Die Sache ist klar wie selten. Das rot-rot-grüne Lager hat in beiden Bundesländern massiv in der Wählergunst verloren. In Brandenburg hat es mit 56,7 Prozent fast zehn Prozent der Stimmen verloren, in Thüringen ist der Verlust des links-grünen Lagers ähnlich deutlich.
Betrachtet man die absolute Zahl der Wähler, die für das linke Lager optiert haben, sieht es noch düsterer aus. Im SED-PDS-Linkspartei-Land Thüringen, wo der christliche Gewerkschaftler und geborene Wessi Bodo Ramelow das Zepter der Linkspartei fest im Griff hat, sank die Wahlbeteiligung um knapp vier Prozentpunkte auf 52,7 Prozent. Und in Brandenburg ist der Einbruch auf 47,9 Prozent besorgniserregend.
Rechnet man diesen Verlust hoch auf die nächste Bundestagswahl, kann Bundeskanzlerin Angela Merkel, deren CDU in beiden Bundesländern Zugewinne verbuchen konnte, gelassen in die Zukunft und auf ihre ewige Kanzlerschaft schauen. Das unideologische, bürgerlich-liberal-konservative Lager hat in beiden Bundesländern einen gemeinsamen Stimmenzuwachs von bis zu zehn Prozent erreicht.
Vergessene Partei
Die FDP ist von der Bildfläche verschwunden. Sie wird zwar noch für einige Zeit im Gedächtnis der Menschen bleiben. Doch ihr politisches Gedächtnis vergisst schnell. Die liberale Partei, die zwei Bundespräsidenten und drei Außenminister stellte und einen positiven Einfluss auf die Geschicke der Bundesrepublik ausgeübt hat, muss sich sputen, wenn sie wieder auferstehen möchte.
Wie wichtig die FDP ist, hat sich kürzlich im Kieler Landtag gezeigt. Dort führte der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki den SPD-Ministerpräsidenten Thorsten Albig vor und legte dessen Kultusministerin Waltraud "Wara" Wende, die der Bestechung, der Bestechlichkeit und des Betruges verdächtig ist, den überfälligen Rücktritt nahe - der dann auch prompt erfolgte.
Die AfD – neue Volkspartei oder kurze Protestepisode?
Es steckt einiges von der Union früherer Zeiten in der Alternative für Deutschland (AfD). Nur in der Europapolitik grenzt sich die AfD klar von dem ab, was Helmut Kohl zu seinen Kanzlerzeiten wichtig war. Die AfD besetzt aber andere zentrale Themen der Union wie Familie, Kriminalität und Zuwanderung - Themen, wie sie die früheren Vorsitzenden von CDU und CSU, Helmut Kohl und Franz Josef Strauß, verkörperten: starke Polizeipräsenz, begrenzte Zuwanderung und ein Familienbild mit Vater, Mutter und Kindern. Die Warnungen der AfD vor einer Überlastung der Sozialsysteme durch Asylbewerber erinnern an die aufgeheizte Das-Boot-ist-voll-Debatte Anfang der 90er Jahre. Die AfD knüpft zudem an die konservative Gedankenwelt von Bundesministern wie Manfred Kanther (CDU) und Theo Waigel (CSU) an.
Doch. Auch heute sind das Schwerpunkte der Union. Doch die CSU war im Europa-Wahlkampf mit ihrer auf Ausländer gemünzten Parole „Wer betrügt, der fliegt“ und dem Herziehen über die EU-Kommission nicht erfolgreich. Und CDU und CSU bekamen unter Angela Merkel und Horst Seehofer bei der Bundestagswahl 41,5 Prozent - mit einer liberaleren Einstellung zu Homosexuellen, mit einer neuen Definition von Familie, aber ohne einen Law-and-Order-Mann als Bundesinnenminister. So machte die Union die Erfahrung, dass ein Kurs der Mitte mehr Stimmen bringt als das Beharren auf konservativen Positionen.
Die AfD setzt sich für mehr Basisdemokratie ein – und steht damit im Kontrast zur CDU. Einige ihrer Mitglieder stammen außerdem aus der Konkursmasse kleinerer rechter, liberaler und konservativer Parteien. Ehemalige Angehörige von NPD und DVU können dagegen nicht Mitglied der AfD werden. Im Osten wirbt die Partei um DDR-Nostalgiker, die zwar den Sozialismus nicht zurückhaben wollen, aber zum Beispiel Elemente des alten Bildungssystems gut finden.
Ja - auch wenn die CDU in Brandenburg und Thüringen trotz Stimmenverlusten an die AfD zulegen konnte. Erstens hat die Union durch ihren Wandel hin zu einer modernen, urbanen Partei eine Flanke an ihrem rechten Rand aufgemacht und könnte weiter Konservative, die in der Union keine Heimat mehr sehen, verlieren. Und zweitens wirbelt die AfD die Parteienlandschaft so durcheinander, dass die Machtoptionen für die Union schwinden. Eine Koalition mit der AfD schließt die CDU genauso aus wie mit der Linken, und auf die FDP kann sie nicht mehr zählen. Unabhängig davon, dass Schwarz-Grün im Bund ein Novum wäre, könnte es mit den Grünen knapp werden - wenn die AfD denn 2017 in den Bundestag einzöge. Bliebe ein Bündnis mit der SPD - das sollte aber aus Sicht beider Parteien kein Dauerzustand sein.
Nicht einheitlich. CDU-Generalsekretär Peter Tauber sagt: „Wir wollen die Wähler zurückgewinnen.“ Fraktionschef Volker Kauder (CDU) will die AfD ignorieren und sich mit ihren Politikern nicht einmal in eine Talkshow setzen. Wolfgang Bosbach vom konservativen „Berliner Kreis“ der CDU hält das für falsch. Viele Unionspolitiker raten inzwischen, sich intensiv mit der AfD auseinanderzusetzen. Parteichefin und Kanzlerin Angela Merkel ging im Brandenburger Wahlkampf deutlich auf die Grenzkriminalität ein, nachdem die AfD bei der Sachsen-Wahl damit punktete. Koalitionen mit der AfD schließt sie aber aus.
Die AfD stellt sich als Partei der braven Sparer und Steuerzahler dar, deren Wohlstand durch die Rettung maroder Banken und überschuldeter Euro-Länder gefährdet ist. Sie fordert, dass außer Flüchtlingen nur noch „qualifizierte und integrationswillige“ Ausländer nach Deutschland kommen dürfen und bemüht dafür gerne das Beispiel des Einwanderungslandes Kanada. Die AfD, die sich seit ihrem guten Abschneiden bei drei Landtagswahlen als „kleine Volkspartei„ bezeichnet, wettert gegen die in Deutschland inzwischen weit verbreitete Kultur der „politischen Korrektheit“. Ihrer Führungsriege gehören etliche Ex-Mitglieder von CDU und FDP an. Deshalb finden einige wertkonservative Wähler die Strategie der CDU, die AfD wie eine nicht-salonfähige Randgruppe zu behandeln, wenig glaubwürdig.
Nein. „Eintagsfliege“, „Protestpartei“ – diese Etiketten wurden der AfD in den ersten Monaten oft aufgeklebt. Doch im Gegensatz zu den Piraten, die sich lange vor allem der Selbstzerfleischung widmeten, halten sich die internen Streitereien noch im Rahmen. Außerdem hat sich die AfD rasch von einer Ein-Thema-Partei (Eurorettung) zu einer gemausert, die verschiedene Politikfelder besetzt.
Die Blitzstartserie der AfD
Die AfD hat ihre Blitzstartserie in die deutschen Landtage fortgesetzt. Doch anstatt sich in den üblichen, durchgekauten und der Selbstbeweihräucherung dienenden Hass-Stereotypen - Rechtspopulismus, Euro-Hasser und Zuwanderungsfeinde -, zu ergehen und einen Typus AfD-Wähler zu erfinden, der geradezu manisch von Protest und Obstruktion zerfressen ist, wäre es politisch angemessener und für das Land nützlicher, auf derartige, moralisch fragwürdige Ausgrenzungsversuche zu verzichten.
Parteiensystem ist eng und erstickend geworden
Die Wahlerfolge in den nicht mehr ganz neuen Bundesländern können nicht eins zu eins auf die gesamte Bundesrepublik hochgerechnet werden. Aber sie sind ein Indikator dafür, dass einer großen Zahl von Bundesbürgern das etablierte Parteiensystem zu eng und erstickend geworden ist. Sie sind bereit, neue Wege auszuprobieren.
Die wichtigsten Köpfe in der AfD
Professor, Gründer des Plenums der Ökonomen
Der 51-Jährige wurde bei Gründung der AfD ihr Sprecher. Der Vater von fünf Kindern lehrt Makroökonomie an der Universität Hamburg. Über 300 Wissenschaftler schlossen sich seinem „Plenum der Ökonomen“ an, das als Netzplattform Wirtschaft erklärt. Nach 33 Jahren trat Lucke Ende 2011 aus der CDU aus. Er trat als Spitzendkandidat der AfD für die Europawahlen an und wechselte im Sommer 2014 nach Brüssel.
Anwältin, Gründerin der Zivilen Koalition
Die Juristin, die zunächst 2012 Mitglied der FDP war, ist seit 2013 Mitglied der AfD. Sie wird dem rechtskonservativen Flügel der Partei zugerechnet. Sie engagiert sich neben der Euro-Rettung vor allem für eine christlich-konservative Familienpolitik. Am 25. Januar 2014 wurde von Storch vom Bundesparteitag der AfD in Aschaffenburg mit 142 von 282 Stimmen auf Platz vier der Liste zur Europawahl gewählt - und zog anschließend ins Europaparlament ein.
Emeritierter Professor für Volkswirtschaft
Im Kampf gegen den Euro hat er die größte Erfahrung: 1998 klagte er gegen dessen Einführung vor dem Bundesverfassungsgericht, 2011 gegen die Rettungsmaßnahmen. Der 72-Jährige, einst Assistent von Alfred Müller-Armack, führt den wissenschaftlichen Beirat der AfD – so etwas hat keine andere Partei.
Promovierte Chemikerin und Unternehmerin
Nach dem Studium gründete die Mutter von vier Kindern 2007 ihr eigenes Chemieunternehmen Purinvent in Leipzig – mit dem Patent auf ein umweltfreundliches Dichtmittel für Reifen. Sie fürchtet, ihre demokratischen Ideale würden „auf einem ideologisierten EU-Altar geopfert“. Seit 2013 ist sie eine von drei Parteisprechern und Vorsitzende der AfD Sachsen
Journalist, Publizist, Altsprachler und Historiker
Bei den bürgerlichen Blättern – 21 Jahre im Feuilleton der „Frankfurter Allgemeinen“, sieben Jahre als politischer Chefkorrespondent der „Welt“ – erwarb er sich den Ruf als konservativer Vordenker. Sozial-, Bildungs- und Wissenschaftspolitik sind auch im Sprecheramt der AfD seine Schwerpunkte.
Beamter, Politiker, Herausgeber, Publizist
Der promovierte Jurist leitete die hessische Staatskanzlei unter CDU-Ministerpräsident Walter Wallmann. Dann Geschäftsführer und Herausgeber der „Märkischen Allgemeinen“ in Potsdam. Führte die brandenburgische AfD bei den Landtagswahlen zu einem überraschend starken Ergebnis und führt nun die Fraktion im Landtag an.
Die AfD ist personell und ideell eine viel zu inhomogene Partei - oder positiv ausgedrückt: eine viel zu vielfältige Partei -, als dass es sinnvoll wäre, sie politisch in irgendeinen Topf zu pressen. Noch ist die SPD amtierende Regierungspartei in Deutschland. Und sie hat sich aus allzu opportunistischen Gründen eine über alle Grenzen hinweg aggressiv auftretende Generalsekretärin zugelegt, die die AfD und ihre Wähler als "braune Suppe" bezeichnet. Da ist dann die Frage, wo das braune Moment tatsächlich liegt, durchaus angebracht.
Nicht die einzige Protestpartei
Und was soll das Gesülze von der Populisten- oder von der Protestpartei? Die Grünen sind seit Ende der Siebzigerjahre eine einzige Protestpartei. In der man gelernt hat, dass man mit Tabubruch, Ideologie, populistischen Rechtsbrüchen und notfalls mit Unterstützung von Gewalt Karriere und Kohle machen kann und nebenbei auch noch berühmt und medial omnipräsent wird.
Und die permanent für gewendet und gewandelt erklärte Linkspartei ist keine Populisten- Phantasten- und Extremistenpartei? Natürlich gibt es auch bei den Linken und bei den Grünen besonnene Leute. Aber die gibt es auch bei der AfD.
Selbstbewusste AfD zwingt CDU zu neuen Strategien
Die Merkel-Doktrin, die AfD auszusitzen, zu ignorieren oder totzuschweigen, ist gescheitert. Nach den Ergebnissen der letzten drei Landtagswahlen darf die Prognose gewagt werden, dass die AfD in den nächsten Jahren zu einer normalen Parlamentspartei werden kann - und das sollte in den Strategien der anderen Parteien berücksichtigt werden.
Das Gerede, wonach die AfD vor allem der CDU Stimmen und die Macht kosten könnte, sind offenbar ein fiktives, hausgemachtes Problem der Union.
CDU beraubt sich der rein bürgerlichen Option
Die AfD ist allerdings in einem anderen Sinn zu einer echten Herausforderung Merkels geworden. Lässt sie sich mit Blick auf die Bundestagswahl von einer immer noch links dominierten, öffentlichen Haltung gegen die AfD undemokratisch manipulieren? Und notfalls von einem rot-rot-grünen Regierungsbündnis in die Oppositionsecke treiben?
Oder würde Merkel den Mehrheitswillen des Wählers annehmen und eine gemeinsame Regierung mit der AfD anstreben? Oder mindestens bilden, wenn die Ergebnisse entsprechend aussehen? Wenn sich die CDU weiterhin selbst umzingelt und das Feld in der Öffentlichkeit den AfD-Hassern überlässt, beraubt sie sich dieser rein bürgerlichen Option selber.
Die AfD hat programmatisch Lücken und Mängel, auf deren Behebung und Glättung die CDU im politischen Wettstreit genügend Möglichkeiten hat hinzuwirken. Wobei man sagen muss, dass die Programme der Grünen, der Linken, aber auch die der SPD und der CDU teils krasse Lücken haben und teils nur mit Gemeinplätzen argumentieren. Sie grenzen viele Probleme gezielt aus und dienen oft nur als Alibi, während die Realpolitik andere Ziele verfolgt.
Mehr Fairness!
Der AfD also etwas vorzuhalten, was bei etablierten Parteien Usus ist, zeugt gegenüber einer neuen Partei nicht von Fairness. Und bedenkt man, mit welcher Euphorie und teils kindischem Wohlwollen die Medien die Piratenpartei, die zurecht sofort wieder implodierte, in den Himmel gehoben haben und sich gar nicht daran satt fressen konnten, dass da eine neue Partei wieder frischen Wind ins Getriebe brachte, dann werden die medialen Hassorgien gegen die AfD doch schnell extrem peinlich.
Die Piraten haben nie das Stadium einer Partei im Rechtssinn erreicht. Sie waren inhaltlich unterhalb eines diskutablen Niveaus. Sie waren eine Mini-Ein-Themen-Partei. Aber der linksgebürstete Mainstream versank in der Hoffnung, dass nach der Verkrustung der Grünen endlich mal wieder ein neuer linker Protestwind aufkommen könnte.
Klar, die AfD hat Fehler. Aber Angela Merkel, die sich gerne als Realpolitikerin sieht, ist jetzt am Zug. Sie muss, möglichst geschickt, einen Wechsel ihrer AfD-Politik einleiten - und den schwarz-grünen Phantasien etlicher CDU-Genossen, die auch von einigen aus der Öko-Partei geteilt werden, das realistische Aus verordnen.