Bettina Röhl direkt

Wahl-O-Mat schickt Wähler in die Wüste

Seite 4/4

Integration bleibt außen vor

So teuer werden die Wahlversprechen der Parteien
Die Forscher des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) Köln rechnen mit den Parteiprogrammen der Parteien ab. Sie haben sich die steuerlichen Auswirkungen der Wahlversprechen angesehen. Ein Überblick:CDU/CSU Besonders teuer kommt die Wähler die Sozialpolitik zu stehen: Hier fallen fiskalische Mehrbelastungen von 21,2 Milliarden Euro an, wovon 9,4 Milliarden Euro durch die Steuerpolitik wieder reingeholt werden. Bei Umsetzung des Programms sind also unterm Strich noch 12 Milliarden Euro über zusätzliche Abgaben einzutreiben. Deshalb wird das BIP nach fünf Jahren einen Rückstand von 0,1 Prozent aufweisen, schätzt das IW. Der Beschäftigungsstand läge knapp 100.000 Personen hinter dem Status-quo-Szenario. Quelle: dpa
SPDDie Sozialpolitik fällt bei der SPD sogar weniger ins Gewicht, als bei der Union: Hier wären es 18,2 Milliarden Euro. Zusammen mit der Steuerpolitik (40,9 Mrd.) fallen allerdings insgesamt 59,1 Milliarden Euro an, die durch zusätzliche Abgaben wieder hereingeholt werden müssen. Das BIP würde daher nach fünf Jahren um 0,7 Prozent geschrumpft sein, und der Beschäftigungsstand läge um 300.000 Menschen niedriger. Quelle: dpa
FDPEinzig das Programm der Liberalen würde sich laut IW nicht messbar auf Wachstumsprozess und Beschäftigungsstand auswirken und im Vergleich zu den anderen Parteien die geringsten Risiken bergen. Allerdings bliebe die FDP manche Konkretisierung schuldig, so die Forscher. Die Mehrausgaben in der Sozialpolitik sind mit 4 Milliarden Euro gering; durch Minderausgaben in der Steuerpolitik von 5,5 Milliarden bliebe unterm Strich eine Minderbelastung von 1,5 Milliarden Euro. Quelle: dpa
Bündnis 90/Die GrünenDie Pläne von Bündnis 90/Die Grünen verursachen Mehrbelastungen von 59,7 Milliarden Euro, zusammengesetzt aus 14,2 Milliarden für Sozial- und 45,5 Milliarden Euro für Steuerpolitik. Dadurch wären wie bei der SPD 300.000 Jobs gefährdet und das BIP würde um 0,7 Prozent zurückgehen. Dabei seien die zu erwartenden negativen Investitionsanreize infolge einer Vermögensteuer und deren beschäftigungsfeindliche Wirkung noch gar nicht eingerechnet, so das IW. Quelle: dpa
Die LinkeDie höchste Mehrbelastung für die Bürger und den Staatshaushalt ergibt sich laut IW aus den Plänen der Linken mit sage und schreibe 160,8 Milliarden Euro pro Jahr. Ausschlaggebend dafür sind vor allem die Steuerpläne sowie die Rücknahme aller bisherigen Rentenreformen: denn die Einsparungen in der Sozialpolitik (-10,2 Mrd.) werden durch 171 Milliarden Euro Mehrausgaben bei der Steuerpolitik mehr als aufgefressen. Der Beschäftigtenstand würde gegenüber dem Status Quo um 800.000 sinken, das BIP würde um 1,9 Prozent einbrechen. Quelle: dpa

Erschütternd bleibt, dass die real existierenden Kanzlerkandidaten, Merkel und Steinbrück, der Nation auf einem ähnlichen Niveau ein sogenanntes Kandidatenduell im deutschen Gesamtfernsehen vorgesetzt haben. Eine kartellartige große Koalition kennzeichnete die Debatte vom vergangenen Sonntag. Merkel und Steinbrück und die schwachen vier Top-Moderatoren des Duells klammerten das Thema der Themen dieser Zeit, das auch ein europäisches Thema ist und sogar eines des Westens insgesamt, nämlich das Thema der Integration im weitesten Sinne, eisenhart aus. So wie es auch beim Kanzlerduell vor vier Jahren zwischen Merkel und Steinmeier ausgeklammert worden war.

Es wurde nicht danach gefragt, es wurde nicht darüber diskutiert, das Thema wurde wie nicht existent behandelt. Da gingen die real existierenden Kandidaten sogar noch einen Schritt weiter als die bpb, die das Thema wenigstens vorgeblich in einigen Fragen, wenn auch unsinnigen Fragen, siehe oben, anklingen ließ.

Der guten Ordnung halber soll nicht verschwiegen werden, dass der virtuelle Wahl-O-Mat wie auch die realen Kandidaten die Außenpolitik sprich zum Beispiel die Nahost-Politik im Prinzip gänzlich ausklammerten. Merkel und Steinbrück kniffen sich gerade mal den Alibisatz ab, dass sie Deutschland nicht an einem amerikanischen Waffengang in Syrien beteiligt sehen wollen. Mindestens im Prinzip nicht.

Die großen Fernsehanstalten sollten sich schämen

Und die großen Fernsehanstalten sollten sich schämen, dass sie nur auf die etablierten Parteien bei den Wahlen gesetzt haben. Mit welchem Recht wurde bei dem gestrigen sogenannten Triell der Spitzenkandidaten von FDP, Grünen und die Linke, die Piratenpartei, die sogar in deutschen Landtagen sitzt und immer mal wieder mit fünf Prozent plus x gehandelt und gefürchtet wurde, zu dem Kandidatentalk nicht eingeladen? Ähnliches gilt für die AfD, die von den etablierten politischen Parteien gefürchtet und zum Hassobjekt erklärt wurde und in Umfragen immer mal wieder an die Fünf-Prozent-Hürde heran reicht. Damit sind die Wahlchancen der Piraten und der AfD objektiv unlauter und undemokratisch minimiert worden.

Das Triell, das gestern im Wesentlichen eine Umverteilungsdebatte ganz im Sinne der Linkspartei war, wurde von Gysi, Brüderle und Trittin bestritten, die immerhin eine etwas lebhaftere Debatte zustande brachten als die Dinos vor ihnen. Aber das ändert nichts daran, dass auch das kleine Fernsehspektakel aus der Wahl 2013 nichts machte, was die Wahl als demokratischen Ur-Akt wirklich heraus reißen konnte.

Die Niveaulosigkeit der Bundestagswahl 2013 hat die Bildzeitung unfreiwillig auf ihrem Titel dokumentiert, als sie gestern Stefan Raab als wahren Sieger des Duells zum heimlichen Kanzler ausrief. Raab hatte zwar eine gewisse Launigkeit in das Kanzlerduell gebracht, aber auch er lieferte wenig Fragesubstanz.

Trotz allem gilt: jeder sollte am 22. zur Wahl gehen, um mindestens die Parteien in die Pflicht zu nehmen.

P.S. Ein personeller Lichtblick ist während der Wahl bei der SPD sichtbar geworden und der heißt Thomas Oppermann. Ein heißer Kandidat auf den Kanzlerkandidaten 2017.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%