Eine Steuerbelastung von 97 Prozent! Der Geschäftsführer muss erst einmal durchatmen, um sich nicht zu sehr aufzuregen. Dann erzählt der Rheinländer: Sein Unternehmen machte zuletzt einen operativen Gewinn von 300.000 Euro, so steht es in der in der Handelsbilanz. Doch in der Steuerbilanz wird daraus im Handumdrehen ein Plus von 900.000 Euro - mit der Folge, dass die Firma 290.000 Euro Steuern zahlen muss und kaufmännisch gesehen knapp an roten Zahlen vorbeischrammt. „Und das nur“, erklärt der Unternehmer, „weil das Steuerrecht einen abenteuerlichen Zins von sechs Prozent bei Pensionsrückstellungen vorschreibt, das Handelsrecht dagegen realistischere vier Prozent.“
Zwar scheinen zwei Prozent Zinsunterschied auf den ersten Blick nicht allzu gefährlich, doch der Zinseszinseffekts sorgt für die Brisanz. Beim Abzinsen der eingegangenen Pensionsverpflichtungen mit sechs Prozent ergibt sich ein viel geringerer Wert als mit vier Prozent - für das Unternehmen aus dem Rheinland beträgt die Differenz 600.000 Euro, die es in der laufenden Steuerbilanz nicht als Pensionsrückstellung ausweisen darf - und folglich als Gewinn versteuern muss.
Dank des Zinstricks kassiert der Fiskus kräftig ab. Deutschlandweit dürften es gut 24 Milliarden Euro sein, die Unternehmen auf diese Weise zusätzlich an Steuern zahlen müssen, schätzt Johanna Hey, Direktorin des Instituts für Steuerrecht an der Universität Köln. Und zwar zu unrecht, sagt Hey, die auch Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Bundesfinanzministeriums ist. Sie hält einen Zins von sechs Prozent angesichts der extrem niedrigen Zinsen nahe Null für „nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt“, er falle unter das Willkürverbot und sei damit verfassungswidrig.
Deshalb vertritt sie den rheinischen Unternehmer, der nun beim Finanzgericht Köln Klage eingereicht hat. Ihre Hoffnung ist, das Verfahren als Musterprozess bis zum Bundesverfassungsgericht führen zu können und den Gesetzgeber auf diese Weise zu zwingen, den sechsprozentigen Rechnungszins zu senken.
Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium äußert sich in einer aktuellen Studie ebenfalls kritisch zur Diskrepanz zwischen handels- und steuerrechtlichem Diskontierungssatz bei der Bestimmung von Pensionsrückstellungen. Der Beiratsvorsitzende Thiess Büttner fordert den Gesetzgeber auf, beim steuerlichen Zinssatz „die Möglichkeit für eine automatische Anpassung an den jeweiligen Marktzinssatz zu prüfen“.
Schäuble steht einer Anpassung offen gegenüber
Das Bundesfinanzministerium hat die Brisanz erkannt, erklärt aber auf Anfrage der WirtschaftsWoche, eine Zinssenkung sei wegen der „erheblichen Steuerausfälle“ nicht kurzfristig realisierbar. Das Ministerium weist darauf hin, dass der steuerliche Rückstellungszins von sechs Prozent bei der bilanzsteuerlichen Bewertung von Pensionsrückstellungen nach § 6a EStG unabhängig von der jeweiligen Zinsentwicklung seit 1982 unverändert geblieben ist. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble selbst steht offenbar einer Anpassung an einen niedrigeren, realistischeren Rechnungslegungszins offen gegenüber.
Allerdings sperren sich die Bundesländer gegen alle Änderungen bei den gemeinschaftlichen Ertrags- und Verbrauchsteuern, die geringere Einnahmen bedeuten würden. Und die Einkommen- bzw. Körperschaftsteuern zählen dazu.
Die Zinssenkungsgegner haben in diesem Fall leichtes Spiel. Erstens ist die Materie mit dem Rückstellungszins für Betriebspensionen kompliziert und in der Öffentlichkeit nicht so anschaulich zu thematisieren wie etwa der Mittelstandsbauch mit seiner Steuerprogression im mittleren Einkommensbereich. Außerdem haben viele vom Zinstrick betroffenen Unternehmen Angst und kuschen. Sie fürchten zusätzliche Betriebsprüfungen oder keine öffentlichen Aufträge mehr zu bekommen, wenn sie sich wehren.
Der rheinländische Unternehmer, der nun beim Finanzgericht Köln klagt, möchte deshalb auch nicht seinen Namen oder den seiner Firma der Öffentlichkeit preisgeben. In seinem Fall kommt noch die Sorge hinzu, dass Banken die Kreditreißleine ziehen, wenn sie davon erfahren, dass von seinem handelsrechtlichen 300.000-Euro-Gewinn am Ende nur mickrige 10.000 Euro übrig bleiben. Oder dass sich seine industriellen Kunden dann lieber einen finanziell sichereren Zulieferer suchen.
Für Berthold Welling, Steuerabteilungsleiter beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), führt der hohe Steuerzins für die Wirtschaft aktuell zu gravierenden Mehrbelastungen. „Sechs Prozent sind durch nichts zu rechtfertigen“, kritisiert Welling, „und schaden ausgerechnet den Unternehmen am meisten, die sich um die Altersversorgung ihrer Mitarbeiter kümmern.“
Das neue Rentenkonzept der SPD
Für künftige Rentner bedeutet das laut Nahles höhere Renten, als sie nach derzeitigem Recht zu erwarten hätten. Ein Durchschnittsverdiener erhielte 2030 nach ihren Worten auf Grundlage des SPD-Konzepts 150 Euro mehr Rente im Monat, ein Facharbeiter könne mit einem Plus von 225 Euro rechnen. Das seien 8,1 Prozent mehr als nach geltendem Recht.
Die Kosten bezifferte Nahles auf 20 Euro per Person und Monat, wenn die Gesamtkosten von 19,2 Milliarden Euro im Jahr 2030 auf die Bevölkerung von 80 Millionen verteilt würden.
Quelle: Reuters
Stand: 07.06.2017
Derzeit erhält ein Rentner, der 45 Jahre den Durchschnittlohn verdient hat, eine Rente von 48 Prozent des aktuellen Durchschnittslohns. Dieses Rentenniveau ist in den vergangenen Jahren deutlich gesunken. Im Jahr 2003 lag es noch bei 53,3 Prozent. Ein weiteres Absinken ist programmiert durch die rot-grünen Rentenreformen: Ein Nachhaltigkeitsfaktor sorgt dafür, dass die Renten langsamer oder gar nicht zulegen, wenn die Zahl der Rentner stärker steigt als die Zahl der Beschäftigten. Nach derzeitigen Berechnungen könnte das Rentenniveau bis 2030 auf 44,7 Prozent fallen. Laut SPD-Konzept soll es nun bis 2030 stabil bei 48,0 Prozent bleiben.
Den Beitrag zur Rentenversicherung teilen sich je zur Hälfte Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Dieser beträgt derzeit 18,7 Prozent. Nach bisherigen Berechnungen muss der Beitrag erstmals 2022 wieder steigen und bis 2030 auf 21,8 Prozent klettern. Das SPD-Konzept sieht ab 2024 einen etwas stärkeren Anstieg vor, der 2030 21,9 Prozent erreichen würde. Jedes Zehntel Beitragssatzpunkt mehr kostet die Beitragszahler derzeit rund 1,3 Milliarden Euro.
Ab 2028 soll laut SPD-Konzept der Bund einen "Demografiezuschuss" in die Rentenkasse zahlen. Dieser würde von 14,5 Milliarden auf 15,3 Milliarden Euro im Jahr 2030 steigen.
Schon ab 2018 soll eine Solidarrente für Geringverdiener greifen, die 35 Jahre oder länger Beiträge gezahlt haben. Die Solidarrente soll zehn Prozent über der regional unterschiedlich hohen Grundsicherung im Alter liegen, die in der Höhe Hartz IV entspricht. Dabei werden Zeiten der Kindererziehung und Pflege angerechnet.
Selbstständige sollen die Rentenversicherung einbezogen werden, sofern sie nicht über ein Versorgungswerk abgesichert sind, die es etwa für Ärzte, Apotheker, Rechtsanwälte und Steuerberater gibt. Nach Angaben aus dem Arbeitsministerium gibt es etwa drei Millionen Selbstständige, bei denen nicht klar ist, ob sie in irgendeiner Form abgesichert sind. Durch die Einbeziehung eines Teils von ihnen steigen die Beitragseinnahmen. Laut Nahles werden Einnahmen in Höhe von 0,4 Prozentpunkten eines Beitragspunktes erwartet. Die SPD sieht dies als ersten Schritt zu einer Erwerbstätigenversicherung.
Dass die Politik nichts tut, enttäuscht den Mittelständler aus dem Rheinland, ja macht ihn wütend. Da gönne sein Unternehmen den älteren Mitarbeitern eine Betriebspension und werde mit einer Steuer von fast 100 Prozent bestraft. Das bedeute weniger Eigenkapital, weniger Liquidität, weniger Investitionen. „Unter solchen Umständen muss ein Unternehmen doch verrückt sein“, sagt der Chef, „wenn es seinen Mitarbeitern noch eine Betriebspension anbietet?“