Betriebsratsvergütung „An der Grenze zur Strafbarkeit“

Der ehemalige IG-Metall-Justiziar Thomas Klebe fordert eine verbindliche Veröffentlichung der Gehaltsstruktur. Quelle: imago images

Der langjährige IG-Metall-Justiziar Thomas Klebe fordert eine Offenlegung der Vergütungsstruktur von Betriebsräten – und hält viele Arbeitnehmervertreter für unterbezahlt.

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Thomas Klebe war lange Jahre Justiziar der IG Metall und Aufsichtsrat bei Daimler. Von 2010 bis Juli 2019 leitete der promovierte Jurist das Hugo-Sinsheimer-Instituts für Arbeitsrecht in Frankfurt.

WirtschaftsWoche: Herr Klebe, vor wenigen Wochen gab es eine Razzia bei Porsche, bei der es auch um womöglich überhöhte Zahlungen an Ex-Betriebsratschef Uwe Hück ging. Darf ein Betriebsratsvorsitzender hohe sechsstellige Summen verdienen – und wie passt das zur gesetzlichen Vorgabe, dass Arbeitnehmervertreter keine Vorzugsbehandlung genießen dürfen?
Thomas Klebe: Ich sehe keine Bevorzugung von Betriebsräten. Nur knapp sieben Prozent der Betriebsräte sind im Bereich der IG Metall teilweise oder ganz von ihrer ursprünglichen Arbeit freigestellt. Die anderen 93 Prozent arbeiten in ihrem normalen Job und haben häufig das Problem, vom Arbeitgeber für ihre Betriebsratstätigkeit freigestellt zu werden. Der angesprochene Vorgang macht aber deutlich, wie unzumutbar die aktuelle Rechtslage für Unternehmen und Betriebsräte ist. Bei der Betriebsratsvergütung bewegen sich Arbeitgeber und Betriebsratsmitglieder derzeit in einer gesetzlichen Grauzone – an der Grenze zur Strafbarkeit.

Inwiefern?
Nach geltender Rechtsprechung soll sich der Lohn freigestellter Betriebsräte an der beruflichen Entwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer orientieren. Diese schwammige Regel stammt aus dem Jahr 1972. Sie ist in der betrieblichen Praxis und in Zeiten des technologischen Wandels immer weniger zu handhaben und auch nicht angemessen im Hinblick auf die geleistete Arbeit.

Aber was ist daran strafbar?
Wenn der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats in einem Automobilunternehmen 140.000 Euro verdient und seine „Vergleichsgruppe“ nur 70.000 Euro, zahlt ihm der Vorstand eigentlich 70.000 Euro zu viel. Das erfüllt unter Umständen den Tatbestand der Untreue gegenüber dem Unternehmen. Wenn der Betriebsratschef an seiner Eingruppierung mitgewirkt hat oder sie aktiv betrieben hat, macht er sich womöglich der Beihilfe zur Untreue schuldig. 

Plädieren Sie dafür, den entsprechenden Paragrafen 37 des Betriebsverfassungsgesetzes komplett streichen?
Nicht komplett. Das Entgelt vergleichbarer Arbeitnehmer kann als ein Aspekt beibehalten werden. Ursprünglich sollte die Regel die Betriebsräte davor schützen, beim Lohn abgehängt zu werden. Heute ist sie eher ein Deckelung nach oben. Nötig ist eine gesetzliche Klarstellung, dass auch zusätzliches Wissen und Führungsverantwortung aus der Betriebsratstätigkeit honoriert werden – unabhängig von der Vergleichsgruppe. Wer Verantwortung trägt, die weit über seinen Ursprungsjob hinaus geht, wer Gremien leitet und als Betriebsrat neue Qualifikationen erwirbt, der soll das auch auf dem Gehaltszettel wiederfinden. Wenn zum Beispiel in der Automobilindustrie ein Teamleiter in seiner Vergütungsgruppe um die 10.000 Euro verdient, sollte das auch ein hochrangiger Betriebsrat bekommen. Betriebsräte müssen wie jeder Beschäftigte eingruppiert und so angemessen vergütet werden.

Nun ja. VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh verdient 750.000 Euro. Bei Porsche soll Uwe Hück, gelernter Lackierer, angeblich bis zu 500.000 Euro erhalten haben. Ist das dem Bandarbeiter vermittelbar?
Der Bandarbeiter versteht nicht, wenn ein Vorstandsmitglied das über 50-fache des betrieblichen Durchschnittsverdienstes erhält. Deshalb sollte ja auch eine Begrenzung auf ein nachvollziehbares Verhältnis erfolgen. Zum Betriebsrat: Wer in erfolgreichen Industrieunternehmen in der dritten oder vierten Führungsebene eingruppiert ist, verdient gut, keine Frage. Er hat aber auch einen mindestens vergleichbaren Job. Sollten die im Raum stehenden Gehaltszahlen zutreffen, sind es zu Recht keine Vorstandsgehälter; sie entsprechen rund zehn Prozent der jeweiligen Vorstandsvergütung.

Auch bei VW ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen möglicher erhöhter Zahlungen an Betriebsräte. Wie groß ist prinzipiell das Risiko in der deutschen Wirtschaft, dass sich Arbeitgeber durch überhöhte Vergütungen das Wohlwollen von Betriebsräten erkaufen?
Konzessionen von Betriebsräten an die Geschäftsleitung, die zu Lasten der Belegschaft gehen, halte ich für ausgeschlossen. Der Betriebsrat ist ein Gremium mit mehreren Personen, da müsste die „Pflege“ des Arbeitgebers schon sehr in die Breite gehen. Und wo in der Vergangenheit Kumpanei auftrat wie im Fall von Klaus Volkert…

von Melanie Bergermann, Mario Brück, Karin Finkenzeller, Angela Hennersdorf, Annina Reimann, Martin Seiwert

….der VW-Betriebsratschef, der 2008 wegen Beihilfe und Anstiftung zur Untreue eine Haftstrafe erhielt…
… muss man das scharf kritisieren, klar. Man kann aber nicht sagen, dass die betreffenden Personen schlechte Vereinbarungen für die Beschäftigten abgeschlossen haben. Die Arbeitsbedingungen bei VW waren und sind hervorragend. Richtig ist allerdings: Wir brauchen bei der Vergütung von Betriebsräten meines Erachtens nach mehr Transparenz.

Und das heißt?
Alle Betriebsratsgremien sollten die Vergütungsstruktur für Freigestellte offenlegen. Da geht es nicht um den letzten Centbetrag auf dem Gehaltszettel, sondern um die tarifliche Eingruppierung. Wer zum Beispiel einen Betriebsratsausschuss leitet, sollte sagen: Ich werde wie ein Teamleiter bezahlt. Dann können sich die Kollegen das Gehalt in etwa ausrechnen. 

Was würde das bringen – außer Neid der Kollegen?
Es bringt Vertrauen. Die internen und öffentlichen Spekulationen über Gehälter sind schlimmer als Neid. Nach dem Skandal um Klaus Volkert hat damals der Vorsitzende des Daimler-Betriebsrats im Werk Untertürkheim gesagt: Ich verdiene rund 8200 Euro. Der damalige Gesamtbetriebsratsvorsitzende ist dem gefolgt und hat erklärt: Das kriege ich in etwa auch – und noch einen Schnaps drauf. Das waren Größenordnungen, über die sich kein Mensch aufgeregt hat, weder im Unternehmen noch in der Öffentlichkeit.

von Melanie Bergermann, Mario Brück, Karin Finkenzeller, Angela Hennersdorf, Annina Reimann, Martin Seiwert

Sollte die Offenlegung freiwillig geschehen oder per Gesetz verordnet werden?
Die Veröffentlichung der Gehaltsstruktur sollte verbindlich sein. Allerdings gebe ich zu: Diese Forderung ist innerhalb der Gewerkschaften nicht übermäßig populär. Deswegen muss sie aber nicht falsch sein. 

Und was ist mit der IG Metall, wo Sie viele Jahre der Justiziar waren?
Auch in der IG Metall wird diese Maßnahme kontrovers diskutiert.

Könnte es nicht passieren, dass sich weniger Leute zur Wahl stellen, wenn sie als Betriebsrat den Kollegen ihr Gehalt offenbaren müssen?
Das glaube ich nicht. Ich habe noch nie verstanden, warum Gehaltstransparenz in Deutschland so ein großes Problem ist. In den USA plaudern die Leute beim Barbecue darüber, was sie verdienen.

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