Um mit der Wahlsiegerin zu beginnen: Die Wahlsiegerin ist die, je nach Betrachtungsweise, schöne oder hässliche Linke in Deutschland. Das sogenannte linke Lager, vertreten durch SPD, Linkspartei und Grüne, bringt 319 Bundestagsmandate und 42,7 Prozent der Stimmen und zusammen die absolute Mehrheit auf die Waage. Die Union dagegen hat nur 311 Bundestagsmandate und 41,5 Prozent der Wählerstimmen erreichen können. 1,2 Prozentpunkte liegt das linke Lager also vorne. Dies allerdings besteht aus drei Verlierern:
Die SPD hat mit 25,7 Prozent ihr zweitschlechtestes Wahlergebnis im Bund seit 1949 erreicht. Das verkauft ihr Spitzenkandidat Peer Steinbrück, der Mann mit dem etwas irrealen Kompetenzbonus und den Sprüchen vom Baggersee, als mittelprächtigen Erfolg. Die SPD hätte um 2,7 Zähler zugelegt. Das stimmt. Allerdings bezogen auf den absoluten Nullpunkt von 23 Prozent vor vier Jahren.
Die Linkspartei stellt mit 8,6 Prozent die drittstärkste Fraktion im Bundestag und hat damit einen Verlust von 3,3 Prozent gegenüber 11,9 Prozent im Jahr 2009 hinzunehmen. Bezogen auf das jetzt eingefahrene Ergebnis hat die Linke also rund 30 Prozent ihrer Zustimmung eingebüßt.
Der zweifelsfrei größte Verlierer im linken Lager sind jedoch mit mickrigen 8,4 Prozent die Grünen - 2009 hatten sie 10,7 Prozent - die sich noch vor wenigen Monaten ein Ergebnis von 16 Prozent plus X ausgemalt hatten und sich, siehe die Umfragewerte der Grünen von Januar bis Juni 2013, lange auf dem Durchmarsch fühlten, der dann durch die seit Mai anschwellende Pädophilie-Debatte gestoppt wurde. Die grüne Selbstüberschätzung, die ein wesentlicher Bestandteil des grünen Erfolgsmotors war, scheint kaputt. Eine historisch zu nennende Überschreitung ihres eigenen Zenits. Dennoch sind die Wahlverlierer der Bundeswahl 2013 mit ihren 319 Bundestagsmandaten im Ergebnis die Sieger der Entscheidung vom 22. September.
Rot-Rot-Grün ist machbar
Eine rot-rot-grüne Bundesregierung mit einem Bundeskanzler Peer Steinbrück, einem Vize-Kanzler Gregor Gysi und einem Finanzminister Jürgen Trittin ist jetzt machbar.
Steinbrück hat das Offenkundige feststellt, dass nämlich die Linkspartei aus drei Teilen besteht: der SED-Nachfolgerin PDS im Osten der Republik, dem kommunistischen Plattfuß, sprich der ideologischen Sektierergruppe um Sahra Wagenknecht, sowie einem verblendeten und chaotischen Haufen von West-Kommunisten. Mit der Linkspartei gemeinsam zu regieren oder sich von dieser auch nur tolerieren zu lassen, hat Steinbrück mit einem großen Indianerehrenwort im Wahlkampf abgelehnt. Aber spielt dies jetzt noch eine Rolle?
Gregor Gysi weist zu Recht darauf hin, dass der jetzt eingetretene Fall der Machbarkeit von Rot-Rot-Grün sowohl bei der SPD und auch bei den Grünen innere Eruptionen auslösen könnte, die sowohl die SPD als auch die Grünen in eine wie auch immer konstruierte gemeinsame Regierung mit der Linkspartei hineinzwingen könnte.
Die persönlichen Begehrlichkeiten eines Steinbrück, der noch vor kurzem lieber als Rentner mit seiner Frau scrabbeln wollte, plötzlich aber Kanzlerblut geleckt hat, eines Gregor Gysi, der es hasst von manchem "IM Notar" genannt zu werden und Jürgen Trittin, der seine Mitverantwortung für die grüne Wahlkatastrophe gern überspielen und stattdessen für sich persönlich ein Ministeramt einheimsen möchte (und die Begehrlichkeiten aller anderen Grünen, Roten und Linken mit Aussicht auf einen Posten) wachsen jetzt stündlich. Und man hätte ja auch eine schöne Legitimation jetzt Rot-Rot-Grün zu verwirklichen. Immerhin war es ein großes Versprechen des linken Lagers, Merkel vom Thron zu stoßen.
Die Republik hängt am seidenen Faden
Noch hat der Euphorisierungsschub im linken Lager nicht eingesetzt, aber er könnte jederzeit mit voller Kraft "ausbrechen". Die notwendigen innerparteilichen Umschichtungen haben linke Parteien im Angesicht einer möglichen Machtübernahme sowohl personell als auch ideell fast noch immer relativ zügig gemeistert. Bei den Grünen hat das große interne Hauen und Stechen schon begonnen. Imageverlust, Geldeinbußen - so etwas erfordert seinen Tribut. Da wird es den Grünen nicht schwer fallen, sich selber fit zu machen für eine Beinahe-Liebeshochzeit mit Rot und Rot. Die grünen Führungsgremien treten zurück und Trittin und Göring-Eckardt, deren Karrieren auf dem Spiel stehen, könnten alles tun, um sich in ein Regierungsamt einer Koalition hinüber zu retten.
Wer jedenfalls denkt, dass die Grünen nach ihrem Absturz kein Unheil mehr anrichten können, muss sich daran erinnern, dass die Grünen mit ihrer aggressiven Verirrsinnigung der Gesellschaft, die sie dreißig Jahre lang erfolgreich betrieben haben, die Republik nachhaltig von jeder Vernunftfähigkeit befreit haben. Und dies in einer Weise, die selbst dann noch nachwirken würde wenn die Grünen sich morgen selbst auflösen würden. Merkels CDU ist politisch gesehen grün unterwandert. Staatsapparat und Medien haben einen grünen Schlag. Diesen Erfolg kann auch eine grüne Schrumpfpartei über den Tag hinaus für sich beanspruchen.
Merkels Murks
Das linke Lager hat aus dieser Wahl für sich jede Stimme geholt, die holbar ist. Das linke Lager ist in der Bundesrepublik, einschließlich linksgeneigter Parteien wie den Piraten, rund 45 % stark. Gleichwohl ist dieses Lager mit gut 50 Prozent der Sitze im Parlament vertreten. Das ist zweifelsfrei undemokratisch, aber es entspricht den gesetzlichen Spielregeln, die eine Fünf-Prozent-Hürde vorsieht. Allerdings müssen sich die vernünftigen Leute in der SPD überlegen, ob sie eine rot-rot-grüne Bundesregierung wirklich ermöglichen wollen und ob eine rot-rot-grüne Regierung eine volle Legislatur durchhalten könnte.
Das konservative Lager ist mit der Merkel-Union nur noch mit einer einzigen Partei parlamentarisch vertreten. Sie muss jetzt allerdings gegenwärtigen, dass nun das linke Lager die Mehrheit der Parlamentssitze inne hat. Fakt ist: Merkels 311 Sitze in dem 630 Köpfe starken neuen Bundestag wären für die Katz und Merkel wäre Geschichte, wenn die große Koalition nicht zustande käme.
Merkel ist also eigentlich die wahre, große Verliererin der Bundestagswahl 2013. Die einzige Zugewinnerin der Wahl - die Unionsparteien haben einen Stimmenzuwachs von knapp acht Prozent gegenüber 2009 generieren können - hat das Heft des Handelns nicht mehr in den eigenen Händen. Sie hat es verloren, auch wenn viele Kommentatoren dies noch nicht realisiert haben.
Die Republik hängt im Moment an einem seidenen Faden, nämlich daran, ob Steinbrück, Gabriel, Steinmeier und Co. Lust haben, mit Merkel eine große Koalition zu bilden. Merkels einzige Chance mitregieren zu dürfen, ist die große Koalition. Die Alternative Schwarz-Grün scheidet bei realistischer Betrachtungsweise aus. Nicht nur, dass sich die Mehrheit der Unionswähler bei dem Gedanken an die Grünen schüttelt. Und sich noch mehr schütteln würde, wenn sie ein realistisches Bild der real existierenden Grünen hätte. Vielmehr sind es die Parteiprogramme und vor allem die politischen Kulturen von Schwarz und Grün, die nicht in dem Mindestmaß in Kongruenz zu bringen sind. Und das wäre für das Funktionieren einer solchen Koalition notwendig. Hinzu kommt: Die Mehrheit der Grünen schüttelt sich noch viel mehr bei dem Gedanken an die Union und möchte mit der größten Volkspartei, die man auch für den Verein der Dumpfbacken und Spießer hält, nichts zu tun haben.
Konservativer Harakiri
4,8 Prozent der Wähler haben ihre Stimme, als sie ihr Kreuz bei der FDP gemacht haben, in eine Art Fünf-Prozent-Tonne gegeben. Hätte die FDP ein paar Stimmen mehr errungen und die Fünf-Prozent-Hürde geschafft, hätte Schwarz-Gelb mit leicht zur Union verschobenen Gewichten weiter regiert haben können. An diesem ebenfalls historisch zu nennenden Verlust der FDP, die erstmalig in ihrer Geschichte nicht im deutschen Bundestag vertreten sein wird, ist natürlich in erster Linie das Führungspersonal der Partei verantwortlich. Aber in einem tieferen Sinn ist es auch Merkels taktisches und strategisches Versagen.
Spätestens nach der Bayernwahl hätte Merkel unauffällig die sogenannte Zweitstimmen-Kampagne der FDP unterstützt haben müssen. Es wäre ein Leichtes für sie gewesen, dies zu tun, anstatt der FDP ein regelrechtes Zweitstimmen-Leihverbot zu erteilen. Es war vorhersehbar, dass diese Taktik einem konservativen Harakiri gleich kommen würde. Hätte die Union der FDP 0,3 Prozentpunkte "geschenkt", hätte sie selber nichts verloren, aber alles gewonnen. Und die bürgerliche Mehrheit im Volk hätte ihr demokratisches Recht bekommen.
Eins ist klar: Rot-Rot-Grün ist undemokratisch und Rot-Schwarz ist mit seiner erdrückenden Mehrheit gegen die zwei Loser-Parteien Linke und Grüne, als einzige Opposition, auch nicht optimal. Es hat sich gezeigt, dass Deutschland konservativ ist und das ist gut so. Aber die Regierung der nächsten Legislaturperiode könnte mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eine in der Sache grün dominierte, rot-rot-grüne Minderheitenregierung Regierung einer Minderheit von Wähler sein.
Auch die Tatsache, dass Merkels Mannen den Verteufelungsanstrengungen eines linken Mob und eines grünen medialen Mainstreams gegenüber der Partei AfD nicht nur nicht Einhalt geboten haben, was ganz einfach möglich gewesen wäre, sondern bis zum Schluss die AfD selber verteufelt haben, bis hin zur Schäubles bösartiger Warnung vor der "brandgefährlichen" AfD, hat dem bürgerlichen Lager in Sachen Parlamentsrepräsentanz Schaden zugefügt.
Unter welchem Druck stand der unmerklich immer fanatischer werdender Schäuble sich in der Form über eine Konkurrenzpartei auslassen zu müssen? Und was hat Merkel geritten, sich mit Ex-CDUlern oder Ex-FDPlern und ebensolchen Wählern und einer Partei, die jetzt sogar der Linkspartei ein paar Wähler abgeknöpft hat, in der geschehenen Form anzulegen? Eine inhaltliche ablehnende Auseinandersetzung in dem Euro-Thema hätte völlig gereicht. Egal, wie sich die AfD selber nennt oder nennen wird, die Partei schöpft ihre Wähler aus der bürgerlichen Mitte. Daran ändern ein paar aufgebauschte Unterwanderungsversuche von weniger attraktiven Parteigängern nichts.
Merkels wahltaktisches Kalkül war also auch in Sachen AfD eine Katastrophe. Sie hatte es in der Hand, die Partei bei rechtzeitigem Eingriff nicht in eine Schmuddelecke geraten zu lassen. Und wenn die AfD es dann geschafft hätte ein paar Punkte mehr zu generieren, dann wäre Rot-Rot-Grün kein Mehrheitsmodell geworden.
Merkels Sucht, sich grün politisch korrekt zu verhalten
Merkels Sucht sich grün politisch korrekt und mainstreamig zu verhalten, ist ihr eigener Stolperstein geworden. Ihre Sucht, die eigenen Stammwähler ein bisschen zu quälen und sich im linken Lager beliebt zu machen und zum Beispiel grüne Umweltziele 1:1 zu übernehmen, haben manch einen Nicht-Wähler, der eben auch nicht mehr CDU wählt, hervor gebracht.
Dass die bisherige rot-rot-grüne Opposition ihre Wahlkampfthemen taktisch und extrem selektiv ausgesucht hat und alle wichtigen Zukunftsfragen im Wahlkampf unterdrückt hat, ist die für das linke Lager typische, unsaubere Kampfmethode, die aus der Sicht des linken Lagers natürlich verständlich ist. Man will an die Macht. Man will eine neue Republik kreieren und die Grünen wollen in Wahrheit, jenseits der Verfassung, einen neuen Menschen und eine neue Gesellschaft auf deutschen Territorium erzwingen. Das weiß man, wenn man einigermaßen politisch denkt. Das Merkelsche Durchlavieren und ihre schon borniert zu nennende Ignoranz gegenüber der Realität taugen nicht zu ihrer Entschuldigung.
Man kann es nicht oft genug wiederholen. Migration, Integration, die Rentenfrage, die Sozialversicherungsfrage, die Energie- und die Bildungsfrage - sind Baustellen, für die es kein Konzept gibt. Auch Merkels Union hat keine Konzepte und sie traut sich nicht diese Themen, die wortlos und selbstverständlich unter grün-roter Dominanz bearbeitet werden, selber auch nur anzusprechen.
Der Wahlkampf war thematisch gesehen eine Gespensterveranstaltung und auch das ist Teil des Merkelschen Murkses. Eine 41,5-Prozent-Union lässt sich von Merkel in einer Weise lenken, die man kaum noch nachvollziehen kann. Aber jetzt ist Mutti Merkel an ihre Grenzen gekommen. Und sie hat die größte deutsche Volkspartei gleich mit an die Wand gefahren.
Von der mächtigsten Frau der Welt zu einer Has Been
Vielleicht rettet Steinbrück die Kanzlerin. Er hat eine Koalition und auch eine Duldungsabrede mit der Linkspartei zwar ausgeschlossen, aber er hat auch gesagt, dass er persönlich für eine große Koalition nicht zur Verfügung stünde. Jetzt ist die Geschäftsgrundlage jedoch eine andere und Steinbrück hätte die Möglichkeit, sich ohne Gesichtsverlust nach den üblichen Sondierungskarussels auf den Vizekanzlerstuhl zu setzen. Ob er das allerdings innerparteilich durchstehen könnte, ist die große Frage. Wenn Steinbrück, trotz aller Beteuerungen dies nicht zu tun, jetzt mit der Linkspartei zusammenginge, würde das bürgerlichen Lager zwar aufjaulen, aber das in der veröffentlichten Meinung herrschende grüne Lager würde jubeln und den Weg frei machen: mit allen Möglichkeiten, was nicht ginge, was zu beachten wäre, was getan werden müsste und was bedenklich sein könnte.
Man lasse sich also von der jetzt üblichen AfD-Schelte nicht beirren. Merkel hat sich bei dieser Wahl als das erwiesen, was sie ist, nämlich ein viel kleinerer Geist als gemeinhin angenommen. Als eine taktische Versagerin und als eine Verräterin der Interessen des bürgerlichen Lagers, dem zu dienen sie angetreten ist. Hätte sie sich in Sachen der beiden jetzt an der Fünf-Prozenthürde gescheiterten Parteien nur minimal klüger verhalten, die Republik sähe jetzt anders aus. Obendrein hätte Merkel der Demokratie und dem Recht einen Dienst erwiesen.
Merkels Fallhöhe von der mächtigsten Frau der Welt zu einer Has Been wäre gigantisch. Steinbrück muss wissen, dass die Mehrheit in Deutschland eine große Koalition will. Auch wenn die nicht wirklich schön ist.