sich nun dieses Themas annimmt. Wenn die PR-Profis aus Gütersloh es mit dem gleichen Eifer und Geschick tun, wie sie etwa die Bildungspolitik beackern, könnte das mittelfristig durchaus Wirkung erzielen.