Bettina Röhl direkt

Der grüne Stern sinkt

Bettina Röhl Publizistin

Kurz vor der Bundestagswahl geraten die Grünen angesichts einbrechender Umfragewerte in Panik: Die Partei stürzte auf 9 Prozent. Und jetzt bringt Cohn-Bendit's europäisches Manifest die Grünen auch noch in Erklärungsnot.

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Die Grünen waren immer eine Ge-und Verbotspartei. Aber das haben sie erfolgreich kaschiert. Quelle: dpa

Die Grünen sind wenige Tage vor der Bundestagswahl in einer Umfrage erstmals seit langem auf unter zehn Prozent abgestürzt. Im Wahltrend des Magazins „Stern“ und des Senders RTL, der am Mittwoch veröffentlicht wurde, verloren sie zwei Punkte und kamen nur noch auf neun Prozent. Der Grund? Die Grünen waren eine Wohlstandserscheinung. Sie waren das Sammelbecken der urbanen Protestkultur der neuen Westlinken, die die klassischen kommunistischen Ziele wie die Enteignung von Grund, Boden und Produktionsmitteln als auch die geostrategische Bekämpfung des Westens von innen heraus, mit einer fundamentalistischen popkulturellen, technikfeindlichen Zerstörungswut der westlichen Werteordnung verbanden.

Macht kaputt, was euch kaputt macht, aber das bitte mit Sonnenblume und Joghurt und mit der massenmilitanten Gewaltfixiertheit (Revolutionsphantasma) der 68er-Bewegung. Die Grünen waren die Partei der permanenten "Kulturrevolution",  frei nach ihrem frühen Halbgott Mao Zedong. Sie waren eine Partei, die sich zunächst aus verborgenen Kampfkadern der regionalen K-Gruppen in Deutschlands zusammen setzte, aus denen viele bekannte Grüne kamen, zum Beispiel Jürgen Trittin, Winfried Kretschmann, Joschka Fischer, Daniel Cohn-Bendit. Aus Prinzip extrem dogmatisch und dabei zeitgeistig getarnt, war die frühe grüne Ideologie auf die Zerstörung aller westlichen Werte und Traditionen gerichtet und zwar auf eine Zerstörung um ihrer selbst willen.

Protest als Politik

Mit viel Sympathie für Terrorismus (Revolution, Stadtguerilla) kämpften die ersten Grünen als Krieger Mao Zedongs im Westen den Kampf um die Dritte Welt und dies in trauter Vereintheit mit dem heimattümelnden Feigenblatt, das die frühen Umweltfetischisten beisteuerten: Kampf für die Lurche, für den vom Aussterben bedrohten deutschen Wald. Kampf gegen den Ausbau von Flughäfen (Startbahn West), gegen den Ausbau von Straßen, von Infrastruktur und gegen Atomkraft. Dazu kam im Zuge einer Psychologisierung und Pädagogisierung der Gesellschaft der grüne Kampf gegen Institute wie Familie, Schule, Bundeswehr, gegen Heterosexualität und gegen jede staatliche Struktur.

Alles was real existierte, machte die Grünen verdächtig, erklärten es für rückständig, reaktionär, autoritär, tumb, dumpf und böse. Alles was real existierte, stellten sie erfolgreich unter Generalverdacht. Dem zersetzenden Katastrophen-Alarmismus der Grünen entkam nichts und Niemand mehr. Die Grünen waren von Anfang an zugleich die Bewegung einer urwestlichen Luxusdekadenz. Sie attackierten die Menschen und die Gesellschaft insgesamt derart, bis diese in Selbstzweifel gedrängt und für jeden grünen Kotau reif geschossen waren. Die Grünen be- und verurteilten jeden und alles und verhinderten über Jahrzehnte, dass sie selber Gegenstand von Be-und Verurteilung wurden.

Die Grünen waren die Themensetzerpartei

"Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch"
Begleitet von rund 200 Sympathisanten zogen die Grünen vor 30 Jahren in den Bundestag ein. Unter ihnen waren die Abgeordneten Gert Bastian, Petra Kelly, Otto Schily und Marieluise Beck-Oberdorf (von links nach rechts). Der Bundestag war völlig unvorbereitet auf diese neue Art der Politik. Quelle: dpa
Zwei Tage nach dem 5,6-Prozent-Erfolg der Grünen bei der Wahl am 6. März 1983 kamen die 27 Abgeordneten erstmals zu einer Sitzung zusammen. Der Konferenzsaal des Abgeordnetenhauses am Bonner Tulpenfeld war viel zu eng. Auch Basisvertreter und Nachrücker waren dabei, nach zwei Jahren sollten die frisch gewählten Abgeordneten wieder aus dem Parlament hinausrotieren. Quelle: dpa
Trotz Ermahnungen der politisch Etablierten zu ordnungsgemäßer Kleidung dominierten Strickpullis und Zauselhaare. Nur eine weibliche Abgeordnete erschien mit Anzug und Krawatte. Einige brachten Strickzeug mit in den Bundestag, andere erschienen mit Blumentöpfen zur ersten Sitzung. Quelle: dpa
Auch Blumen gießen gehörte in den Anfangsjahren dazu – hier streng beobachtet von Otto Schily (rechts) und der amüsierten SPD-Politikerin Ingrid Matthäus-Maier. Über den fehlenden Platz für die Neuparlamentarier verhandelten die Grünen-Fraktionsvorständler Petra Kelly und Otto Schily sowie Fraktionsgeschäftsführer Joschka Fischer mit Bundestagspräsident Richard Stücklen. Die alteingesessenen Parteien zeigten sich skeptisch gegenüber den Neulingen. Helmut Kohl hielt die Grünen nur für eine zwischenzeitliche Episode. „Zwei Jahre gebe ich denen, dann gehen sie Mann für Mann zur SPD über“, sagte er. Quelle: dpa
Doch die Grünen blieben. Schon früh setzten die Grünen themenpolitische Akzente, mit der sie die ganze Republik umkrempelten. Sie sprachen sich nicht nur früh gegen Atomkraft und für den Umweltschutz aus, sondern forderten damals schon gleiche Rechte für Homosexuelle, eine multikulturelle Gesellschaft und die Abschaffung der Wehrpflicht ein – alles Themen, die bis heute auf der Agenda stehen. Waltraud Schoppe (Mitte) sorgte mit ihrer ersten Rede gar für Entsetzen. „Wir fordern Sie alle auf, den alltäglichen Sexismus in diesem Parlament einzustellen.“ Ein Satz, der ob der Sexismus-Debatte auch 30 Jahre später noch aktuell ist. Quelle: dpa
Zu den ersten Abgeordneten zählten auch Petra Kelly (links, mit Blumen) und Marieluise Beck-Oberdorf (rechts). „Auch wenn wir uns antiautoritär gaben, so hatte doch dieser altehrwürdige Plenarsaal etwas Respekt einflößendes“, sagte Beck-Oberdorf in einem Interview mit tageschau.de. Trotzdem habe es das Gefühl gegeben, man sei keine „normale“ Partei. Quelle: dpa
Grünen-Gründungsmitglied Kelly, hier mit dem damaligen SPD-Vorsitzenden Willy Brandt, gehörte zu den Ikonen der grünen Anfangsjahre. Sie prägte zum Beispiel den Ausdruck der „Anti-Parteien-Partei“ und der „Instandbesetzung des Bundestages“. Sie setzte sich besonders für Frieden und Menschenrechte ein. Noch mehr Beachtung als ihr Tun fand ihr Tod. Ihr Lebensgefährte und Mitstreiter Gert Bastian erschoss sie 1992 im Schlaf – und tötete sich selbst ebenfalls. Quelle: dpa

Wer die Auseinandersetzung zwischen den sogenannten Realos und den Fundis bei den Grünen anschaut, deren Sieger sich heute in der Führungsriege der Grünen wieder finden, erkennt unschwer, dass der revolutionäre Kampf bei den Grünen immer auch eine janusköpfige Erscheinung war. Einerseits kämpfte man mit Massenprotest (Demos, außerparlamentarischer Kampf) gegen die bestehenden Verhältnisse und andererseits unterwanderte man massenhaft die Institutionen ("Langer Marsch"), um diese von innen heraus auf Linie zu trimmen. Diese im klassischen Sinne unorganisierte, aber selbsttätig perfekt funktionierende Doppelstrategie machte die Grünen stark und vor allem auch stark als Themensetzerpartei.

Wie schon die kommunistischen Ur-Ahnen strebten die Grünen erfolgreich auch eine Besetzung der öffentlich-rechtlichen und privaten Medien in Deutschland an. Revolutionärer Kampf bedeutete aber auch die Ausbildung des einzelnen Revolutionärs zu einer erfolgreichen, regelrechten Kampfmaschine. Wer sich in den inneren, brutalen Kämpfen der Grünen durchsetzte, war für den Kampf mit dem politischen Gegner bestens gerüstet.

Der revolutionäre Kampf war eine Psycho-Schulung der Protagonisten, die sektenartig mit eigenen Schuldsystemen und Unter-und Überordnungsritualen arbeiteten und für die Außenwelt unsichtbare Strukturen schufen.

Die Grünen waren ein erfolgreiches potemkinsches Dorf

Die Außendarstellung der Grünen war in den letzten knapp 35 Jahren ihrer Geschichte immer ein erfolgreiches potemkinsches Dorf mit wechselnden Kulissen. Je nach Zeitgeist und tagesaktueller Lage stellten sich die Grünen als die Partei der Vernunft, der Nachhaltigkeit (neuerdings), der besseren Alternativen dar, die hart aber fair, aber immer lieb und sachbezogen und für das Gute ringend für die Sache im Einsatz sei. Intern beherrschten Grabenkämpfe und auch der brutale Kampf Mann gegen Mann (Frau gegen Frau, Frau gegen Mann usw.) das Geschehen.

Der inzwischen zu Recht etwas in Vergessenheit geratene, erfolgreichste Oberguru der Grünen, Joschka Fischer, war ein besonders erfolgreicher Durchstecher in den internen grünen Machtstrukturen.

Intern hieß grün zu sein fast immer sich den grünen Codes unterzuordnen und den Pfad der "Tugend", der sich sehr schmal und kompliziert gebunden durch die vielen Ge- und Verbote schlängelte, strikt und unterwürfig einzuhalten. Die Grünen waren immer eine Ge- und Verbotspartei. Aber das haben sie erfolgreich kaschiert, weil sie die Gesellschaft mit der Attitüde vor sich hertrieben für die wahre Freiheit und die wahre Befreiung des Menschen zu kämpfen.

Die Grünen waren immer eine Ge- und Verbotspartei

Was Rot-Grün in NRW umsetzte
Die nordrhein-westfälische SPD-Vorsitzende Hannelore Kraft (r) und Sylvia Löhrmann von den Grünen Quelle: dpa
Grundschulklasse Quelle: dapd
KitasIm Koalitionsvertrag hatten SPD und Grüne angekündigt, schrittweise die Beitragsfreiheit einzuführen. Seit August 2011 ist das letzte Kita-Jahr vor der Einschulung kostenfrei. Bei den Plätzen für Kinder unter drei Jahren gehörte NRW auch 2011 zu den Schlusslichtern. Aktuell gibt es rund 100.000 Betreuungsplätze. Damit fehlen noch 44.000 Plätze, um bis August 2013 die angestrebte Betreuungsquote von 32 Prozent zu erreichen. Quelle: dpa
Eine Schuldenuhr vom Bund der Steuerzahler NRW Quelle: dpa
VEBA Kohlekraftwerk Scholven in Gelsenkirchen Quelle: AP
Landschaftspark in Duisburg Quelle: REUTERS
Ein Stimmzettel Quelle: dpa

Es gehört zu den grünen Eigenartigkeiten, dass die Grünen just in diesen Zeiten, auch noch vor dem Wahltag am 22.September, plötzlich als sauertöpfige Verbotspartei wahrgenommen werden.

Immerhin: 35 Jahre lang haben die Grünen den öffentlichen Diskurs weitgehend beherrscht. Sie haben die brutalen Normen der politischen Korrektheit gesetzt und eigentlich alle konkurrierenden Parteien haben den politisch korrekten Mainstream ausgefüllt und bedient und ihm gehuldigt. Die politische Korrektheit gesetzt. Und oft beschrien, ist ein brutales gesellschaftsschädliches Konstrukt von Ge- und Verboten und insofern ist es ein absolutes Novum, eine regelrechte neue öffentliche Wahrnehmungskultur der Grünen, wenn diese jetzt nach fast 35 Jahren zunehmend als das wahrgenommen werden, was sie sind, nämlich Vorschriftenmacher, Polizisten der politischen Korrektheit.

Diese Gesinnungsrichterei haben auch die junggrünen Führungskader, die mit der Entstehungsgeschichte der Grünen nur noch peripher in Verbindung gebracht werden können, voll und ganz und sehr großzügig übernommen. Auch heute noch gibt es die Doppelstrategie, die nicht von Oben verordnet, aber in der Ideologie angelegt ist, nämlich die Aufteilung der offiziösen Grünen da oben in der Partei und die selbsttätigen Streetfighter, die Autonomen, ganz unten und dazwischen einen satten Bürgerbauch, der mal so und mal so in dieser Doppelstrategie mitschwingt.

Der grüne satte Bürgerbauch und die Schlägertrupps von unten

Aktuell vor der Bundestagswahl attackieren die grünen Etablierten mit der Jokerkarte "braun, Rassismus" und dergleichen (was in der Sache nichts mit den gezielten historischen Anspielungen zu tun hat) von ihnen ausgemachte politische Gegner und die Drecksarbeit unten erledigen parallel dazu die bekannten Schlägertrupps mit "politischem Anspruch".

Die Grünen dürfen das. Sie dürfen zur Reinigung und Säuberung der Gesellschaft jede Strategie jenseits und über dem Recht stehend gegen politische Gegner fahren. Auch Parteien wie die CDU/CSU oder die FDP wurden von selbsttätig agierenden Grünen, wohlgelitten von der Bewegung, schon als rechtslastig gebrandmarkt, je nach Mode auch mit harmlos klingenden Vokabeln wie neokonservativ, neocon, o.Ä. Gar nicht lange her. Und selbst die gute alte SPD, deren Juso-Flügel bis heute in vielen Bereichen (etwas dogmatischer auf Marx bezogen) mit den Grünen mithalten kann, hat in Ansehung ihres konservativen Flügels, nämlich der verächtlich gemachten Kleinbürger in der SPD, schon ihr grünes Fett ab bekommen.

Die Grünen waren fast 35 Jahre lang in der komfortablen Situation, das alte rote Erbe für sich nutzbar machend, nicht nur im öffentlichen Diskurs immer "recht zu haben", sondern auch dort, wo es nötig war, von dem von ihnen weitgehend beeinflussten Staatsapparat (Justiz) regelmäßig Recht zu bekommen. Da schlummern noch einige historische dicke Hunde, die der Aufarbeitung bedürfen.

Die 35-jährige Immunität der Grünen

"Klare Verhältnisse, nur nicht klar welche"
Edmund Stoiber, CSU, ehemaliger Ministerpräsident von Bayern:„Ich weiß, was es heißt, Mutter von drei kleinen Kindern zu sein.“ Quelle: dpa
Lothar Späth, ehemaliger Ministerpräsident von Baden-Württemberg (1978-1991):„Wir haben jetzt klare Verhältnisse, aber wissen noch nicht welche.“ Quelle: dpa
Hans Eichel, ehemaliger Bundesfinanzminister (1999-2005):„Alle zehn Jahre werden die Menschen ein Jahr älter.“ Quelle: REUTERS
Roland Koch, Vorstandschef Bilfinger, ehemaliger Ministerpräsident von Hessen (1999-2010):„Die Beschilderung muss der tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit angepasst werden.“ Quelle: dpa
Theo Waigel, ehemaliger Bundesfinanzminister (1989-1998), seit 2009 Ehrenvorsitzender der CSU:„Die Mark wird durch den Euro sicherer.“ Quelle: dpa
Rudolf Scharping, seit 2005 Vorsitzender des Bunds Deutscher Radfahrer, ehemaliger Verteidigungsminister (1998-2002) und Kanzlerkandidat (1994):"Mein ganz persönliches Herz schlägt für die Kinder im Kosovo" Quelle: REUTERS
Helmut Kohl, ehemaliger Bundeskanzler (1982-1998) und CDU-Parteivorsitzender "Ich weiß nicht, was mein Freund Mitterrand darüber denkt, aber ich denke genauso." Quelle: dpa-dpaweb

Hier geht es um den plötzlichen Umschwung in der Kultur der Außenwahrnehmung der Grünen. Diesen Umschwung, den die Grünen selber, die bisher mit der Muttermilch die Gewissheit aufgesaugt hatten, dass Grün ein unschlagbares Erfolgsrezept wäre, noch nicht verstanden haben, hat auch die politischen Konkurrenz bislang noch nicht realisiert. Auch die politische Konkurrenz ist nach wie vor davon überzeugt, dass die grüne Ideologie unschlagbar wäre. Auch die grünen Wähler sind sich ihrer Sache gewiss. Mit dem grünen Kreuz in der Kabine fühlen sie sich nach wie vor auf der Siegerseite.

Tatsächlich sind die Grünen erstmalig in ihrer Geschichte schlagbar. Es gibt einen gesellschaftlichen Paradigmenwechsel, der sich noch erst wie eine zarte Pflanze zeigt. Das gesellschaftliche Subordinationsverhältnis, grüne Minderheit oben, nicht grüne Mehrheit unten, hat sich noch kaum sichtbar umgedreht. Plötzlich kann man auf die grünen Spielwiesen der siebziger, achtziger und neunziger Jahren gucken, wie man nach der Wende auf die Trabbis der gehätschelten DDR schaute. Mit einer Mischung aus Lachen und Entsetzen, Fremdschämen und Ungläubigkeit.

Pädophile an die Macht? Ja, das gab es wirklich. Kann man es glauben? Nein, man kann es kaum glauben. War es so? Ja, es war so. Wer Habitus und Outfit der sogenannten alternativen Szene, nämlich einer großen Strömung der grünen Bewegung, erinnert oder heute auf alten Filmmaterialien anschaut, glaubt es einfach nicht. In einem hochzivilisierten und wahnsinnig reichen Land rannten die grünen Sektenmitglieder herum wie Neandertaler. Seife war tabu, Verwahrlosung war in. Die Verwahrlosung der Kinder eingeschlossen. Längst haben sich die Grünen verschickifiziert und zu gierigen Luxuskonsumenten entwickelt. Dies allerdings immer noch mit der Attitüde irgendwie anders, irgendwie alternativ zu sein. 

Die Grünen sind eine Filz-und Lobbyistenpartei

Die anderen sollen keinen Geländewagen fahren, aber grüner Selbstfindungstourismus ans andere Ende der Welt oder zu den alternativen Kongressen oder Massenveranstaltungen auf fremden Kontinenten zu fliegen, ist eine Selbstverständlichkeit. Solche Schizophrenien haben die Grünen nie gejuckt, aber solche Schizophrenien werden heute anders wahrgenommen als bisher.

Die Grünen, die jahrzehntelang den Fetisch von der Atomlobby, die uns alle im Würgegriff hätte, aufgebaut haben, waren selber die weitaus gefährlicheren Lobbyisten, die die Milliardenbeträge verschoben und Milliarden- oder Millionenschwere Karrieren in der Solar- oder der Windtechnik gemacht haben. Die Windmüller und die Sonnentechniker werden es den Grünen gedankt haben.

Die vorgebliche Transparenzpartei hat sich längst zur erfolgreichsten Filzpartei entwickelt. Aber das wird, anders als bisher, zunehmend auch wahrgenommen. Die alternativen Energietechniken, von den Grünen sachwidrig aufgebläht und als Hightech-Jobmotor gepriesen, erweisen sich als Flop.  

Der grüne Heißluftballon

Welche Politiker die Deutschen (nicht) lieben
Angela Merkel: 65 ProzentKanzlerin Merkel baut ihren Vorsprung in der Wählergunst im ARD-Wahltrend nochmal um fünf Prozent zum Vormonat aus. Damit ist sie nicht nur die Politikerin, mit deren Arbeit die Deutschen am zufriedensten sind. Sondern sie führt als CDU-Vorsitzende auch die Partei an, die – laut aktueller Sonntagsfrage – eine unveränderte Mehrheit von 41 Prozent der Deutschen wählen würden. Bei einer Stichwahl zwischen den Kanzlerkandidaten Steinbrück und Merkel, würden 55 Prozent der Deutschen für Merkel stimmen. Im Profilvergleich mit ihrem SPD-Herausforderer schneidet sie nur beim Einsatz für soziale Gerechtigkeit schlechter ab. Quelle: dapd
Thomas de Maizière: 63 ProzentVerteidigungsminister de Maizière folgt der Kanzlerin auf den Fersen: Auch der CDU-Politiker konnte zum Vormonat nochmal fünf Prozent gutmachen. De Maizière kommt in seinem Amt als Verteidigungsminister wohl deshalb so gut an, weil er den Umbau der Bundeswehr in eine Freiwilligenarmee zügig vorantreibt. Außerdem macht er auf das Schicksal traumatisierter Soldaten aufmerksam und erklärt den pazifistischen Deutschen, warum mancher Bundeswehreinsatz doch nötig sein könnte. Quelle: dapd
Wolfgang Schäuble: 59 ProzentAuch auf dem dritten Platz der Zufriedenheitsrangliste steht ein CDU-Politiker aus dem merkelschen Ministerkabinett: Finanzminister Schäuble hat nochmal zwei Prozent mehr Zustimmung bekommen als im Dezember. Und das obwohl er als einer der prominenten Manager der Euro-Krise nicht gerade auf Beliebtheit abonniert ist: Glauben doch 70 Prozent der Deutschen, dass uns das schlimmste in der europäischen Schuldenkrise noch bevorsteht. 54 Prozent der Wähler machen sich Sorgen um ihre Ersparnisse. Quelle: REUTERS
Hannelore Kraft: 58 ProzentDer populärste Sozialdemokrat ist weder Parteiführer Gabriel noch die „Stones“, sondern die Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen: Hannelore Kraft hat zum Vormonat nochmal zwei Prozent auf der Zufriedenheitsskala zugelegt. Ihre Beliebtheit gründet sich wohl vor allem darauf, dass sie nicht kühl und abgehoben und ihre Auftritte inszeniert wirken, wie bei vielen anderen Spitzenpolitikern. Sie wirkt immer noch wie die gute Freundin von nebenan – und diese Bodenständigkeit kommt an. Quelle: REUTERS
Frank-Walter Steinmeier: 51 ProzentVor noch nicht allzu langer Zeit hatte die SPD noch drei potentielle Kanzlerkandidaten für die Bundestagswahl im Herbst: die „Stones“, Steinbrück und Steinmeier, und den dritten im Bunde, Parteiführer Gabriel. Zum Spitzenkandidat kürte die SPD – irgendwie über Nacht – Peer Steinbrück, der inzwischen in den Beliebtheitsumfragen abstürzt. Dagegen sind die Deutschen in der aktuellen Umfrage mit Frank-Walter Steinmeier aus dem ehemaligen SPD-Triumvirat am zufriedensten, auch wenn er seit den letzten Umfragen um 5 Prozent absackte. Quelle: dapd
Jürgen Trittin: 45 ProzentDer beliebteste Grünen-Politiker im Deutschlandtrend ist Bundesfraktionsvorsitzender Jürgen Trittin mit unverändert 45 Prozent Zustimmung. Bei der aktuellen Sonntagsfrage würden 14 Prozent der Deutschen die Grünen in den Bundestag wählen, zwei Prozent mehr als noch in der Vorwoche. Quelle: dpa
Ursula von der Leyen: 44 ProzentDie Zufriedenheit mit Arbeitsministerin von der Leyen liegt unverändert bei 44 Prozent. Sie selbst geht mit dem Thema Popularität ganz pragmatisch um: “Beliebt wollte ich zu Schulzeiten sein, das sind Poesiealbumkategorien. Als Ministerin ist das für mich kein Kriterium mehr. Die Themen, die ich behandele, polarisieren, weil sie jeden angehen.” Quelle: dpa

Beispielsweise die Chinesen bauen die markttauglicheren Photovoltaikanlagen und Windräder. Daran ändern auch Subventionen der chinesischen Regierung zu Gunsten der heimischen Industrie nichts. Und wer zahlt die grüne Energiezeche? Der Energieverbraucher und der Steuerzahler. Und auch das wird jetzt plötzlich wahrgenommen, unbeschadet der Tatsache, dass sich die Grünen aktuell wieder einmal mit ihrer besonderen Energieexpertise dem Wähler empfehlen.

Der vom Hardcore-Radikalinski zum Schmusebär mutierte Winfried Kretschmann hat im Ländle dafür gesorgt, dass der grüne Lack angekratzt und die grün-bürgerlichen Wähler angesäuert sind. Der grüne Dilettantismus ist von der Gesellschaft jahrzehntelang ausgeblendet worden und durch eine fiktive ökologische, moralische und sonstige Überlegenheit der Grünen ersetzt worden. Die positiven Zuschreibungen, die den Grünen zu immer neuen Höhenflügen verhalfen, faden raus aus der Gesellschaft. Der grüne Heißluftballon bekommt keinen Brennstoff mehr.

Jahrzehntelang wären die Grünen mit Trittins Steuererhöhungsplänen in vergleichbarer Situation programmatisch perfekt für die Wahl am 22.September aufgestellt gewesen. Jetzt plötzlich murrt das grüne Wahlvolk und wandert ab. Die Grünen sehen sich unmittelbar vor der Bundestagswahl angesichts abnehmender Umfragewerte gezwungen von der Steuernummer abzulenken und sich eilig auf ihre besagte selbstattestierte Energiewandel-Kompetenz zu berufen. Sie kündigen an, dass sie nach der Wahl - im Fall einer Regierungsbeteiligung - ein neues Ministerium für Energiewende gründen wollen.

Die Energiewende und der Sand im Getriebe

Dank des grünen Drucks, dem sich Merkel beugte, fließt der Strom aus natürlichen Energiequellen, gerne regenerativ oder erneuerbar genannt, hierzulande gelegentlich zu doll und über weite Strecken nicht ausreichend. Dass Sonne und Wind machen, was sie wollen und nicht, was die Grünen wollen, ist eine Tatsache, die auch mit grüner Ideologie bisher nur mühsam in den Hintergrund gedrängt werden konnte. Fehlende Netzkapazitäten, die derzeit diskutiert werden, sind auch eine Tatsache, die mit grüner Ideologie nur mühsam vom Tisch gewischt werden konnte. Jetzt werden die von den Grünen verkauften Energieutopien sichtbar und benennbar.

Cohn-Bendits irres Manifest

Und jetzt kurz vor der Bundestagswahl platzt, von der Öffentlichkeit noch nicht wirklich wahrgenommen, der grüne Vordenker Daniel Cohn-Bendit mit seiner europäischen "Bombe" ("Big Bäng") in den Wahlkampf hinein. Gleichzeitig in fünf verschiedenen Ländern, in Polen, Frankreich, Österreich, den USA und in Deutschland erschien in diversen Medien das sogenannte Manifest von Cohn-Bendit und einem Co-Autoren Felix Marquardt, das seine Neuerfindung Europas propagiert.

Grüner Erklärungsnotstand

Wie das Einkommen das Wahlverhalten bestimmt
Die Anhänger dieser Partei würde wahrscheinlich diese Wahlkabinen nicht betreten - es ist die Partei der Nichtwähler. 18,5 Prozent der Nichtwähler verdienen weniger als 1.000 Euro pro Monat. Auch in der Einkommensgruppen über 2.500 pro Monat finden sich immer noch 26 Prozent der Nichtwählerpartei.Quelle: Abteilung Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie der Universität Leipzig Quelle: REUTERS
Die Linkspartei kommt nicht richtig bei den Armen an. Lediglich 6,8 Prozent ihrer Wähler verdienen weniger als 1.000 Euro - 30,8 Prozent der Linke-Wähler stehen hingegen mehr als 2.500 Euro zur Verfügung. Quelle: dpa
Anders als die Vermutung nahe legt, befindet sich auch die SPD bei den Personen, die weniger als 1.000 Euro verdient, klar in der Minderheit. Nur 6,1 Prozent der SPD-Wähler kommen aus dieser Schicht, während bei den Personen mit einem Einkommen von mehr als 2.500 Euro bereits 31,3-Prozent der Wähler stammt. Quelle: AP
Die Piratenpartei hat eine breite Basis an Anhängern. Sie überholt alle etablierten Parteien im Spektrum der Personen, die weniger als 1.000 Euro verdienen: Sie finden hier 10,8 Prozent ihrer Wähler. Und bei den großen Einkommen über 2.500 Euro vereinen die Freibeuter gleich 31,8 Prozent ihrer Wählerschaft. Quelle: dpa
Untentschlossene Wähler stammen zu 32,9 Prozent aus der Einkommensgruppe über 2.500 Euro. Sie sind auch in der Gruppe unter 1.000 Euro mit 11,4 Prozent vertreten. Quelle: ZB
31,8 Prozent der Wähler, die ihr Stimme der CDU/CSU geben, verdienen mehr als 2.500 Prozent. In der Einkommensgruppe von unter 1.000 Euro sind lediglich nur 5,7 Prozent der Wähler. Quelle: dpa/dpaweb
Gut in den allen Einkommensgruppen vertreten: Die Rechtsparteien. 15,8 Prozent ihrer Wähler verdienen weniger als 1.000 Euro; 35 Prozent mehr als 2.500 Euro. Quelle: dapd

Da scheint sie noch einmal auf, die grüne Verfilzung in die Medien hinein. Auch die Buddys in der berühmten New York Times waren offenkundig nicht in der Lage den Gedankenwust, die sinnlosen Analysen und die Fehlschlüsse, aber auch die Populismen und die gefährliche Brandstiftung des Aufpeitschers der französischen Mai-Unruhen von 1968 als den gequirlten Blödsinn wahrzunehmen, der dieses Manifest ist.

Cohn-Bendit will von Oben eine europäische Revolution von Unten initiieren. Mittels Flashmob und Shitstormtechniken will er die von ihm für leichte Beute erachteten Millionen von arbeitslosen jungen Menschen in Europa zu einer Art Revolution gegen das bestehende Europa anstacheln. In einer seltsamen Mischung aus Adolf Hitlers und Mao Zedongs Programmen sollen die jungen Menschen, die ihre Länder vergessen, verlassen und nur noch Europa sehen sollen, in eine Art kulturrevolutionären Arbeitsdienst mit Namen "europäisches Jahr" geschickt werden. Massen von jungen Menschen sollen sich in Bewegung setzen und mittels einer Revolution von Unten die von Cohn-Bendit als Nationalstaaten bezeichneten Länder Europas sowie deren Institutionen und Parlamente hinweg fegen. Und wenn die jungen Menschen ihre Revolution, ihren "Big Bang", gegenüber Europa beendet haben, sollen die Brüsseler und Straßburger Institutionen ihre Politik aufnehmen und den Nationalstaat Europa zu blühender globaler Bedeutung, zum Licht und zur Sonne führen. Wie die meisten Revolutionsapologeten prahlt Cohn-Bendit mit sehr vage formulierten Zielvorstellungen herum und dies ohne eine konkrete Angabe, wie er was genau gestalten will.

Da allzu viele Leitmedien das sogenannte Manifest nicht als missglückte Satire ignoriert, sondern das Ganze als druckwürdig behandelt haben, haben die Grünen jetzt eine Bringschuld. Die Grünen müssen erklären, ob das Manifest ihres grünen Idols Cohn-Bendit Teil ihres bisher geheim gehaltenen Parteiprogramms ist. Wollen die Grünen Europa in den Zustand einer Art permanenter Kulturrevolution schicken und das Leid von Millionen arbeitslosen Menschen politisch missbrauchen?

Wollen sie tatsächlich, unter dem Vorwand ein neues Europa zu kreieren, Europa zerstören? Wollen die Grünen tatsächlich, wie Cohn-Bendit lauthals schreit, das von ihm ausgemachte finnische Schulsystem in ganz Europa einführen und das französische Gesundheitssystem, die schwedische Genderpolitik, flexible Beschäftigungstechniken aus Deutschland usw. in ganz Europa verbindlich machen?

Wollen die Grünen die europäischen Identitäten beseitigen und diese durch eine paneuropäische Einheitsidentität diktatorisch-revolutionär ersetzen? Wollen sie sich den Schuh des intellektuellen Flachmannes Cohn-Bendit, der über einen gefährlich sicheren Instinkt, wie Massen aufzupeitschen sind, verfügt, tatsächlich zu eigen machen?

Mit diesem ideologischen Altherrenwitz in Gestalt seines sogenannten europäischen Manifestes, will  sich Cohn-Bendit ganz sicher von den pädophilen Schatten, die er auf seiner grünen Weste wahrnimmt, befreien. Und es scheint ganz so, als wolle er mit diesem verfrühten politischen Nachlass in den Himmel der Unsterblichen aufsteigen.

Die Grünen befinden sich jetzt im Erklärungsnotstand. Ein solcher Vorstoß eines grünen Alt-Guru und dies mitten im Endspurt zur Bundestagswahl kann nicht einfach so von der grünen Parteispitze übergangen werden.

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