Bettina Röhl direkt

Ist Deutschland von Sinnen?

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"Er aber. sag's ihm, er kann mich im Arsche lecken!"

Buchmesse: Trend zum Self-Publishing

Sein Götz von Berlichingen machte sich und auch dem großen Olympier der deutschen Dichtung mit dem hinreichend bekannten Spruch, der zum schwäbischen Gruß wurde: Leck mich im Arsch, aber bitte kreuzweise, Luft. Die Rüpelszenen, die die Dramen und Komödien des großen William Shakespeare noch einmal größer machen, holen den Betrachter auf derbe Weise immer wieder auf den Boden.

Pirinçci ist ein moderner Charles Bukowski, der sich mit einer gelegentlich derben Sprache vielleicht sogar selber täuscht, aber allemal die Öffentlichkeit in die Irre führt und diese ablenkt und damit beschäftigt sich über eine sogenannte sexistische oder fäkalistische oder brutalistische Sprache aufzuregen. Pirinçci will Inhalte transportieren, von denen er weiß, dass sie von der herrschenden Nomen Klatura, die dem politisch korrekten Mainstream folgt, nicht gern gesehen werden. Und was bietet sich da Besseres an, als die Sache so zu verpacken, dass man die Aufreger von der eigentlichen Sache wegnimmt und auf die "Formalien" lenkt und hier ganz gezielt auf die Form einer, wie gesagt, gelegentlich derben und manchmal auch schwärmerischen  Sprache.

Pirinçci ist kein Eiferer, kein Geiferer und kein Fanatiker. Und er ist auch kein Schläger, wie die Süddeutsche jetzt meint, die zwischen Bewunderung und Betroffenheit, zwischen bemühter Distanz und viel Diffamierung zerrissen ist ("Man blättert, man grinst, man ist hier und da hingerissen von der Rücksichtslosigkeit in der Analyse und den vielen wilden Ideen.") und dabei genau die Hose voll hat ("riecht ein bisschen nach voller Hose"), die sie dem Verleger Lombard unterstellt.

Pirinçci ist viel eher ein Moraliker, der Deutschland und der deutschen Gesellschaft zurück geben möchte, was er in den siebziger Jahren als türkisches Einwandererkind in diesem Land von diesem Land und von dieser Gesellschaft, wie er es beschreibt, bekommen hat. Und genau da beginnt das Buch "Deutschland von Sinnen".

"Deutschland von Sinnen" ist eine Art literarisches Sachbuch mit viel Humor und einer guten Portion Poltergeist geschrieben. Seine Diplomatie, wie sage ich dem Kind, was es nicht hören will, besteht darin, dass er mit dem Bulldozer, den er mit einem Joystick steuert, direkt und frontal auf die Katastrophen, die er in dieser Gesellschaft sieht, losgeht. Eine Grundanalyse des Buches besteht darin der deutschen Gesellschaft ein selbstzerstörerisches Maß von Feigheit und Ignoranz zu attestieren, und zwar gegenüber jeder Realität. Und Pirinçci sieht viele Realitäten, die die deutsche Gesellschaft zerstören, die er in einer negativen Vision bereits im Jahr 2030 nur noch als untergegangene, morbide und geschundene Restgesellschaft sieht.

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