Betriebliche Altersvorsorge Mit sanftem Zwang

Die Bundesregierung will eine größere Verbreitung von Betriebsrenten erreichen. Zwei Gutachten, die Wege dahin aufzeigen sollen, halten die Ministerin noch unter Verschluss. Doch erste Lösungen zeichnen sich ab.

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Bis 2030 ist das gesetzliche Rentenniveau noch bei mindestens 43 Prozent festgeschrieben, danach nicht mehr. Es besteht dringender Handlungsbedarf. Quelle: dpa

Berlin Dirk Kiesewetter ist nicht zu beneiden. Im Auftrag von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat der Würzburger Professor für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre ein Gutachten über neue Fördermodelle für Betriebsrenten erstellt. Bei der 17. Handelsblatt-Jahrestagung „Betriebliche Altersvorsorge“ soll er darüber reden. Das Problem ist nur: Kiesewetter darf keine Details verraten, solange Schäubles Ministerium das Gutachten unter Verschluss hält. Ähnlich geht es Anwalt Marco Arteaga von der Kanzlei DLA Piper, der zusammen mit dem emeritierten Kölner Sozialrechtler Peter Hanau ein Gutachten für das Bundesarbeitsministerium erstellt hat. Auch er darf nicht zu viel erzählen, solange Ressortchefin Andrea Nahles die Expertise nicht öffentlich macht.

Im schlimmsten Fall muss sich die Fachwelt also noch bis Ende Juni gedulden, wie die im Koalitionsvertrag von Union und SPD versprochene Reform der betrieblichen Altersversorgung aussehen könnte. Denn dafür sollen die Gutachten die Bausteine liefern. „Noch in dieser Jahreshälfte“ würden beide publik gemacht, wie Nahles‘ Staatssekretärin Yasmin Fahimi bei der Tagung ankündigte.

Dringender Handlungsbedarf besteht: Bis 2030 ist das gesetzliche Rentenniveau noch bei mindestens 43 Prozent festgeschrieben, danach nicht mehr. Ergänzende Betriebsrentenansprüche haben aber heute nur rund 60 Prozent der Beschäftigten, inklusive der Riester-Verträge sind rund 70 Prozent zusätzlich abgesichert. „Wenn es uns nicht gelingt, die fehlenden 30 Prozent zu gewinnen, fällt uns das Thema in der gesetzlichen Rentenversicherung und der Grundsicherung auf die Füße“, warnte Fahimi. Zwei Zielgruppen nehmen die Reformer vor allem ins Visier: Geringverdiener, denen schlicht das Geld für die Vorsorge fehlt. Und Arbeitgeber in kleinen und mittleren Unternehmen, die nicht nur die Bürokratie, sondern auch die Haftung für Betriebsrentenzusagen an ihre Mitarbeiter scheuen.

Vier von zehn Beschäftigten, die weniger als 1.500 Euro brutto verdienen, haben heute keine Zusatzversorgung. „Es gibt eine Chance, diese Gruppe zu erreichen“, sagt Wissenschaftler Kiesewetter. Das gehe aber nur mit finanzieller Förderung. So wird im Finanzministerium erwogen, Geringverdienern, die von steuerlichen Anreizen in der Regel kaum profitieren, eine Zulage zu zahlen, damit sie sich den Abschluss einer Betriebsrente leisten können.

Allerdings gibt es weitere Hürden, die den Abschluss für viele Beschäftigte unattraktiv erscheinen lassen. So ist auf die Betriebsrente der volle Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrag zu zahlen, nicht nur der Anteil des Arbeitnehmers. Das schmälert die Leistung. Zudem wird die Betriebsrente auf die Grundsicherung im Alter angerechnet. „Die Politik ist deshalb sicher gut beraten, sich über das Thema Grundsicherung Gedanken zu machen“, rät Kiesewetter. Klar ist aber auch: Die finanzielle Förderung und die durch eine Reform möglichen Beitragsausfälle dürfen nicht den Haushaltsrahmen sprengen. Machbar ist nur, was auch bezahlbar ist, stellte Finanzstaatssekretär Michael Meister klar.

Im Bundesarbeitsministerium setzt man weiter vorrangig auf eine tarifliche Lösung zur Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung. Ressortchefin Nahles hatte schon Anfang 2015 ein „Sozialpartnermodell“ vorgeschlagen, bei dem „gemeinsame Einrichtungen“ der Tarifpartner, also etwa neu zu gründende Pensionskassen oder -fonds, die Abwicklung der Betriebsrente übernehmen und durch den Pensionssicherungsverein abgesichert werden sollen. Das so entstehende Quasi-Monopol hatte aber zu Protesten etwa der Lebensversicherer geführt, für die die Betriebsrente ein gutes Geschäft ist.


Politik sollte eine Sicherungseinrichtung gründen

Das Arbeitsministerium ist aber optimistisch, das Sozialpartnermodell noch so modifizieren zu können, „dass es doch im Gesetzblatt landet“, wie der zuständige Referatsleiter Peter Görgen sagte. So empfehle das im Auftrag des Ressorts erstellte Gutachten, neben den gemeinsamen Einrichtungen auch andere Formen der Abwicklung zuzulassen – etwa über Pensionskassen, in deren Aufsichtsrat dann auch Vertreter der Sozialpartner sitzen. Auch Staatssekretärin Fahimi hatte betont, es sei sinnvoller, das heute bestehende „System der Modellvielfalt nicht in Frage zu stellen“.

Die Gutachter schlagen zudem vor, dass die Arbeitgeberhaftung für die zugesagte Rentenleistung entfällt, dafür aber die durchführende Pensionseinrichtung eine Mindestleistung garantiert. Für deren Absicherung könne aber nicht der Pensionssicherungsverein in die Pflicht genommen werden, betonte PSV-Vorstand Hans Melchior. Hier müsse die Politik sich Gedanken über die Gründung einer neuen Sicherungseinrichtung machen.

Wie sinnvoll das Sozialpartnermodell an sich ist, darüber gibt es weiter Streit. Mit einer tariflichen Lösung erreiche man ja gerade nicht die Beschäftigten, die es am nötigsten hätten, kritisierte Alexander Gunkel aus der Hauptgeschäftsführung des Arbeitgeberverbands BDA. Auch der Vorsitzende des CDU-Arbeitnehmerflügels, Karl-Josef Laumann, bezweifelt, dass es gelingt, mit allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen eine breitere Absicherung hinzubekommen. Das habe in der Lohnfrage ja auch nicht funktioniert, so dass die Regierung schließlich doch den gesetzlichen Mindestlohn beschlossen habe.

Allen Beteiligten ist klar, dass die größere Verbreitung der Betriebsrente ohne „sanften Druck“ kaum zu erreichen sein wird. Es sei ein Fehler gewesen, bei der Rentenreform die zweite und dritte Säule – also Betriebs- und private Riester-Renten – nicht obligatorisch zu machen, sagte Laumann. Um diesen Fehler zu korrigieren, setzt er vor allem auf die betriebliche Altersvorsorge, da die Riester-Rente mit ihrer verwirrenden Angebotsvielfalt kaum verbreitet und die staatliche Zulage in der Niedrigzinsphase oft die einzige Rendite sei. Die private Versicherungswirtschaft habe hier total versagt.

„Wir müssen die ergänzende Vorsorge einfacher, transparenter und kostengünstiger machen“, forderte Laumann. In einem Punkt kann der CDA-Vorsitzende sogar der von drei hessischen Landesministern vorgeschlagenen „Deutschlandrente“ etwas abgewinnen: Sie biete immerhin ein einfaches Standardprodukt, das bei der Riester-Rente fehle.

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