Bettina Röhl direkt

Ist Deutschland von Sinnen?

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Der Salafistenprediger Pierre Vogel und das Opfer Daniel S.

Nach Einschätzung des Verbandes schwuler Führungskräfte wird das Bekenntnis des früheren Fußball-Nationalspielers Thomas Hitzlsperger zur Homosexualität keine Outingwelle in der Wirtschaft auslösen.
von Lin Freitag

Pierre Vogel bringt sich in seiner Videobotschaft als jemand ein, dem es vor zwanzig Jahren um ein Haar ähnlich ergangen wäre, wie es Daniel S. in Kirchweye ergangen ist. Auch er sei damals in einer Disco gezielt von einer Gruppe türkischer Schläger, die Vogel "Assoziale" nennt,  umzingelt, provoziert und verprügelt worden. Auch Vogel sieht im Fall Kirchweye keinen "Einzelfall", ganz im Gegenteil, und er weist darauf hin, dass die Deutschen zumeist auf derartige Gewaltaktionen nicht vorbereitet und daher nicht verteidigungsfähig wären.

Fest steht: Entweder Pirinçci hat mit seinem Text, "Das Schlachten hat begonnen", der auch in seinem Buch "Deutschland von Sinnen" enthalten ist, einen schon gefährlich zu nennenden Zustand geistiger Umnachtung offenbart oder er hat einen gefährlichen Zustand der Gesellschaft, der zutreffendenfalls auf eine gefährliche Art systematisch unterdrückt wird, offenkundig gemacht. Dazwischen gibt es eigentlich keine Abstufung in die eine oder andere Richtung.

Am 22. Mai 2013, nur wenige Monate nach dem Erscheinen des Artikels von Pirinçci, gab es tatsächlich eine öffentliche Schlachtung in London. Zwei britische Staatsbürger nigerianischer Herkunft, die, wie man lesen könnte, einer radikalen Form des Islam anhingen, haben den jungen britischen Soldaten Lee Rigby auf offener Straße erst mit dem Auto angefahren und ihn dann mit Messern und einem Fleischerbeil zu Tode gehackt.  Einer der beiden Täter ist inzwischen zu lebenslanger Haft, der andere zu 45 Jahren Haft verurteilt worden.

Was kann jemand, der es darauf anlegt schlagartig zum Teufel der Nation zu werden, tun? Er kann die Schwulenbewegung scharf kritisieren. Und den politisch-gesellschaftlich-juristischen Schutz der Schwulen als falsche Vorgehensweise geißeln. Oder er kann dem Feminismus eine gesellschaftszerstörende Wirkung zuschreiben oder er kann der Steuerprogression ein grundfalsches Verständnis von Sozialmeierei attestieren und den Untergang des die Leistungen erbringenden Mittelstandes bedauern oder er kann die Integration für gescheitert erklären und daran den Zuwanderern oder gar den muslimischen Zuwanderern die Schuld zuschreiben. Oder er kann den Menschen aus muslimisch geprägten Ländern einen niedrigeren IQ zuschreiben. Oder er kann Deutschland für ein schönes, grünes Land erklären, in dem die Menschen ihm, damals 1969, als er neun Jahre alt mit seiner bitterarmen Familie aus Istanbul hier einwanderte, einen nachhaltig herzlichen Empfang bereiteten und er kann hinzufügen, dass er sich als Adoptivsohn dieser Gesellschaft, die ihn niemals hat spüren lassen, dass er kein leiblicher Sohn sei, pudelwohl fühlt.

Pirinçci übererfüllt in seinem neuen Buch alle Varianten auf einmal, wie man sich ganz sicher ins gesellschaftliche Aus schießt. Allerdings vollbringt er das Wunder dabei so sympathisch und manchmal auch lieb und immer liebenswürdig rüber zu kommen und, wenn's ganz brenzlig wird, das Ganze in Klamauk zu verpacken und sich auf eine herrliche Art einmal sogar auf seinen Migrantenbonus zu berufen, was er sonst nicht wirklich tut, dass man denken könnte, es sei die Verpackung, die verhinderte, dass Pirinçci in die öffentliche Acht und anschließend in die Verbannung des ewigen Verschweigens abgeschoben wird.

Aber nein, es scheint eher so zu sein, dass eine wachsende Zahl von Menschen, die in diesem Land leben, ganz oder teilweise mit den Beschreibungen des Ist-Zustandes dieser Gesellschaft etwas anfangen können oder sich identifizieren oder sich über eigene Ängste und die Ängste anderer Gedanken machen. Klar, der politisch korrekte Mainstream, der, wie gesagt, alles und jeden vom Tisch wischt, sobald irgendeine fehlende Mainstreamkompatibilität sichtbar wird, steht immer noch wie leicht betäubt vor dem großen Big Bäng, mit dem Pirinçci nach seinen Katzenbüchern jetzt die gesellschaftlich-politische Bühne vermittels seines neuen Buches betritt.

Was Pirinçci rund um sein neues Buch an Klappern und Werbung in letzter Zeit veröffentlicht hat, hat bereits enorme Leserzahlen erreicht. Mit viel Zustimmung und auch mit viel Kritik. Und besonders schön, das Buch hat einen versöhnlichen Schluss. Pirinçci umarmt sie am Ende noch einmal alle: Die Deutschen, die Migranten, die Männer und Frauen, die Schwulen und Lesben und die Grünen. Mit einem kleinen Schuss Ironie und einer kleinen Dosis Pathos.

Akif Pirinçci

Deutschland von Sinnen. Der irre Kult um Frauen, Homosexuelle und Zuwanderer“,

Verlag Manuscriptum

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