Berufsschulen Sträflich vernachlässigtes Vorzeigemodell

Berufsschule der Zukunft Quelle: David Carreño Hansen für WirtschaftsWoche

Deutsche Azubis lernen zu oft mit veralteter Technik und in maroden Schulen. Die Wirtschaft schlägt Alarm. Und wartet nicht länger auf die Politik. Vorreiter wie Schuldirektorin Katja Ollmann ergreifen die Initiative.

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Lange hält es Helmut Holter in der tristen Turnhalle nicht aus, ein strenger Geruch steigt dem thüringischen Bildungsminister sofort in die Nase. Es riecht nach einer Mischung aus Toilettensteinen und Schweiß, den Gang runter, bei den Umkleidekabinen, nach günstigem Duschgel. Und dann ist es auch noch kalt. Die Heizung funktioniert nicht mehr in dem niedrigen Altbau mit der grauen, abgeblätterten Fassade.

Wenn draußen Minusgrade herrschen, findet drinnen der Sportunterricht bei zehn oder elf Grad Celsius statt. Der Linken-Politiker Holter, seit Jahresbeginn Präsident der Kultusministerkonferenz und damit 2018 einer der wichtigsten Bildungspolitiker des Landes, wollte eine Begegnung mit der Wirklichkeit. Nun kennt er sie. „Wir haben kein Geld“, sagt Schulleiter Gunnar Pfeil.

Das Gebäude aus den Siebzigerjahren sollte schon vor Jahren abgerissen werden, eine neue Turnhalle für das staatliche Berufsschulzentrum Ludwig Erhard in Eisenach wäre nach Ansicht Pfeils dringend nötig, wenigstens eine Instandsetzung. Doch das ergebe betriebswirtschaftlich keinen Sinn mehr, hört er als Antwort von den zuständigen Politikern der Stadt.

Im Hauptgebäude, das vor einigen Jahren renoviert und grunderneuert wurde, ist die Lage nur auf den ersten Blick besser. Hier lernen die rund 1500 Berufsschüler in hellen und recht modern eingerichteten Klassenzimmern. Doch so schön das anzusehen ist – Probleme gibt es auch hier. Die Informatiklehrer klagen über sieben Jahre alte Computer, die nur deswegen noch funktionieren, weil sie sie selbst in ihrer Freizeit pflegen. Auch fehlen mindestens zwölf Lehrer, etwa 300 Stunden Unterricht fallen pro Woche aus. Immerhin, verspricht Bildungsminister Holter beim Besuch, könnten ab sofort neue Kollegen über das ganze Jahr hinweg eingestellt werden. Sonst war das nur zwei Mal pro Jahr möglich. Seit Jahren beschwört die deutsche Politik die „Bildungsrepublik“. Das duale System der betriebsnahen Ausbildung gilt als Vorzeigemodell und wird weltweit gepriesen. Trained in Germany – das hat fast denselben guten Klang wie made in Germany.

Uni statt Azubi

Offenbar zu Unrecht. Statt die etwa 8800 beruflichen Schulen als Nachwuchsschmiede des Exportweltmeisters zu stärken, verlieren sie zunehmend an Bedeutung. Derzeit gibt es mehr als 2,8 Millionen Studierende in Deutschland, aber nur 1,3 Millionen Auszubildende, die an Berufsschulen lernen. Zum Vergleich: Vor zehn Jahren lagen beide Bildungssparten mit jeweils etwa zwei Millionen noch gleich auf. Damals gab es pro Jahr mehr als 750.000 Bewerber für Ausbildungsplätze, heute sind es etwa 100.000 weniger.

Dabei bescheinigt die OECD Deutschland „überdurchschnittliche Beschäftigungsquoten“ für junge Leute, wenn sie denn einen Berufsabschluss erwerben. Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), gibt sich selbstkritisch: „Wir haben die Berufsschulen viel zu lange vernachlässigt.“

In der Berufsschule in Eisenach etwa werden junge Leute ausgebildet, die künftig als Mechatroniker bei BMW und Opel arbeiten sollen, beide Autobauer haben Werke in der Stadt. Aber auch angehende Industriemechaniker, Einzelhandels- und Bankkaufleute, Kinder- und Krankenpfleger sowie Erzieher gehen an insgesamt drei Standorten zur Schule. Unternehmen in Eisenach und ganz Thüringen sind auf die künftigen Fachkräfte und Gesellen angewiesen. Berufsschulen sind die Keimzelle für die so dringend notwendigen Arbeitskräfte von morgen – und trotzdem zu oft unzureichend ausgestattet.

Obwohl sich die duale Ausbildung bewährt, ist der Trend hin zur Akademisierung ungebrochen. Etwa 340 staatlich anerkannte Ausbildungen gibt es derzeit in Deutschland und zugleich 19.000 Studiengänge – ständig kommen neue Bachelor- und Master-Programme hinzu. Während andauernd über Hochschulpakt, Forschungsförderung und Eliteunis gesprochen wird, gibt es keinerlei vergleichbares Interesse für die Berufsschulen. Wie wenig sich die Politik für sie begeistert, zeigt sich auch am Berufsbildungsgesetz, das die duale Ausbildung hierzulande regelt. Zuletzt wurde es vor 13 Jahren grundlegend überarbeitet. Seitdem werkeln die einzelnen Bundesländer, die die Verantwortung für die Berufsschulen vor Ort tragen, vor sich hin.

Die neue Bundesregierung will nun alles besser machen. Insgesamt elf Milliarden Euro möchte die schwarz-rote Koalition für bildungspolitische Maßnahmen ausgeben. 3,5 Milliarden Euro sollen bis 2021 in den sogenannten Digitalpakt fließen, um Schulen mit WLAN, modernen Computern, Tablets und digitalen Medien auszustatten. Und noch bis Ende 2021 sollen alle Schulen ans Glasfasernetz angeschlossen werden.

Schon die Vorgängerregierung hatte zudem 3,5 Milliarden Euro bereitgestellt, um Schulen zu sanieren – bislang nur in finanzschwachen Kommunen. Durch eine Grundgesetzänderung soll und will der Bund künftig, unabhängig von der Finanzlage, in ganz Deutschland Schulen modernisieren, damit Turnhallen wie in Eisenach künftig der Vergangenheit angehören. Denn von all diesen Maßnahmen sollen insbesondere auch die Berufsschulen und das duale Ausbildungssystem profitieren.

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