Bettina Röhl direkt

Was ist konservativ?

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Der Konservative ist nicht per se religiös

Papst Franziskus, Fürsprecher der Armen
Der neue Papst Jorge Mario Bergoglio ähnelt in seinem bescheidenen Lebensstil seinem italienischen Namenspatron Franziskus aus dem 13. Jahrhundert, der freiwillig in Armut lebte und einen Bettelorden gründete. Quelle: AP/dpa
Bergoglio ist der 266. Pontifex der Kirchengeschichte, aber der erste Papst aus Lateinamerika und der erste Jesuit auf dem Heiligen Stuhl. Er wurde am 17. Dezember 1936 als Sohn italienischer Einwanderer geboren - dies dürfte eine enge Verbindung zu seiner neuen Heimat im Vatikan schaffen. Quelle: AP/dpa
Nach einer Ausbildung als Chemietechniker entschied er sich für das Priesteramt und wurde 1969 zum Priester geweiht. Schon nach vier Jahren wurde er 1973 zum Provinzial des Jesuitenordens für Argentinien gewählt und leitete dann bis 1979 den Orden in dem lateinamerikanischen Land. Während dieser Zeit begann die Militärdiktatur, in deren Verlauf rund 30.000 Menschen verschleppt und ermordet wurden. In seiner Heimat wurde der Vorwurf erhoben, Bergoglio habe als Jesuiten-Provinzial während der Militärdiktatur Ordensbrüdern nicht ausreichend Rückendeckung gegeben. Quelle: REUTERS
1992 wurde Bergoglio von Papst Johannes Paul II. zum Weihbischof von Buenos Aires ernannt. Sechs Jahre später wurde er Erzbischof des Bistums. Quelle: AP/dpa
Bei der Papst-Wahl 2005 war Bergoglio der Hauptkonkurrent von Joseph Ratzinger, der sich allerdings durchsetzte und als Papst Benedikt XVI. acht Jahre die römisch-katholische Kirche führte. Damals wurde der Argentinier von den moderaten Kardinälen als Gegengewicht zum dogmatischen damaligen Leiter der Glaubenskongregation unterstützt. Quelle: AP/dpa
Von seiner Biografin Francesca Ambrogetti wird der 76-Jährige als Mann des Ausgleichs mit großem Verhandlungsgeschick und einem ausgeprägten sozialen Gewissen beschrieben. Er wurde auch "Kardinal der Armen" genannt. Bergoglio gilt als bescheiden und volksnah. Auch als Kardinal war sich der Argentinier nicht zu schade, den Bus oder die U-Bahn zu nehmen statt einer Limousine. Statt in der erzbischöflichen Residenz wohnte er in einem einfachen Apartment. So entstand etwa im Jahr 2008 dieses Foto des Jesuitenpaters in der U-Bahn in Buenos Aires. Quelle: AP/dpa
Bergoglio begrüßt 2008 Argentiniens Präsidentin Cristina Fernandez de Kirchner. Mit Politikern spricht er Klartext, weshalb seine Beziehungen zur Präsidentin und ihrem verstorben Mann und Vorgänger Nestor Kirchner nicht immer störungsfrei waren. Dass Bergoglio aus seinen konservativen Einstellungen keinen Hehl macht, zeigt eine Episode aus dem Jahr 2010, als er die argentinische Regierung wegen der Legalisierung der Homo-Ehe angriff. "Wir dürfen nicht naiv sein. Das ist kein einfacher politischer Kampf, das ist der Versuch, Gottes Plan zu zerstören", schrieb er in einem Brief wenige Tage vor Verabschiedung des Gesetzes. Kirchner entgegnete damals, dass sie sich an „mittelalterliche Zeiten und die Inquisition“ erinnert fühle. Quelle: REUTERS

Konservativ zu sein hat dabei nichts mit Traditionalismus zu tun und auch nichts mit dem Traditionalismus, den es im Christentum, im Judentum oder im Islam gibt. Der Konservative ist auch nicht per se religiös (oder gar fundamentalistisch), wie es heute im linken Mainstream gern gesehen wird. Es gibt den agnostischen Konservativen, den atheistischen, aber auch den religiösen, den christlichen, den jüdischen oder den islamischen.

Der fundamentalistische Atheismus des linken, sozialistischen Lagers, der alle Religion bekämpft und mit seinem wissenschaftlichen Sozialismus auf Negierung eingetuned ist, hat im Zuge der neolinken Bewegung an Fahrt verloren, wirkt aber ohne Zweifel nach. Der ursprünglich revolutionäre linke Ansatz richtete sich gegen den verzahnten Machtblock von Staatsorganisation und Kirchenorganisation. Davon ist heute eine sonderbare Feindbilderhaltung vor allem gegen den katholischen Mann übrig geblieben, der prototypisch für den zu bekämpfenden Konservativen gesehen wird. Indes hat Konservativismus nichts mit Religion oder Nicht-Religion zu tun.

Der Konservative ist auf die Sache fixiert, um deren Optimierung es ihm geht. Ihm geht es um das Argument. Er ficht mit dem Instrumentarium der Logik. Darin liegt der eigentliche Grund, dass er entgegen seinem Ruf wenig zur politischen Aggression taugt. Das aggressive Moment, der gierige Angriff bis hin zum Vernichtungswillen ist eine hervorragende Eigenschaft des ideologischen linken Lagers, welches diese Eigenschaft traditionell, wie beschrieben, antikapitalistisch ausgelebt hat. Und das sich jetzt auf den Feldern Familie, Bildung, Integration, Kampf gegen Rechts (was immer mit der wohlfeilen Parole genau gemeint ist), Kampf gegen den weißen Mann und im Bereich der Energiewende austobt.

Wer ist heute konservativ?

So wie der Konservative den ihm aufgezwungenen Kampf der Anti-Kapitalisten nie gewonnen hat, sondern der Kommunismus durch einen eigenen Implosionsvorgang quasi von der Bildfläche verschwunden ist (nämlich letzten Endes durch den Zusammenbruch der durch und durch maroden wirtschaftlichen Systeme des Ostblocks sowie dessen moralischer Verkommenheit , steht der Konservative, der heute wie seit 150 Jahren ein wenig gerupft ist, auch jetzt wieder defensiv und ineffizient neo-linken Attacken gegenüber. Die Konservativen erweisen sich als weitgehend unfähig die eigenen Vorstellungen auch nur zu formulieren, geschweige denn sie zu vertreten. Der konservative Geist schwächelt notorisch und schläft seit 150 Jahren routiniert auf der Anklagebank. Die Konservativen schauen zu, wie die selbsternannten Ankläger aus dem linken Lager einen Bockmist nach dem anderen fabrizieren und die Menschen von einer ideologischen Katastrophe in die Nächste stürzen.

Der Konservative denkt in der Sache dialektisch, aber nicht in politischen Kampfstrategien. Der Konservative tickt autonom mit einem Hang zu einem Individualismus. Der traditionellen und routinierten Fähigkeit aller linken Lager zur Bildung clandestiner Netzwerke und zur konzertierten Ausnutzung dezentraler selbsttätiger Streit- oder Kampfzellen für die gemeinsame linke Sache, hatte und hat das Lager der Konservative nichts entgegen zu setzen. Im Gegenteil, oft genug sind die Konservativen schwach geworden und haben sich in Anpassung und Nachlaufen geübt, wider die besseren eigenen Erkenntnisse. So ist konservativ eigentlich die gute, die bessere Alternative, aber den Konservativen fehlt allzu oft die notwendige Durchsetzungskraft und auch der notwendige Durchsetzungswille.

Der Konservative baut die Brücke

Das konservative Idealbild ist das eine und das andere ist die Realität, in der vom Konservativimus nach 150 Jahren nicht viel übrigen geblieben ist. Wer ist heute konservativ? Die vielen, die sich konservativ nennen, aber nur Mitläufer sind, leisten oft genug dem Zerfall der konservativen Idee Vorschub. Im konservativen Lager ist eine Mentalität des sich gegenseitig in den Rückenfallens und des sich Anbiederns entstanden und üblich geworden, was aber mit Konservativismus nichts zu tun hat.

Der Konservative im eigentlichen Wortsinn konstruiert und baut die Brücke. Aber es ist eben sehr viel leichter eine Brücke zu zersprengen und an ihre Stelle ideologische Konstrukte zu setzen, wie es zum routinierten politischen Kampf der Linken gehört. Wer im Aufbau-Modus lebt, ist demjenigen, der latent im Kampf-und Zerstörungsmodus lebt, oft genug unterlegen.

Eine wichtige Schlussbemerkung bleibt hervorzuheben: Die Nationalsozialisten in Deutschland waren keine Konservativen und der hier beschriebene Konservative stand nicht in der Gefahr aus Versehen Nazi zu werden. Genauso wenig wie er je in der Gefahr stand anderen Ideologien anheim zu fallen oder Populisten hinterher zu laufen. Das heutige furchtbare "Gesellschaftsspiel", dass die geistigen Enkel und Urenkel Mao Tse Tungs und Stalins im linken Mainstream mit dem Begriff "Rechts" alles nicht Linke als braun mindestens bemakelt attackieren, ist ein permanenter unmoralischer Angriff auf diese Gesellschaft als Ganze.

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